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Walcker, Karl: Die Frauenbewegung. Straßburg, 1896.

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Fachausdruck Verschwägerte mißverstanden. Er bezieht sich auf
Schwieger-Eltern und Kinder, Stief-Eltern und Kinder. Die in
England bekanntlich verbotene Ehe eines Wittwers mit seiner
Schwägerin soll bei uns erlaubt bleiben. Proteste gegen gewisse
Beschlüsse der Reichstagskommission für das Bürgerliche Gesetzbuch
wurden am 28. Mai 1896 in Kassel vom Bunde deutscher
Frauenvereine
und 29. Juni 1896 in einer Massenversammlung
deutscher Frauen in Berlin erhoben. Auch Sachsen, Süddeutschland
u. s. w. waren natürlich vertreten. Näheres darüber findet man in
Frauenzeitschriften, auch in verschiedenen Zeitungen.

Gelegentliche Ausführungen über die Frauenfrage finden sich
an unzähligen Orten, z. B. in der Bibel, bei Dichtern, Philosophen,
Statistikern, Nationalökonomen, auch im 1. und 3. Bande von
Roscher's System der Volkswirtschaft. Schopenhauer war ein
Ehefeind, aber nicht gerade ein Frauenfeind. Er soll so manche un-
platonische Beziehungen zum schönen Geschlecht gehabt haben.

Mein Essay "Der Anteil der Frauen am geistigen Leben" er-
schien 1893. Die "Gegenwart" 1895, Nr. 14, brachte von mir
einen Artikel "Die Aussichten der deutschen Frauenbewegung". Statt
A. v. Stein ist natürlich K. v. Stein zu lesen. Das darauf folgende
Wort "Bismarck" ist ein Zusatz der Redaktion. Sie hat wahrschein-
lich geglaubt, ich hätte diesen Namen im Versehen fortgelassen. Jch
habe ihn jedoch absichtlich nicht erwähnt. Jch bin der Überzeugung,
daß die Unähnlichkeiten zwischen dem Luther'schen und Bismarck'schen
Konservatismus viel größer sind, wie ihre Ähnlichkeiten. Jm ganzen
halte ich an den daselbst über die Frauenfrage geäußerten An-
schauungen fest, zweifle indes jetzt an der Richtigkeit des bekannten
Decenz-Arguments für Ärztinnen. "Dem Reinen ist Alles rein."
"Naturalia non sunt turpia." (Natürlicher Dinge braucht man sich
nicht zu schämen.) Es ist nicht anstößig, daß Männer als Frauen-
ärzte und Geburtshelfer fungieren, Magen- und Darmleiden auch bei
Frauen heilen, obgleich dabei die Frage nach dem "Stuhl" nicht
umgangen werden kann. Staatlich geprüfte Ärztinnen könnten auch
im Deutschen Reiche zugelassen werden, obgleich ihnen das Recht zu
schweren chirurgischen Operationen schwerlich zugestanden werden kann.
Alle Sachverständigen sollen dagegen sein.

Von Parteien in der deutschen Frauenbewegung kann
man nur in bedingter Weise sprechen. Unter den Frauen der Sozial-

Fachausdruck Verschwägerte mißverstanden. Er bezieht sich auf
Schwieger-Eltern und Kinder, Stief-Eltern und Kinder. Die in
England bekanntlich verbotene Ehe eines Wittwers mit seiner
Schwägerin soll bei uns erlaubt bleiben. Proteste gegen gewisse
Beschlüsse der Reichstagskommission für das Bürgerliche Gesetzbuch
wurden am 28. Mai 1896 in Kassel vom Bunde deutscher
Frauenvereine
und 29. Juni 1896 in einer Massenversammlung
deutscher Frauen in Berlin erhoben. Auch Sachsen, Süddeutschland
u. s. w. waren natürlich vertreten. Näheres darüber findet man in
Frauenzeitschriften, auch in verschiedenen Zeitungen.

Gelegentliche Ausführungen über die Frauenfrage finden sich
an unzähligen Orten, z. B. in der Bibel, bei Dichtern, Philosophen,
Statistikern, Nationalökonomen, auch im 1. und 3. Bande von
Roscher's System der Volkswirtschaft. Schopenhauer war ein
Ehefeind, aber nicht gerade ein Frauenfeind. Er soll so manche un-
platonische Beziehungen zum schönen Geschlecht gehabt haben.

Mein Essay „Der Anteil der Frauen am geistigen Leben“ er-
schien 1893. Die „Gegenwart“ 1895, Nr. 14, brachte von mir
einen Artikel „Die Aussichten der deutschen Frauenbewegung“. Statt
A. v. Stein ist natürlich K. v. Stein zu lesen. Das darauf folgende
Wort „Bismarck“ ist ein Zusatz der Redaktion. Sie hat wahrschein-
lich geglaubt, ich hätte diesen Namen im Versehen fortgelassen. Jch
habe ihn jedoch absichtlich nicht erwähnt. Jch bin der Überzeugung,
daß die Unähnlichkeiten zwischen dem Luther‘schen und Bismarck'schen
Konservatismus viel größer sind, wie ihre Ähnlichkeiten. Jm ganzen
halte ich an den daselbst über die Frauenfrage geäußerten An-
schauungen fest, zweifle indes jetzt an der Richtigkeit des bekannten
Decenz-Arguments für Ärztinnen. „Dem Reinen ist Alles rein.“
«Naturalia non sunt turpia.» (Natürlicher Dinge braucht man sich
nicht zu schämen.) Es ist nicht anstößig, daß Männer als Frauen-
ärzte und Geburtshelfer fungieren, Magen- und Darmleiden auch bei
Frauen heilen, obgleich dabei die Frage nach dem „Stuhl“ nicht
umgangen werden kann. Staatlich geprüfte Ärztinnen könnten auch
im Deutschen Reiche zugelassen werden, obgleich ihnen das Recht zu
schweren chirurgischen Operationen schwerlich zugestanden werden kann.
Alle Sachverständigen sollen dagegen sein.

Von Parteien in der deutschen Frauenbewegung kann
man nur in bedingter Weise sprechen. Unter den Frauen der Sozial-

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[11/0017] Fachausdruck Verschwägerte mißverstanden. Er bezieht sich auf Schwieger-Eltern und Kinder, Stief-Eltern und Kinder. Die in England bekanntlich verbotene Ehe eines Wittwers mit seiner Schwägerin soll bei uns erlaubt bleiben. Proteste gegen gewisse Beschlüsse der Reichstagskommission für das Bürgerliche Gesetzbuch wurden am 28. Mai 1896 in Kassel vom Bunde deutscher Frauenvereine und 29. Juni 1896 in einer Massenversammlung deutscher Frauen in Berlin erhoben. Auch Sachsen, Süddeutschland u. s. w. waren natürlich vertreten. Näheres darüber findet man in Frauenzeitschriften, auch in verschiedenen Zeitungen. Gelegentliche Ausführungen über die Frauenfrage finden sich an unzähligen Orten, z. B. in der Bibel, bei Dichtern, Philosophen, Statistikern, Nationalökonomen, auch im 1. und 3. Bande von Roscher's System der Volkswirtschaft. Schopenhauer war ein Ehefeind, aber nicht gerade ein Frauenfeind. Er soll so manche un- platonische Beziehungen zum schönen Geschlecht gehabt haben. Mein Essay „Der Anteil der Frauen am geistigen Leben“ er- schien 1893. Die „Gegenwart“ 1895, Nr. 14, brachte von mir einen Artikel „Die Aussichten der deutschen Frauenbewegung“. Statt A. v. Stein ist natürlich K. v. Stein zu lesen. Das darauf folgende Wort „Bismarck“ ist ein Zusatz der Redaktion. Sie hat wahrschein- lich geglaubt, ich hätte diesen Namen im Versehen fortgelassen. Jch habe ihn jedoch absichtlich nicht erwähnt. Jch bin der Überzeugung, daß die Unähnlichkeiten zwischen dem Luther‘schen und Bismarck'schen Konservatismus viel größer sind, wie ihre Ähnlichkeiten. Jm ganzen halte ich an den daselbst über die Frauenfrage geäußerten An- schauungen fest, zweifle indes jetzt an der Richtigkeit des bekannten Decenz-Arguments für Ärztinnen. „Dem Reinen ist Alles rein.“ «Naturalia non sunt turpia.» (Natürlicher Dinge braucht man sich nicht zu schämen.) Es ist nicht anstößig, daß Männer als Frauen- ärzte und Geburtshelfer fungieren, Magen- und Darmleiden auch bei Frauen heilen, obgleich dabei die Frage nach dem „Stuhl“ nicht umgangen werden kann. Staatlich geprüfte Ärztinnen könnten auch im Deutschen Reiche zugelassen werden, obgleich ihnen das Recht zu schweren chirurgischen Operationen schwerlich zugestanden werden kann. Alle Sachverständigen sollen dagegen sein. Von Parteien in der deutschen Frauenbewegung kann man nur in bedingter Weise sprechen. Unter den Frauen der Sozial-  

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2018-04-09T14:25:10Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2018-04-09T14:25:10Z)

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Zitationshilfe: Walcker, Karl: Die Frauenbewegung. Straßburg, 1896, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/walcker_frauenbewegung_1896/17>, abgerufen am 26.04.2024.