Dann bedacht' er sich hin und her, mit wankendem Vorsaz: Ob er ihn küßend umarmte, den lieben Vater, und alles 235 Sagte, wie er nun endlich zur Heimat wiedergekehrt sei; Oder ihn erst ausfragte, um seine Seele zu prüfen. Dieser Gedanke schien dem Zweifelnden endlich der beßte: Erst mit sanftem Tadel des Vaters Seele zu prüfen. Dieses beschloß Odüßeus, und eilte hin zu Laertäs, 240 Der, mit gesenktem Haupte, des Baumes Wurzel umhackte; Und der trefliche Sohn trat nahe zum Vater, und sagte:
Alter, es fehlet dir nicht an Kunst den Garten zu bauen! Schön ist alles bestellt; kein einziges dieser Gewächse, Keine Rebe vermißt, kein Oelbaum, Feigen- und Birnbaum, 245 Keines der Beet' im Garten vermißt die gehörige Pflege! Eins erinnere ich nur; nim mirs nicht übel, o Vater! Du wirst selber nicht gut gepflegt! Wie kümmerlich gehst du, Schwach vor Alter, und schmuzig dabei, und häßlich bekleidet! Wegen der Faulheit gewiß kann dich dein Herr nicht versäumen! 250 Selbst der Gedank' an Knechtschaft verschwindet einem Betrachter Deiner Gestalt und Größe; du hast ein königlich Ansehn: Gleich als ob dir gebührte, dich nach dem Bad' und der Mahlzeit Sanft zur Ruhe zu legen; denn das ist die Pflege der Alten. Aber verkündige mir, und sage die lautere Warheit: 255 Welcher Mann ist dein Herr, und weßen Garten besorgst du? Auch verkündige mir aufrichtig, damit ich es wiße: Sind wir denn würklich hier in Ithaka, wie mir ein Mann dort Sagte, welchem ich begegnete, als ich hieher ging? Aber der Mann war nicht so artig, mir alles zu sagen, 260 Oder auf meine Frage zu achten, wegen des Gastfreunds,
Oduͤßee.
Dann bedacht' er ſich hin und her, mit wankendem Vorſaz: Ob er ihn kuͤßend umarmte, den lieben Vater, und alles 235 Sagte, wie er nun endlich zur Heimat wiedergekehrt ſei; Oder ihn erſt ausfragte, um ſeine Seele zu pruͤfen. Dieſer Gedanke ſchien dem Zweifelnden endlich der beßte: Erſt mit ſanftem Tadel des Vaters Seele zu pruͤfen. Dieſes beſchloß Oduͤßeus, und eilte hin zu Laertaͤs, 240 Der, mit geſenktem Haupte, des Baumes Wurzel umhackte; Und der trefliche Sohn trat nahe zum Vater, und ſagte:
Alter, es fehlet dir nicht an Kunſt den Garten zu bauen! Schoͤn iſt alles beſtellt; kein einziges dieſer Gewaͤchſe, Keine Rebe vermißt, kein Oelbaum, Feigen- und Birnbaum, 245 Keines der Beet' im Garten vermißt die gehoͤrige Pflege! Eins erinnere ich nur; nim mirs nicht uͤbel, o Vater! Du wirſt ſelber nicht gut gepflegt! Wie kuͤmmerlich gehſt du, Schwach vor Alter, und ſchmuzig dabei, und haͤßlich bekleidet! Wegen der Faulheit gewiß kann dich dein Herr nicht verſaͤumen! 250 Selbſt der Gedank' an Knechtſchaft verſchwindet einem Betrachter Deiner Geſtalt und Groͤße; du haſt ein koͤniglich Anſehn: Gleich als ob dir gebuͤhrte, dich nach dem Bad' und der Mahlzeit Sanft zur Ruhe zu legen; denn das iſt die Pflege der Alten. Aber verkuͤndige mir, und ſage die lautere Warheit: 255 Welcher Mann iſt dein Herr, und weßen Garten beſorgſt du? Auch verkuͤndige mir aufrichtig, damit ich es wiße: Sind wir denn wuͤrklich hier in Ithaka, wie mir ein Mann dort Sagte, welchem ich begegnete, als ich hieher ging? Aber der Mann war nicht ſo artig, mir alles zu ſagen, 260 Oder auf meine Frage zu achten, wegen des Gaſtfreunds,
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Oduͤßee.
Dann bedacht' er ſich hin und her, mit wankendem Vorſaz:
Ob er ihn kuͤßend umarmte, den lieben Vater, und alles
Sagte, wie er nun endlich zur Heimat wiedergekehrt ſei;
Oder ihn erſt ausfragte, um ſeine Seele zu pruͤfen.
Dieſer Gedanke ſchien dem Zweifelnden endlich der beßte:
Erſt mit ſanftem Tadel des Vaters Seele zu pruͤfen.
Dieſes beſchloß Oduͤßeus, und eilte hin zu Laertaͤs,
Der, mit geſenktem Haupte, des Baumes Wurzel umhackte;
Und der trefliche Sohn trat nahe zum Vater, und ſagte:
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Alter, es fehlet dir nicht an Kunſt den Garten zu bauen!
Schoͤn iſt alles beſtellt; kein einziges dieſer Gewaͤchſe,
Keine Rebe vermißt, kein Oelbaum, Feigen- und Birnbaum,
Keines der Beet' im Garten vermißt die gehoͤrige Pflege!
Eins erinnere ich nur; nim mirs nicht uͤbel, o Vater!
Du wirſt ſelber nicht gut gepflegt! Wie kuͤmmerlich gehſt du,
Schwach vor Alter, und ſchmuzig dabei, und haͤßlich bekleidet!
Wegen der Faulheit gewiß kann dich dein Herr nicht verſaͤumen!
Selbſt der Gedank' an Knechtſchaft verſchwindet einem Betrachter
Deiner Geſtalt und Groͤße; du haſt ein koͤniglich Anſehn:
Gleich als ob dir gebuͤhrte, dich nach dem Bad' und der Mahlzeit
Sanft zur Ruhe zu legen; denn das iſt die Pflege der Alten.
Aber verkuͤndige mir, und ſage die lautere Warheit:
Welcher Mann iſt dein Herr, und weßen Garten beſorgſt du?
Auch verkuͤndige mir aufrichtig, damit ich es wiße:
Sind wir denn wuͤrklich hier in Ithaka, wie mir ein Mann dort
Sagte, welchem ich begegnete, als ich hieher ging?
Aber der Mann war nicht ſo artig, mir alles zu ſagen,
Oder auf meine Frage zu achten, wegen des Gaſtfreunds,
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Homerus: Odüssee übersezt von Johann Heinrich Voß. Hamburg, 1781, S. 458. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/voss_oduessee_1781/464>, abgerufen am 23.11.2024.
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