Freudenvoll, daß ich ihm des Sohnes Tugend verkündigt. 540
Aber die andern Seelen der abgeschiedenen Todten Standen traurend da, und sprachen von ihrer Betrübniß. Nur allein die Seele des telamonischen Aias Blieb von ferne stehn, und zürnte noch wegen des Sieges, Den ich einst vor den Schiffen, mit ihm um die Waffen Achilleus 545 Rechtend, gewann; sie sezte zum Preis die göttliche Mutter, Und die Söhne der Troer entschieden und Pallas Athänä. Hätt' ich doch nimmermehr in diesem Streite gesieget! Denn ein solches Haupt birgt ihrenthalben die Erde: Aias, der an Gestalt und Edelthaten der größte 550 Unter den Danaern war, nach dem tadellosen Achilleus. Diesen redet' ich an, und sagte mit freundlicher Stimme:
Aias, Telamons Sohn, des Herlichen! mußtest du also Selbst nach dem Tode den Groll forttragen wegen der Rüstung, Welche der Götter Rath zum Verderben der Griechen bestimmte? 555 Denn du sankst, ihr Thurm in der Feldschlacht; und wir Achaier Müßen, wie um das Haupt des Päläiden Achilleus, Stets um deinen Verlust leidtragen! Doch keiner ist hieran Schuldig, als Zeus, der, entbrannt vom schrecklichen Eifer, Achaia's Kriegerschaaren verwarf, und dein Verhängniß dir sandte! 560 Aber wohlan! trit näher zu mir, o König, und höre Meine Red', und bezwinge den Zorn des erhabenen Herzens.
Also sprach ich; er schwieg, und ging in des Erebos Dunkel Zu den übrigen Seelen der abgeschiedenen Todten. Dennoch hätte mich dort der Zürnende angeredet, 565 Oder ich ihn; allein mich trieb die Begierde des Herzens,
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Elfter Geſang.
Freudenvoll, daß ich ihm des Sohnes Tugend verkuͤndigt. 540
Aber die andern Seelen der abgeſchiedenen Todten Standen traurend da, und ſprachen von ihrer Betruͤbniß. Nur allein die Seele des telamoniſchen Aias Blieb von ferne ſtehn, und zuͤrnte noch wegen des Sieges, Den ich einſt vor den Schiffen, mit ihm um die Waffen Achilleus 545 Rechtend, gewann; ſie ſezte zum Preis die goͤttliche Mutter, Und die Soͤhne der Troer entſchieden und Pallas Athaͤnaͤ. Haͤtt' ich doch nimmermehr in dieſem Streite geſieget! Denn ein ſolches Haupt birgt ihrenthalben die Erde: Aias, der an Geſtalt und Edelthaten der groͤßte 550 Unter den Danaern war, nach dem tadelloſen Achilleus. Dieſen redet' ich an, und ſagte mit freundlicher Stimme:
Aias, Telamons Sohn, des Herlichen! mußteſt du alſo Selbſt nach dem Tode den Groll forttragen wegen der Ruͤſtung, Welche der Goͤtter Rath zum Verderben der Griechen beſtimmte? 555 Denn du ſankſt, ihr Thurm in der Feldſchlacht; und wir Achaier Muͤßen, wie um das Haupt des Paͤlaͤiden Achilleus, Stets um deinen Verluſt leidtragen! Doch keiner iſt hieran Schuldig, als Zeus, der, entbrannt vom ſchrecklichen Eifer, Achaia's Kriegerſchaaren verwarf, und dein Verhaͤngniß dir ſandte! 560 Aber wohlan! trit naͤher zu mir, o Koͤnig, und hoͤre Meine Red', und bezwinge den Zorn des erhabenen Herzens.
Alſo ſprach ich; er ſchwieg, und ging in des Erebos Dunkel Zu den uͤbrigen Seelen der abgeſchiedenen Todten. Dennoch haͤtte mich dort der Zuͤrnende angeredet, 565 Oder ich ihn; allein mich trieb die Begierde des Herzens,
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Elfter Geſang.
Freudenvoll, daß ich ihm des Sohnes Tugend verkuͤndigt.
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Aber die andern Seelen der abgeſchiedenen Todten
Standen traurend da, und ſprachen von ihrer Betruͤbniß.
Nur allein die Seele des telamoniſchen Aias
Blieb von ferne ſtehn, und zuͤrnte noch wegen des Sieges,
Den ich einſt vor den Schiffen, mit ihm um die Waffen Achilleus
Rechtend, gewann; ſie ſezte zum Preis die goͤttliche Mutter,
Und die Soͤhne der Troer entſchieden und Pallas Athaͤnaͤ.
Haͤtt' ich doch nimmermehr in dieſem Streite geſieget!
Denn ein ſolches Haupt birgt ihrenthalben die Erde:
Aias, der an Geſtalt und Edelthaten der groͤßte
Unter den Danaern war, nach dem tadelloſen Achilleus.
Dieſen redet' ich an, und ſagte mit freundlicher Stimme:
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Aias, Telamons Sohn, des Herlichen! mußteſt du alſo
Selbſt nach dem Tode den Groll forttragen wegen der Ruͤſtung,
Welche der Goͤtter Rath zum Verderben der Griechen beſtimmte?
Denn du ſankſt, ihr Thurm in der Feldſchlacht; und wir Achaier
Muͤßen, wie um das Haupt des Paͤlaͤiden Achilleus,
Stets um deinen Verluſt leidtragen! Doch keiner iſt hieran
Schuldig, als Zeus, der, entbrannt vom ſchrecklichen Eifer, Achaia's
Kriegerſchaaren verwarf, und dein Verhaͤngniß dir ſandte!
Aber wohlan! trit naͤher zu mir, o Koͤnig, und hoͤre
Meine Red', und bezwinge den Zorn des erhabenen Herzens.
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Alſo ſprach ich; er ſchwieg, und ging in des Erebos Dunkel
Zu den uͤbrigen Seelen der abgeſchiedenen Todten.
Dennoch haͤtte mich dort der Zuͤrnende angeredet,
Oder ich ihn; allein mich trieb die Begierde des Herzens,
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Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/231>, abgerufen am 23.11.2024.
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