Wieland, Christoph Martin: Geschichte des Agathon. Bd. 1. Frankfurt (Main) u. a., 1766.Agathon. Verwunderung womit er mich von Zeit zu Zeit betrach-te, weniger befremden würde, wenn ich die ausseror- dentliche Aehnlichkeit meiner Gesichts-Bildung und Mi- ne mit einer Person, welche er ehmals gekannt habe, wißte; doch du sollst selbst hievon urtheilen, sezte er hinzu, und hierauf fieng er an von andern Dingen zu reden, biß der Wein und die Früchte aufgestellt wurden. Bald darauf stunden wir auf, und nachdem wir eine Weile in einer langen Galerie, die auf einer doppelten Reyhe Corintischer Säulen von buntem Marmor ruhte, und prächtig erleuchtet war, auf und abgegangen wa- ren, führte er mich in ein Cabinet, worinn ein Schreib- tisch, ein Büchergestell, einige Polster, und ein Ge- mählde in Lebensgrösse auf welches ich nicht gleich acht gab, alle Möbeln und Zierrathen ausmachten. Er hieß mich niedersizen, und nachdem er das Bildniß, welches ihm gegenüber hieng, eine ziemliche Weile mit Bewegung angesehen hatte, redete er mich also an: Deine Jugend, liebenswürdiger Fremdling, die Art wie sich unsere Bekanntschaft angefangen, die Eigen- schaften die ich in dieser kurzen Zeit an dir entdekt, und die Zuneigung die ich in meinem Herzen für dich finde, rechtfertigen mein Verlangen, von deinem Na- men, und von den Umständen benachrichtiget zu seyn, welche dich in einem solchen Alter von deiner Heymath entfernt und in diese fremde Gegenden geführt haben können. Es ist sonst meine Gewohnheit nicht, mich beym ersten Anblik für jemand einzunehmen. Aber bey deiner Erblikung hab ich einem geheimen Reiz, der
Agathon. Verwunderung womit er mich von Zeit zu Zeit betrach-te, weniger befremden wuͤrde, wenn ich die auſſeror- dentliche Aehnlichkeit meiner Geſichts-Bildung und Mi- ne mit einer Perſon, welche er ehmals gekannt habe, wißte; doch du ſollſt ſelbſt hievon urtheilen, ſezte er hinzu, und hierauf fieng er an von andern Dingen zu reden, biß der Wein und die Fruͤchte aufgeſtellt wurden. Bald darauf ſtunden wir auf, und nachdem wir eine Weile in einer langen Galerie, die auf einer doppelten Reyhe Corintiſcher Saͤulen von buntem Marmor ruhte, und praͤchtig erleuchtet war, auf und abgegangen wa- ren, fuͤhrte er mich in ein Cabinet, worinn ein Schreib- tiſch, ein Buͤchergeſtell, einige Polſter, und ein Ge- maͤhlde in Lebensgroͤſſe auf welches ich nicht gleich acht gab, alle Moͤbeln und Zierrathen ausmachten. Er hieß mich niederſizen, und nachdem er das Bildniß, welches ihm gegenuͤber hieng, eine ziemliche Weile mit Bewegung angeſehen hatte, redete er mich alſo an: Deine Jugend, liebenswuͤrdiger Fremdling, die Art wie ſich unſere Bekanntſchaft angefangen, die Eigen- ſchaften die ich in dieſer kurzen Zeit an dir entdekt, und die Zuneigung die ich in meinem Herzen fuͤr dich finde, rechtfertigen mein Verlangen, von deinem Na- men, und von den Umſtaͤnden benachrichtiget zu ſeyn, welche dich in einem ſolchen Alter von deiner Heymath entfernt und in dieſe fremde Gegenden gefuͤhrt haben koͤnnen. Es iſt ſonſt meine Gewohnheit nicht, mich beym erſten Anblik fuͤr jemand einzunehmen. Aber bey deiner Erblikung hab ich einem geheimen Reiz, der
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Agathon.
Verwunderung womit er mich von Zeit zu Zeit betrach-
te, weniger befremden wuͤrde, wenn ich die auſſeror-
dentliche Aehnlichkeit meiner Geſichts-Bildung und Mi-
ne mit einer Perſon, welche er ehmals gekannt habe,
wißte; doch du ſollſt ſelbſt hievon urtheilen, ſezte er
hinzu, und hierauf fieng er an von andern Dingen zu
reden, biß der Wein und die Fruͤchte aufgeſtellt wurden.
Bald darauf ſtunden wir auf, und nachdem wir eine
Weile in einer langen Galerie, die auf einer doppelten
Reyhe Corintiſcher Saͤulen von buntem Marmor ruhte,
und praͤchtig erleuchtet war, auf und abgegangen wa-
ren, fuͤhrte er mich in ein Cabinet, worinn ein Schreib-
tiſch, ein Buͤchergeſtell, einige Polſter, und ein Ge-
maͤhlde in Lebensgroͤſſe auf welches ich nicht gleich acht
gab, alle Moͤbeln und Zierrathen ausmachten. Er
hieß mich niederſizen, und nachdem er das Bildniß,
welches ihm gegenuͤber hieng, eine ziemliche Weile mit
Bewegung angeſehen hatte, redete er mich alſo an:
Deine Jugend, liebenswuͤrdiger Fremdling, die Art
wie ſich unſere Bekanntſchaft angefangen, die Eigen-
ſchaften die ich in dieſer kurzen Zeit an dir entdekt,
und die Zuneigung die ich in meinem Herzen fuͤr dich
finde, rechtfertigen mein Verlangen, von deinem Na-
men, und von den Umſtaͤnden benachrichtiget zu ſeyn,
welche dich in einem ſolchen Alter von deiner Heymath
entfernt und in dieſe fremde Gegenden gefuͤhrt haben
koͤnnen. Es iſt ſonſt meine Gewohnheit nicht, mich
beym erſten Anblik fuͤr jemand einzunehmen. Aber
bey deiner Erblikung hab ich einem geheimen Reiz,
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