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Berlin, Rudolf: Eine besondere Art der Wortblindheit (Dyslexie). Wiesbaden, 1887.

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und zwar beschäftigte er sich damit, Wäscheklammern
zu schnitzen, worin er es zu einer gewissen, sogar finan-
ziell verwerthbaren, Fertigkeit brachte.

Später sah ich den Kranken nur in grossen Zwischen-
räumen, da seine Seleritis nur selten und in geringem
Grade recidivirte. Auch sein übriger Zustand blieb sich
im Grossen und Ganzen scheinbar ziemlich gleich, allein
es liess sich doch eine langsame, aber stetig fortschrei-
tende Abnahme seiner körperlichen und geistigen Kräfte
nicht verkennen.

Im Herbste 1885 erkrankte er von Neuem und zwar
unter so ernsten Symptomen, dass ein baldiger lethaler
Ausgang nicht mehr zweifelhaft erschien. Er war in-
zwischen in die Behandlung des Herrn Dr. H. Gärttner
übergegangen, welchem ich die folgenden Notizen verdanke:

"Anfangs November (85) wurde ich zu Herrn B.
gerufen. Ich fand den Patienten ziemlich abgemagert
und von gelblicher Gesichtsfarbe. Er klagte über Athem-
beschwerden, welche ihm das Liegen im Bette unmöglich
machten, sodass er Tag und Nacht auf einem Stuhle sitzend
zubringen musste. Dabei trockener Husten; auf der Lunge
nichts Pathologisches nachweisbar als zahlreiche feuchte
Rasselgeräusche und Ronchi. Anhaltende hartnäckige
Schlaflosigkeit und häufige Klage über Kopfschmerz; na-
mentlich giebt Patient eine Stelle am Hinterkopfe an,
etwas links von der Protuberantia occipitalis externa,
welche auf Druck und beim Liegen ausserordentlich schmerz-
haft ist. Die Sprache ist schleppend und langsam, aber
deutlich. Dabei Appetitlosigkeit und heftiger Durst; sehr
träger Stuhlgang. Der Harn enthält ziemlich viel Eiweis,
aber es sind keinerlei hydropische Erscheinungen vor-
handen.

Vom 6. December an zeigte sich häufiges Erbrechen,
und am 10. war Patient vollständig aphasisch. Dabei
war das Bewusstsein erhalten, keine Symptome halbsei-

und zwar beschäftigte er sich damit, Wäscheklammern
zu schnitzen, worin er es zu einer gewissen, sogar finan-
ziell verwerthbaren, Fertigkeit brachte.

Später sah ich den Kranken nur in grossen Zwischen-
räumen, da seine Seleritis nur selten und in geringem
Grade recidivirte. Auch sein übriger Zustand blieb sich
im Grossen und Ganzen scheinbar ziemlich gleich, allein
es liess sich doch eine langsame, aber stetig fortschrei-
tende Abnahme seiner körperlichen und geistigen Kräfte
nicht verkennen.

Im Herbste 1885 erkrankte er von Neuem und zwar
unter so ernsten Symptomen, dass ein baldiger lethaler
Ausgang nicht mehr zweifelhaft erschien. Er war in-
zwischen in die Behandlung des Herrn Dr. H. Gärttner
übergegangen, welchem ich die folgenden Notizen verdanke:

„Anfangs November (85) wurde ich zu Herrn B.
gerufen. Ich fand den Patienten ziemlich abgemagert
und von gelblicher Gesichtsfarbe. Er klagte über Athem-
beschwerden, welche ihm das Liegen im Bette unmöglich
machten, sodass er Tag und Nacht auf einem Stuhle sitzend
zubringen musste. Dabei trockener Husten; auf der Lunge
nichts Pathologisches nachweisbar als zahlreiche feuchte
Rasselgeräusche und Ronchi. Anhaltende hartnäckige
Schlaflosigkeit und häufige Klage über Kopfschmerz; na-
mentlich giebt Patient eine Stelle am Hinterkopfe an,
etwas links von der Protuberantia occipitalis externa,
welche auf Druck und beim Liegen ausserordentlich schmerz-
haft ist. Die Sprache ist schleppend und langsam, aber
deutlich. Dabei Appetitlosigkeit und heftiger Durst; sehr
träger Stuhlgang. Der Harn enthält ziemlich viel Eiweis,
aber es sind keinerlei hydropische Erscheinungen vor-
handen.

Vom 6. December an zeigte sich häufiges Erbrechen,
und am 10. war Patient vollständig aphasisch. Dabei
war das Bewusstsein erhalten, keine Symptome halbsei-

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[26/0030] und zwar beschäftigte er sich damit, Wäscheklammern zu schnitzen, worin er es zu einer gewissen, sogar finan- ziell verwerthbaren, Fertigkeit brachte. Später sah ich den Kranken nur in grossen Zwischen- räumen, da seine Seleritis nur selten und in geringem Grade recidivirte. Auch sein übriger Zustand blieb sich im Grossen und Ganzen scheinbar ziemlich gleich, allein es liess sich doch eine langsame, aber stetig fortschrei- tende Abnahme seiner körperlichen und geistigen Kräfte nicht verkennen. Im Herbste 1885 erkrankte er von Neuem und zwar unter so ernsten Symptomen, dass ein baldiger lethaler Ausgang nicht mehr zweifelhaft erschien. Er war in- zwischen in die Behandlung des Herrn Dr. H. Gärttner übergegangen, welchem ich die folgenden Notizen verdanke: „Anfangs November (85) wurde ich zu Herrn B. gerufen. Ich fand den Patienten ziemlich abgemagert und von gelblicher Gesichtsfarbe. Er klagte über Athem- beschwerden, welche ihm das Liegen im Bette unmöglich machten, sodass er Tag und Nacht auf einem Stuhle sitzend zubringen musste. Dabei trockener Husten; auf der Lunge nichts Pathologisches nachweisbar als zahlreiche feuchte Rasselgeräusche und Ronchi. Anhaltende hartnäckige Schlaflosigkeit und häufige Klage über Kopfschmerz; na- mentlich giebt Patient eine Stelle am Hinterkopfe an, etwas links von der Protuberantia occipitalis externa, welche auf Druck und beim Liegen ausserordentlich schmerz- haft ist. Die Sprache ist schleppend und langsam, aber deutlich. Dabei Appetitlosigkeit und heftiger Durst; sehr träger Stuhlgang. Der Harn enthält ziemlich viel Eiweis, aber es sind keinerlei hydropische Erscheinungen vor- handen. Vom 6. December an zeigte sich häufiges Erbrechen, und am 10. war Patient vollständig aphasisch. Dabei war das Bewusstsein erhalten, keine Symptome halbsei-

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Zitationshilfe: Berlin, Rudolf: Eine besondere Art der Wortblindheit (Dyslexie). Wiesbaden, 1887, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlin_wortblindheit_1887/30>, abgerufen am 26.04.2024.