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Dühring, Eugen: Der Weg zur höheren Berufsbildung der Frauen und die Lehrweise der Universitäten. 2. Aufl. Leipzig, 1885.

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und zu veranschlagen. Auch der höhere und hohe Unterricht
wäre hiemit frei, und es könnte sich Alles nach Maassgabe der
lebendigen Bedürfnisse gestalten. Doch ich will hier diesen Aus-
blick nicht verfolgen. Ich habe auf den Mangel an Folgerichtig-
keit und auf die entsprechenden Uebelstände nur hingewiesen,
um für das weibliche Geschlecht einen andern Weg der Aus-
bildung in Anspruch zu nehmen.

Dieser leichtere, billigere und für die Hauptsache dennoch
erfolgreichere Weg schneidet auch gänzlich einen beliebten Ein-
wand ab, der aber auch sonst nicht viel zu bedeuten hätte. Die
Aerzte sind häufig sehr zartfühlend für das weibliche Geschlecht
und stellen sich äusserst besorgt an, dass die armen Frauen unter
der Last einer so schwer erlernbaren und schwer auszuübenden
Kunst zusammenbrechen möchten. Sie weisen auf die weibliche
Körperverfassung hin und geben sehr weise zu bedenken, dass
die grossen Vorstudien und Studienthaten, in denen sie selbst,
mit ihren männlichen, von der Natur anderweitig weniger in
Anspruch genommenen Kräften, fast aufgerieben worden wären,
nichts für ein Geschlecht sein könnten, dem schon die Natur
ganz andere erschöpfende Aufgaben gestellt und allerlei zugehörige
Störungen der normalen Leistungsfähigkeit aufgebürdet habe.
Nun ist es allerdings eine Einrichtung zum Blasirtwerden, dass
Jemand nach Abmachung des ersten Elementarunterrichts noch
ein Jahrzehnt die Gymnasialbank drücken, alsdann mindestens
vier zünftlerische Lehrjahre auf den Universitäten absitzen und
schliesslich noch einige formelle Extrastationen als Hülfsmaterial
für die Krankenhäuser ertragen muss, ehe er dazu gelangt, wirk-
lich selbständig zu lernen d. h. in erster grüner Experimentalpraxis
oder besser als Assistent eines gewiegten Privatpraktikers
ein wenig in die Wirklichkeit der Heilkunde eingeweiht zu werden.
Das Lebensalter ist alsdann über Gebühr vorgerückt, das Er-
gebniss aber ungeachtet oder vielmehr vermöge aller Prüfungs-
chicanen, die zu neun Zehnteln auf unnützen Kram hinauslaufen,
in Wissen und Können ein unbefriedigendes und die praktische
Aussicht nicht verlockend. Jeder scheut sich vor einem jungen
unerfahrenen Arzt; denn wenn er es auch nicht mit allen Gründen
nachweisen kann, so ist er doch aus den bisherigen Wahrneh-
mungen der Gesellschaft davon unterrichtet, dass der maassgebende
staatliche Vorbildungsgang keine Bürgschaft für unmittelbar bereites
Wissen und Können bietet. Es wird also der Armuth und Noth

und zu veranschlagen. Auch der höhere und hohe Unterricht
wäre hiemit frei, und es könnte sich Alles nach Maassgabe der
lebendigen Bedürfnisse gestalten. Doch ich will hier diesen Aus-
blick nicht verfolgen. Ich habe auf den Mangel an Folgerichtig-
keit und auf die entsprechenden Uebelstände nur hingewiesen,
um für das weibliche Geschlecht einen andern Weg der Aus-
bildung in Anspruch zu nehmen.

Dieser leichtere, billigere und für die Hauptsache dennoch
erfolgreichere Weg schneidet auch gänzlich einen beliebten Ein-
wand ab, der aber auch sonst nicht viel zu bedeuten hätte. Die
Aerzte sind häufig sehr zartfühlend für das weibliche Geschlecht
und stellen sich äusserst besorgt an, dass die armen Frauen unter
der Last einer so schwer erlernbaren und schwer auszuübenden
Kunst zusammenbrechen möchten. Sie weisen auf die weibliche
Körperverfassung hin und geben sehr weise zu bedenken, dass
die grossen Vorstudien und Studienthaten, in denen sie selbst,
mit ihren männlichen, von der Natur anderweitig weniger in
Anspruch genommenen Kräften, fast aufgerieben worden wären,
nichts für ein Geschlecht sein könnten, dem schon die Natur
ganz andere erschöpfende Aufgaben gestellt und allerlei zugehörige
Störungen der normalen Leistungsfähigkeit aufgebürdet habe.
Nun ist es allerdings eine Einrichtung zum Blasirtwerden, dass
Jemand nach Abmachung des ersten Elementarunterrichts noch
ein Jahrzehnt die Gymnasialbank drücken, alsdann mindestens
vier zünftlerische Lehrjahre auf den Universitäten absitzen und
schliesslich noch einige formelle Extrastationen als Hülfsmaterial
für die Krankenhäuser ertragen muss, ehe er dazu gelangt, wirk-
lich selbständig zu lernen d. h. in erster grüner Experimentalpraxis
oder besser als Assistent eines gewiegten Privatpraktikers
ein wenig in die Wirklichkeit der Heilkunde eingeweiht zu werden.
Das Lebensalter ist alsdann über Gebühr vorgerückt, das Er-
gebniss aber ungeachtet oder vielmehr vermöge aller Prüfungs-
chicanen, die zu neun Zehnteln auf unnützen Kram hinauslaufen,
in Wissen und Können ein unbefriedigendes und die praktische
Aussicht nicht verlockend. Jeder scheut sich vor einem jungen
unerfahrenen Arzt; denn wenn er es auch nicht mit allen Gründen
nachweisen kann, so ist er doch aus den bisherigen Wahrneh-
mungen der Gesellschaft davon unterrichtet, dass der maassgebende
staatliche Vorbildungsgang keine Bürgschaft für unmittelbar bereites
Wissen und Können bietet. Es wird also der Armuth und Noth

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[18/0027] und zu veranschlagen. Auch der höhere und hohe Unterricht wäre hiemit frei, und es könnte sich Alles nach Maassgabe der lebendigen Bedürfnisse gestalten. Doch ich will hier diesen Aus- blick nicht verfolgen. Ich habe auf den Mangel an Folgerichtig- keit und auf die entsprechenden Uebelstände nur hingewiesen, um für das weibliche Geschlecht einen andern Weg der Aus- bildung in Anspruch zu nehmen. Dieser leichtere, billigere und für die Hauptsache dennoch erfolgreichere Weg schneidet auch gänzlich einen beliebten Ein- wand ab, der aber auch sonst nicht viel zu bedeuten hätte. Die Aerzte sind häufig sehr zartfühlend für das weibliche Geschlecht und stellen sich äusserst besorgt an, dass die armen Frauen unter der Last einer so schwer erlernbaren und schwer auszuübenden Kunst zusammenbrechen möchten. Sie weisen auf die weibliche Körperverfassung hin und geben sehr weise zu bedenken, dass die grossen Vorstudien und Studienthaten, in denen sie selbst, mit ihren männlichen, von der Natur anderweitig weniger in Anspruch genommenen Kräften, fast aufgerieben worden wären, nichts für ein Geschlecht sein könnten, dem schon die Natur ganz andere erschöpfende Aufgaben gestellt und allerlei zugehörige Störungen der normalen Leistungsfähigkeit aufgebürdet habe. Nun ist es allerdings eine Einrichtung zum Blasirtwerden, dass Jemand nach Abmachung des ersten Elementarunterrichts noch ein Jahrzehnt die Gymnasialbank drücken, alsdann mindestens vier zünftlerische Lehrjahre auf den Universitäten absitzen und schliesslich noch einige formelle Extrastationen als Hülfsmaterial für die Krankenhäuser ertragen muss, ehe er dazu gelangt, wirk- lich selbständig zu lernen d. h. in erster grüner Experimentalpraxis oder besser als Assistent eines gewiegten Privatpraktikers ein wenig in die Wirklichkeit der Heilkunde eingeweiht zu werden. Das Lebensalter ist alsdann über Gebühr vorgerückt, das Er- gebniss aber ungeachtet oder vielmehr vermöge aller Prüfungs- chicanen, die zu neun Zehnteln auf unnützen Kram hinauslaufen, in Wissen und Können ein unbefriedigendes und die praktische Aussicht nicht verlockend. Jeder scheut sich vor einem jungen unerfahrenen Arzt; denn wenn er es auch nicht mit allen Gründen nachweisen kann, so ist er doch aus den bisherigen Wahrneh- mungen der Gesellschaft davon unterrichtet, dass der maassgebende staatliche Vorbildungsgang keine Bürgschaft für unmittelbar bereites Wissen und Können bietet. Es wird also der Armuth und Noth

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Zitationshilfe: Dühring, Eugen: Der Weg zur höheren Berufsbildung der Frauen und die Lehrweise der Universitäten. 2. Aufl. Leipzig, 1885, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/duehring_berufsbildung_1885/27>, abgerufen am 27.04.2024.