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Heymann, Lida Gustava: Frauenstimmrecht und Völkerverständigung. Leipzig, 1919 (= Nach dem Weltkrieg. Schriften zur Neuorientierung der auswärtigen Politik, Bd. 9).

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schwören und täglich erneuern - und den unausgesprochen alle ver-
stehen, weil wir gleich denken, fühlen und leiden.

Wenn diese Katastrophe, die einmal im Rollen begriffen, durch
keinen Protest der Menschlichkeit und der Vernunft aufzuhalten war,
vorüber sein wird, dann wird man die Frauen aller Länder, die jetzt zu
erzwungener Tatenlosigkeit verdammt sind, handelnd finden, um die
Wiederholung solcher Zustände für ewig unmöglich zu machen.

Das den französischen Frauen zum Gegengruß!"

Und Weihnachten 1916 sandten österreichische Frauen
folgenden Appell an die Gefährtinnen in Feindesland:

"Wieder naht sich das wundervolle Fest, an dem es heißt: "Friede
sei auf Erden", und noch immer lastet der furchtbare Alp des Krieges
auf der Menschheit!

Doch ein erster Hoffnungsschimmer winkt - wenigstens will es uns
in unserem Lande so scheinen - in dem Friedensangebot der Mittel-
mächte. Zu unserem großen Schmerz aber hören wir, wie es mit
Hohn und Verachtung in Eueren Ländern von der öffentlichen Meinung
beantwortet wird, von jener öffentlichen Meinung, die stets nur bereit
ist, des Gegners Motive herabzusetzen, seine Worte zu mißdeuten, seine
Absichten zu verleumden, den Haß zu schüren und auf den Riesen-
scheiterhaufen von Mißgunst und Verleumdung, auf dem die europäische
Menschheit zu verbrennen droht, neue Scheiter zu werfen. O, wir
kennen sie ja selbst zu gut, diese "öffentliche Meinung", und wir wissen,
wie weit sie davon entfernt ist, der wahre Ausdruck des Volksdenkens
und -fühlens zu sein. Wir wissen es genau: es ist bei Euch wie bei uns,
ein jeder liebt sein Vaterland heiß und innig, und ist zu jedem Opfer
dafür bereit, ein jeder wünscht und fordert, daß sein Land ehrenvoll und
gesichert für die Zukunft aus dem Kampfe hervorgehe, aber übermächtig
sehnt sich ein jedes Herz nach Frieden. So wie es Anatole France,
der französische Dichter, jüngst aussprach: "Die Menschheit will keine
Worte des Hasses und der blinden Wut mehr hören, jeder verlangt nach
der himmlischen Musik des Friedens. Mütter, Frauen und Kinder
wünschen, daß der Sohn, der Mann, der Vater wieder zurückkehre,
wieder mit ihnen am Tisch sitze und wieder den Spaten zur Hand nehme,
um den vaterländischen Boden zu bebauen."

Und darum wenden wir uns an Euch, Gefährtinnen: Seid Jhr der
wahre Dolmetsch Eurer Völker, sprecht zu Euren Regierungen und
warnet sie, daß sie nicht ohne weiteres ein Angebot, das vielleicht doch
den Keim des ersehnten Friedens in sich tragen könnte, von dem es
ebenso unwahr, daß es aus Schwäche, wie daß es aus Hochmut geboren
ist, zurückzuweisen, oder wendet ihren Sinn, wenn sie es in erster, selbst-

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schwören und täglich erneuern – und den unausgesprochen alle ver-
stehen, weil wir gleich denken, fühlen und leiden.

Wenn diese Katastrophe, die einmal im Rollen begriffen, durch
keinen Protest der Menschlichkeit und der Vernunft aufzuhalten war,
vorüber sein wird, dann wird man die Frauen aller Länder, die jetzt zu
erzwungener Tatenlosigkeit verdammt sind, handelnd finden, um die
Wiederholung solcher Zustände für ewig unmöglich zu machen.

Das den französischen Frauen zum Gegengruß!“

Und Weihnachten 1916 sandten österreichische Frauen
folgenden Appell an die Gefährtinnen in Feindesland:

„Wieder naht sich das wundervolle Fest, an dem es heißt: „Friede
sei auf Erden„, und noch immer lastet der furchtbare Alp des Krieges
auf der Menschheit!

Doch ein erster Hoffnungsschimmer winkt – wenigstens will es uns
in unserem Lande so scheinen – in dem Friedensangebot der Mittel-
mächte. Zu unserem großen Schmerz aber hören wir, wie es mit
Hohn und Verachtung in Eueren Ländern von der öffentlichen Meinung
beantwortet wird, von jener öffentlichen Meinung, die stets nur bereit
ist, des Gegners Motive herabzusetzen, seine Worte zu mißdeuten, seine
Absichten zu verleumden, den Haß zu schüren und auf den Riesen-
scheiterhaufen von Mißgunst und Verleumdung, auf dem die europäische
Menschheit zu verbrennen droht, neue Scheiter zu werfen. O, wir
kennen sie ja selbst zu gut, diese „öffentliche Meinung“, und wir wissen,
wie weit sie davon entfernt ist, der wahre Ausdruck des Volksdenkens
und -fühlens zu sein. Wir wissen es genau: es ist bei Euch wie bei uns,
ein jeder liebt sein Vaterland heiß und innig, und ist zu jedem Opfer
dafür bereit, ein jeder wünscht und fordert, daß sein Land ehrenvoll und
gesichert für die Zukunft aus dem Kampfe hervorgehe, aber übermächtig
sehnt sich ein jedes Herz nach Frieden. So wie es Anatole France,
der französische Dichter, jüngst aussprach: „Die Menschheit will keine
Worte des Hasses und der blinden Wut mehr hören, jeder verlangt nach
der himmlischen Musik des Friedens. Mütter, Frauen und Kinder
wünschen, daß der Sohn, der Mann, der Vater wieder zurückkehre,
wieder mit ihnen am Tisch sitze und wieder den Spaten zur Hand nehme,
um den vaterländischen Boden zu bebauen.“

Und darum wenden wir uns an Euch, Gefährtinnen: Seid Jhr der
wahre Dolmetsch Eurer Völker, sprecht zu Euren Regierungen und
warnet sie, daß sie nicht ohne weiteres ein Angebot, das vielleicht doch
den Keim des ersehnten Friedens in sich tragen könnte, von dem es
ebenso unwahr, daß es aus Schwäche, wie daß es aus Hochmut geboren
ist, zurückzuweisen, oder wendet ihren Sinn, wenn sie es in erster, selbst-

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[19/0018] schwören und täglich erneuern – und den unausgesprochen alle ver- stehen, weil wir gleich denken, fühlen und leiden. Wenn diese Katastrophe, die einmal im Rollen begriffen, durch keinen Protest der Menschlichkeit und der Vernunft aufzuhalten war, vorüber sein wird, dann wird man die Frauen aller Länder, die jetzt zu erzwungener Tatenlosigkeit verdammt sind, handelnd finden, um die Wiederholung solcher Zustände für ewig unmöglich zu machen. Das den französischen Frauen zum Gegengruß!“ Und Weihnachten 1916 sandten österreichische Frauen folgenden Appell an die Gefährtinnen in Feindesland: „Wieder naht sich das wundervolle Fest, an dem es heißt: „Friede sei auf Erden„, und noch immer lastet der furchtbare Alp des Krieges auf der Menschheit! Doch ein erster Hoffnungsschimmer winkt – wenigstens will es uns in unserem Lande so scheinen – in dem Friedensangebot der Mittel- mächte. Zu unserem großen Schmerz aber hören wir, wie es mit Hohn und Verachtung in Eueren Ländern von der öffentlichen Meinung beantwortet wird, von jener öffentlichen Meinung, die stets nur bereit ist, des Gegners Motive herabzusetzen, seine Worte zu mißdeuten, seine Absichten zu verleumden, den Haß zu schüren und auf den Riesen- scheiterhaufen von Mißgunst und Verleumdung, auf dem die europäische Menschheit zu verbrennen droht, neue Scheiter zu werfen. O, wir kennen sie ja selbst zu gut, diese „öffentliche Meinung“, und wir wissen, wie weit sie davon entfernt ist, der wahre Ausdruck des Volksdenkens und -fühlens zu sein. Wir wissen es genau: es ist bei Euch wie bei uns, ein jeder liebt sein Vaterland heiß und innig, und ist zu jedem Opfer dafür bereit, ein jeder wünscht und fordert, daß sein Land ehrenvoll und gesichert für die Zukunft aus dem Kampfe hervorgehe, aber übermächtig sehnt sich ein jedes Herz nach Frieden. So wie es Anatole France, der französische Dichter, jüngst aussprach: „Die Menschheit will keine Worte des Hasses und der blinden Wut mehr hören, jeder verlangt nach der himmlischen Musik des Friedens. Mütter, Frauen und Kinder wünschen, daß der Sohn, der Mann, der Vater wieder zurückkehre, wieder mit ihnen am Tisch sitze und wieder den Spaten zur Hand nehme, um den vaterländischen Boden zu bebauen.“ Und darum wenden wir uns an Euch, Gefährtinnen: Seid Jhr der wahre Dolmetsch Eurer Völker, sprecht zu Euren Regierungen und warnet sie, daß sie nicht ohne weiteres ein Angebot, das vielleicht doch den Keim des ersehnten Friedens in sich tragen könnte, von dem es ebenso unwahr, daß es aus Schwäche, wie daß es aus Hochmut geboren ist, zurückzuweisen, oder wendet ihren Sinn, wenn sie es in erster, selbst- 2*

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-10-19T08:47:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-10-19T08:47:15Z)

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: gekennzeichnet; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




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Zitationshilfe: Heymann, Lida Gustava: Frauenstimmrecht und Völkerverständigung. Leipzig, 1919 (= Nach dem Weltkrieg. Schriften zur Neuorientierung der auswärtigen Politik, Bd. 9), S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heymann_voelkerverstaendigung_1919/18>, abgerufen am 26.04.2024.