Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schweinitz, George Herman von: Eröffneter Schauplatz Des Menschlichen Lebens/ in der Abdanckungs-Handlung. Zittau, 1671.

Bild:
<< vorherige Seite

Abdanckung.
der wohl-temperirte Herbst/ die reiffe Vollkommen-
heit/ und endlich der kalte Winter den anständigen
Sarg im Söller oder Keller/ und das behörige Grab
in Leibern/ theils der Menschen/ theils des Viehes.
Hergegen/ wir elende Menschen/ wie ist die Beschaf-
fenheit unsers Gelücks und Gemüths so mancherley/
wie wunderlich differiren die Complexionen des
menschlichen Leibes/ und was vor mixtionen und
Vermischungen entstehen aus denselben: Wie hat
die Natur so ungleiche ausgetheilet ihre Freygebig-
keit und Kargheit/ in diesem oder jenem Subjecto; Wie
wenig sind einander im Glücke und Unglücke gleich;
Wie wenig haben ebenmäßige Gesundheit und Wohl-
stand; Wie wenig haben einerley Neigung; Wie we-
nig haben ohne geschminckte Gleißnerey vereinbahr-
te deutsche Aufrichtigkeit und Treue/ und so ferner.
Wie unterschieden/ sind die Menschen den Tugenden
ergeben/ oder mit dem Wust der Laster beflecket?
Gleichfals/ wer erreicht ein ebenmäßiges hohes Al-
ter wie Etliche/ und wer erlanget dieses was die mei-
sten euserst wüntschen/ nehmlich die grauen Haare/
welche doch selten ohne Beschwerligkeiten und Unge-
legenheiten getragen werden? Traun Wenige.
Wie viel werden abgerissen in der aufgehenden Knospe
ihrer zarten Kindheit? Wie viel müssen von hinnen
in der Hoffnungs-vollen Blüthe der Jugend? Wie
viel geniessen kaum der vollständigen Frucht des
Männlichen Alters? daß also freylich die Anzahl de-
rer/ welche in das gar graue und hohe Alter kommen/
geringe/ darnebenst/ so der Zustand/ als die Eigen-
schafft der Menschen ungleiche/ unbeständig und viel-

fältig

Abdanckung.
der wohl-temperirte Herbſt/ die reiffe Vollkommen-
heit/ und endlich der kalte Winter den anſtaͤndigen
Sarg im Soͤller oder Keller/ und das behoͤrige Grab
in Leibern/ theils der Menſchen/ theils des Viehes.
Hergegen/ wir elende Menſchen/ wie iſt die Beſchaf-
fenheit unſers Geluͤcks und Gemuͤths ſo mancherley/
wie wunderlich differiren die Complexionen des
menſchlichen Leibes/ und was vor mixtionen und
Vermiſchungen entſtehen aus denſelben: Wie hat
die Natur ſo ungleiche ausgetheilet ihre Freygebig-
keit und Kargheit/ in dieſem oder jenem Subjectô; Wie
wenig ſind einander im Gluͤcke und Ungluͤcke gleich;
Wie wenig haben ebenmaͤßige Geſundheit und Wohl-
ſtand; Wie wenig haben einerley Neigung; Wie we-
nig haben ohne geſchminckte Gleißnerey vereinbahr-
te deutſche Aufrichtigkeit und Treue/ und ſo ferner.
Wie unterſchieden/ ſind die Menſchen den Tugenden
ergeben/ oder mit dem Wuſt der Laſter beflecket?
Gleichfals/ wer erreicht ein ebenmaͤßiges hohes Al-
ter wie Etliche/ und wer erlanget dieſes was die mei-
ſten euſerſt wuͤntſchen/ nehmlich die grauen Haare/
welche doch ſelten ohne Beſchwerligkeiten und Unge-
legenheiten getragen werden? Traun Wenige.
Wie viel werden abgeriſſen in der aufgehenden Knoſpe
ihrer zarten Kindheit? Wie viel muͤſſen von hinnen
in der Hoffnungs-vollen Bluͤthe der Jugend? Wie
viel genieſſen kaum der vollſtaͤndigen Frucht des
Maͤnnlichen Alters? daß alſo freylich die Anzahl de-
rer/ welche in das gar graue und hohe Alter kommen/
geringe/ darnebenſt/ ſo der Zuſtand/ als die Eigen-
ſchafft der Menſchen ungleiche/ unbeſtaͤndig und viel-

faͤltig
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="fsThanks" n="1">
        <p><pb facs="#f0004"/><fw type="header" place="top"><hi rendition="#b">Abdanckung.</hi></fw><lb/>
der wohl-<hi rendition="#aq">temperir</hi>te Herb&#x017F;t/ die reiffe Vollkommen-<lb/>
heit/ und endlich der kalte Winter den an&#x017F;ta&#x0364;ndigen<lb/>
Sarg im So&#x0364;ller oder Keller/ und das beho&#x0364;rige Grab<lb/>
in Leibern/ theils der Men&#x017F;chen/ theils des Viehes.<lb/>
Hergegen/ wir elende Men&#x017F;chen/ wie i&#x017F;t die Be&#x017F;chaf-<lb/>
fenheit un&#x017F;ers Gelu&#x0364;cks und Gemu&#x0364;ths &#x017F;o mancherley/<lb/>
wie wunderlich <hi rendition="#aq">differi</hi>ren die <hi rendition="#aq">Complexionen</hi> des<lb/>
men&#x017F;chlichen Leibes/ und was vor <hi rendition="#aq">mixtio</hi>nen und<lb/>
Vermi&#x017F;chungen ent&#x017F;tehen aus den&#x017F;elben: Wie hat<lb/>
die Natur &#x017F;o ungleiche ausgetheilet ihre Freygebig-<lb/>
keit und Kargheit/ in die&#x017F;em oder jenem <hi rendition="#aq">Subjectô;</hi> Wie<lb/>
wenig &#x017F;ind einander im Glu&#x0364;cke und Unglu&#x0364;cke gleich;<lb/>
Wie wenig haben ebenma&#x0364;ßige Ge&#x017F;undheit und Wohl-<lb/>
&#x017F;tand; Wie wenig haben einerley Neigung; Wie we-<lb/>
nig haben ohne ge&#x017F;chminckte Gleißnerey vereinbahr-<lb/>
te deut&#x017F;che Aufrichtigkeit und Treue/ und &#x017F;o ferner.<lb/>
Wie unter&#x017F;chieden/ &#x017F;ind die Men&#x017F;chen den Tugenden<lb/>
ergeben/ oder mit dem Wu&#x017F;t der La&#x017F;ter beflecket?<lb/>
Gleichfals/ wer erreicht ein ebenma&#x0364;ßiges hohes Al-<lb/>
ter wie Etliche/ und wer erlanget die&#x017F;es was die mei-<lb/>
&#x017F;ten eu&#x017F;er&#x017F;t wu&#x0364;nt&#x017F;chen/ nehmlich die grauen Haare/<lb/>
welche doch &#x017F;elten ohne Be&#x017F;chwerligkeiten und Unge-<lb/>
legenheiten getragen werden? Traun Wenige.<lb/>
Wie viel werden abgeri&#x017F;&#x017F;en in der aufgehenden Kno&#x017F;pe<lb/>
ihrer zarten Kindheit? Wie viel mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en von hinnen<lb/>
in der Hoffnungs-vollen Blu&#x0364;the der Jugend? Wie<lb/>
viel genie&#x017F;&#x017F;en kaum der voll&#x017F;ta&#x0364;ndigen Frucht des<lb/>
Ma&#x0364;nnlichen Alters? daß al&#x017F;o freylich die Anzahl de-<lb/>
rer/ welche in das gar graue und hohe Alter kommen/<lb/>
geringe/ darneben&#x017F;t/ &#x017F;o der Zu&#x017F;tand/ als die Eigen-<lb/>
&#x017F;chafft der Men&#x017F;chen ungleiche/ unbe&#x017F;ta&#x0364;ndig und viel-<lb/>
<fw type="catch" place="bottom">fa&#x0364;ltig</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0004] Abdanckung. der wohl-temperirte Herbſt/ die reiffe Vollkommen- heit/ und endlich der kalte Winter den anſtaͤndigen Sarg im Soͤller oder Keller/ und das behoͤrige Grab in Leibern/ theils der Menſchen/ theils des Viehes. Hergegen/ wir elende Menſchen/ wie iſt die Beſchaf- fenheit unſers Geluͤcks und Gemuͤths ſo mancherley/ wie wunderlich differiren die Complexionen des menſchlichen Leibes/ und was vor mixtionen und Vermiſchungen entſtehen aus denſelben: Wie hat die Natur ſo ungleiche ausgetheilet ihre Freygebig- keit und Kargheit/ in dieſem oder jenem Subjectô; Wie wenig ſind einander im Gluͤcke und Ungluͤcke gleich; Wie wenig haben ebenmaͤßige Geſundheit und Wohl- ſtand; Wie wenig haben einerley Neigung; Wie we- nig haben ohne geſchminckte Gleißnerey vereinbahr- te deutſche Aufrichtigkeit und Treue/ und ſo ferner. Wie unterſchieden/ ſind die Menſchen den Tugenden ergeben/ oder mit dem Wuſt der Laſter beflecket? Gleichfals/ wer erreicht ein ebenmaͤßiges hohes Al- ter wie Etliche/ und wer erlanget dieſes was die mei- ſten euſerſt wuͤntſchen/ nehmlich die grauen Haare/ welche doch ſelten ohne Beſchwerligkeiten und Unge- legenheiten getragen werden? Traun Wenige. Wie viel werden abgeriſſen in der aufgehenden Knoſpe ihrer zarten Kindheit? Wie viel muͤſſen von hinnen in der Hoffnungs-vollen Bluͤthe der Jugend? Wie viel genieſſen kaum der vollſtaͤndigen Frucht des Maͤnnlichen Alters? daß alſo freylich die Anzahl de- rer/ welche in das gar graue und hohe Alter kommen/ geringe/ darnebenſt/ ſo der Zuſtand/ als die Eigen- ſchafft der Menſchen ungleiche/ unbeſtaͤndig und viel- faͤltig

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/354512
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/354512/4
Zitationshilfe: Schweinitz, George Herman von: Eröffneter Schauplatz Des Menschlichen Lebens/ in der Abdanckungs-Handlung. Zittau, 1671, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/354512/4>, abgerufen am 09.11.2024.