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Walcker, Karl: Die Frauenbewegung. Straßburg, 1896.

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der Ansicht, daß dieser Fortschritt bereits im ersten Viertel des
20. Jahrhunderts zu erwarten ist.
B. Der Spott der Witzblätter und Philister über alte Mädchen
und Junggesellen enthält viel Übertriebenes und Ungerechtes.
Wenn alle Herren und Damen einer feinen Gesellschaft Handschuhe
anhaben, so kann kein Fremder die Verheirateten und Unverheirateten
mit irgend welcher Sicherheit unterscheiden. Es giebt Unverheiratete
beiderlei Geschlechts, die infolge ihrer glücklichen Naturanlagen und
Verhältnisse viel gesunder, heiterer, liebenswürdiger, tüchtiger sind,
wie so manche Ehegatten. Unverheiratet sein heißt auch nicht familien-
los sein (!), wie viele Autoren und Autorinnen gedankenloser Weise
voraussetzen. Unzählige Mädchen sind Pflegerinnen, Hausgenossinnen
oder Wirtschafterinnen ihrer Väter, Mütter, Tanten, Brüder, Schwestern,
Neffen, Nichten. Die AstronominKaroline Herschel war eine er-
folgreiche Mitarbeiterin ihres Bruders. Neander's Schwester führte
ihrem Bruder, Gambetta's Tante ihrem Neffen die Wirtschaft u.s.w.
C. Sog. Privatdetektiv-Bureaus lassen Männer und Frauen
heimlich beobachten, um Materialien zu einer Ehebruchsklage zu
sammeln. Auf eine solche Spionage können sich Rechtsschutzvereine
und Ehrengerichte natürlich nicht einlassen, aber sie können gegen
stadtkundige Ehebrecher und Ehebrecherinnen und gegen solche
Junggesellen einschreiten, welche ihr Vermögen mit Maitressen ver-
schwenden. Heutzutage kommt es dagegen vor, daß A die Frau B's
verführt; daß B gezwungen wird, sich mit A zu duellieren; daß er
tot geschossen wird; daß A und Frau B von feudalen Männern und
Frauen so angesehen werden, als ob nichts geschehen wäre. Ehren-
gerichte
, welche über Ehestreitigkeiten und Ehebrüche urteilen, könnten,
natürlich unter dem Vorsitze eines Mannes, zur Hälfte aus Männern
und Frauen
bestehen.

Das Frauenstimmrecht ist schon deshalb verwerflich, weil
es den Ultramontanen, den Polen und, infolge von Wahlbeeinflussungen,
den Feudalen nützen würde. Die Ultramontanen wollen die Ehe-
scheidung
als unkirchlich ganz abschaffen, die Feudalen wollen sie zu
sehr erschweren. Beide berufen sich dabei mit Unrecht auf die Heilig-
keit, die Würde der Ehe. Die Würde des Amtes erfordert die Ab-
setzung eines trunksüchtigen Offiziers, Richters, Geistlichen. Ähnlich
erfordert die Würde der Ehe die Scheidung einer unwürdig gewordenen
Ehe. Die ultramontane Renommage mit der Unlösbarkeit der katho-

der Ansicht, daß dieser Fortschritt bereits im ersten Viertel des
20. Jahrhunderts zu erwarten ist.
B. Der Spott der Witzblätter und Philister über alte Mädchen
und Junggesellen enthält viel Übertriebenes und Ungerechtes.
Wenn alle Herren und Damen einer feinen Gesellschaft Handschuhe
anhaben, so kann kein Fremder die Verheirateten und Unverheirateten
mit irgend welcher Sicherheit unterscheiden. Es giebt Unverheiratete
beiderlei Geschlechts, die infolge ihrer glücklichen Naturanlagen und
Verhältnisse viel gesunder, heiterer, liebenswürdiger, tüchtiger sind,
wie so manche Ehegatten. Unverheiratet sein heißt auch nicht familien-
los sein (!), wie viele Autoren und Autorinnen gedankenloser Weise
voraussetzen. Unzählige Mädchen sind Pflegerinnen, Hausgenossinnen
oder Wirtschafterinnen ihrer Väter, Mütter, Tanten, Brüder, Schwestern,
Neffen, Nichten. Die AstronominKaroline Herschel war eine er-
folgreiche Mitarbeiterin ihres Bruders. Neander's Schwester führte
ihrem Bruder, Gambetta's Tante ihrem Neffen die Wirtschaft u.s.w.
C. Sog. Privatdetektiv-Bureaus lassen Männer und Frauen
heimlich beobachten, um Materialien zu einer Ehebruchsklage zu
sammeln. Auf eine solche Spionage können sich Rechtsschutzvereine
und Ehrengerichte natürlich nicht einlassen, aber sie können gegen
stadtkundige Ehebrecher und Ehebrecherinnen und gegen solche
Junggesellen einschreiten, welche ihr Vermögen mit Maitressen ver-
schwenden. Heutzutage kommt es dagegen vor, daß A die Frau B’s
verführt; daß B gezwungen wird, sich mit A zu duellieren; daß er
tot geschossen wird; daß A und Frau B von feudalen Männern und
Frauen so angesehen werden, als ob nichts geschehen wäre. Ehren-
gerichte
, welche über Ehestreitigkeiten und Ehebrüche urteilen, könnten,
natürlich unter dem Vorsitze eines Mannes, zur Hälfte aus Männern
und Frauen
bestehen.

Das Frauenstimmrecht ist schon deshalb verwerflich, weil
es den Ultramontanen, den Polen und, infolge von Wahlbeeinflussungen,
den Feudalen nützen würde. Die Ultramontanen wollen die Ehe-
scheidung
als unkirchlich ganz abschaffen, die Feudalen wollen sie zu
sehr erschweren. Beide berufen sich dabei mit Unrecht auf die Heilig-
keit, die Würde der Ehe. Die Würde des Amtes erfordert die Ab-
setzung eines trunksüchtigen Offiziers, Richters, Geistlichen. Ähnlich
erfordert die Würde der Ehe die Scheidung einer unwürdig gewordenen
Ehe. Die ultramontane Renommage mit der Unlösbarkeit der katho-

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[31/0037] der Ansicht, daß dieser Fortschritt bereits im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts zu erwarten ist. B. Der Spott der Witzblätter und Philister über alte Mädchen und Junggesellen enthält viel Übertriebenes und Ungerechtes. Wenn alle Herren und Damen einer feinen Gesellschaft Handschuhe anhaben, so kann kein Fremder die Verheirateten und Unverheirateten mit irgend welcher Sicherheit unterscheiden. Es giebt Unverheiratete beiderlei Geschlechts, die infolge ihrer glücklichen Naturanlagen und Verhältnisse viel gesunder, heiterer, liebenswürdiger, tüchtiger sind, wie so manche Ehegatten. Unverheiratet sein heißt auch nicht familien- los sein (!), wie viele Autoren und Autorinnen gedankenloser Weise voraussetzen. Unzählige Mädchen sind Pflegerinnen, Hausgenossinnen oder Wirtschafterinnen ihrer Väter, Mütter, Tanten, Brüder, Schwestern, Neffen, Nichten. Die AstronominKaroline Herschel war eine er- folgreiche Mitarbeiterin ihres Bruders. Neander's Schwester führte ihrem Bruder, Gambetta's Tante ihrem Neffen die Wirtschaft u.s.w. C. Sog. Privatdetektiv-Bureaus lassen Männer und Frauen heimlich beobachten, um Materialien zu einer Ehebruchsklage zu sammeln. Auf eine solche Spionage können sich Rechtsschutzvereine und Ehrengerichte natürlich nicht einlassen, aber sie können gegen stadtkundige Ehebrecher und Ehebrecherinnen und gegen solche Junggesellen einschreiten, welche ihr Vermögen mit Maitressen ver- schwenden. Heutzutage kommt es dagegen vor, daß A die Frau B’s verführt; daß B gezwungen wird, sich mit A zu duellieren; daß er tot geschossen wird; daß A und Frau B von feudalen Männern und Frauen so angesehen werden, als ob nichts geschehen wäre. Ehren- gerichte, welche über Ehestreitigkeiten und Ehebrüche urteilen, könnten, natürlich unter dem Vorsitze eines Mannes, zur Hälfte aus Männern und Frauen bestehen. Das Frauenstimmrecht ist schon deshalb verwerflich, weil es den Ultramontanen, den Polen und, infolge von Wahlbeeinflussungen, den Feudalen nützen würde. Die Ultramontanen wollen die Ehe- scheidung als unkirchlich ganz abschaffen, die Feudalen wollen sie zu sehr erschweren. Beide berufen sich dabei mit Unrecht auf die Heilig- keit, die Würde der Ehe. Die Würde des Amtes erfordert die Ab- setzung eines trunksüchtigen Offiziers, Richters, Geistlichen. Ähnlich erfordert die Würde der Ehe die Scheidung einer unwürdig gewordenen Ehe. Die ultramontane Renommage mit der Unlösbarkeit der katho-  

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Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2018-04-09T14:25:10Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2018-04-09T14:25:10Z)

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Zitationshilfe: Walcker, Karl: Die Frauenbewegung. Straßburg, 1896, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/walcker_frauenbewegung_1896/37>, abgerufen am 26.04.2024.