Nur ein paar flüchtige Worte, liebe Golda, um Ihnen zu sagen, daß ich Ihren letzten Brief noch in Baden erhielt, acht Tage zu meiner Einrichtung in Karlsruhe blieb, und nun seit vier Wochen mit Doren hier bin, bloß um mich vom häus- lichen Trouble und von der nicht besonders gelungenen Bade- kur bei meinen Freundinnen zu erholen, bei Frau von Schle- gel, und bei einer Französin, die Sie nicht kennen, Gräfin Custine, und um Frau von Humboldt zu sehen, die ich seit zwölf Jahren nicht sah. Ich habe die kleine aber vortreffliche Reise hierher, sehr still und angenehm gemacht, und in dem behaglichen Trostbewußtsein, daß sie ein Fest für Varnh. ist, der mir die Welt zu einem solchen machen möchte, und mir auch den Antheil in jeder Zeile, die ich erhalte, auszudrücken weiß. Ich könnte also ganz vergnügt hier sein, das Wetter auch ist mir günstig: ich habe auch noch unzählige Bekannte aus den verschiedenen Klassen, mit denen ich in munterer freundlicher Berührung bin; und doch hab' ich auch schon hier Arges erfahren: hauptsächlich (und Sie sollen gleich erfahren, warum ich dies hauptsächlich nenne) bin ich nicht wohl: d. h. ich gehe, fahre, bin angezogen, esse, schlafe auch sogar. Aber wie erwache ich; mit leisen Agonieen; mit Einem Wort! ich habe nie ein Gesundheitsgefühl; und sehe und fühle alle meine Übel sich aggraviren. Dabei bin ich munter und lustig für die Leute; für sie sehe ich auch gut aus; ich sehe mich auch
ganz
An Erneſtine G., in Berlin.
Frankfurt a. M., den 17. September Dienstag 1816.
Nur ein paar flüchtige Worte, liebe Golda, um Ihnen zu ſagen, daß ich Ihren letzten Brief noch in Baden erhielt, acht Tage zu meiner Einrichtung in Karlsruhe blieb, und nun ſeit vier Wochen mit Doren hier bin, bloß um mich vom häus- lichen Trouble und von der nicht beſonders gelungenen Bade- kur bei meinen Freundinnen zu erholen, bei Frau von Schle- gel, und bei einer Franzöſin, die Sie nicht kennen, Gräfin Cuſtine, und um Frau von Humboldt zu ſehen, die ich ſeit zwölf Jahren nicht ſah. Ich habe die kleine aber vortreffliche Reiſe hierher, ſehr ſtill und angenehm gemacht, und in dem behaglichen Troſtbewußtſein, daß ſie ein Feſt für Varnh. iſt, der mir die Welt zu einem ſolchen machen möchte, und mir auch den Antheil in jeder Zeile, die ich erhalte, auszudrücken weiß. Ich könnte alſo ganz vergnügt hier ſein, das Wetter auch iſt mir günſtig: ich habe auch noch unzählige Bekannte aus den verſchiedenen Klaſſen, mit denen ich in munterer freundlicher Berührung bin; und doch hab’ ich auch ſchon hier Arges erfahren: hauptſächlich (und Sie ſollen gleich erfahren, warum ich dies hauptſächlich nenne) bin ich nicht wohl: d. h. ich gehe, fahre, bin angezogen, eſſe, ſchlafe auch ſogar. Aber wie erwache ich; mit leiſen Agonieen; mit Einem Wort! ich habe nie ein Geſundheitsgefühl; und ſehe und fühle alle meine Übel ſich aggraviren. Dabei bin ich munter und luſtig für die Leute; für ſie ſehe ich auch gut aus; ich ſehe mich auch
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An Erneſtine G., in Berlin.
Frankfurt a. M., den 17. September Dienstag 1816.
Nur ein paar flüchtige Worte, liebe Golda, um Ihnen
zu ſagen, daß ich Ihren letzten Brief noch in Baden erhielt,
acht Tage zu meiner Einrichtung in Karlsruhe blieb, und nun
ſeit vier Wochen mit Doren hier bin, bloß um mich vom häus-
lichen Trouble und von der nicht beſonders gelungenen Bade-
kur bei meinen Freundinnen zu erholen, bei Frau von Schle-
gel, und bei einer Franzöſin, die Sie nicht kennen, Gräfin
Cuſtine, und um Frau von Humboldt zu ſehen, die ich ſeit
zwölf Jahren nicht ſah. Ich habe die kleine aber vortreffliche
Reiſe hierher, ſehr ſtill und angenehm gemacht, und in dem
behaglichen Troſtbewußtſein, daß ſie ein Feſt für Varnh. iſt,
der mir die Welt zu einem ſolchen machen möchte, und mir
auch den Antheil in jeder Zeile, die ich erhalte, auszudrücken
weiß. Ich könnte alſo ganz vergnügt hier ſein, das Wetter
auch iſt mir günſtig: ich habe auch noch unzählige Bekannte
aus den verſchiedenen Klaſſen, mit denen ich in munterer
freundlicher Berührung bin; und doch hab’ ich auch ſchon hier
Arges erfahren: hauptſächlich (und Sie ſollen gleich erfahren,
warum ich dies hauptſächlich nenne) bin ich nicht wohl: d. h.
ich gehe, fahre, bin angezogen, eſſe, ſchlafe auch ſogar. Aber
wie erwache ich; mit leiſen Agonieen; mit Einem Wort! ich
habe nie ein Geſundheitsgefühl; und ſehe und fühle alle meine
Übel ſich aggraviren. Dabei bin ich munter und luſtig für
die Leute; für ſie ſehe ich auch gut aus; ich ſehe mich auch
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 416. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/424>, abgerufen am 29.11.2024.
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