Adler, Emma: Die berühmten Frauen der französischen Revolution 1789–1795. Wien, 1906.und schrieb an Roland, dass ihre Befürchtungen wegen ihres Vaters nur zu sehr gerechtfertigt waren, und da sie ihm vor anderen Missgeschick bewahren wolle, bitte sie ihn, auf seine Absichten zu verzichten. Sie sagte dann ihrem Vater, in welche Lage sein Benehmen sie versetzt habe, und was sie zu tun genötigt gewesen wäre. Auch nehme sie weiters an, dass er nicht überrascht sein werde, dass sie nach alldem ihre Lage zu ändern wünsche und entschlossen sei, in dasselbe Kloster zu gehen, in welchem sie als Kind ein Jahr zugebracht hatte. Sie wurde an ihrem Vorsatze nicht gehindert und nahm dort Wohnung. Sie war fest entschlossen, mit den wenigen Mitteln, die sie besass, auszukommen. Erdäpfel, Reis, Fisolen mit etwas Butter und Salz bildeten ihre Nahrung und erforderten nicht viel Zeit zu ihrer Bereitung. Zweimal die Woche ging sie aus. Einmal zu ihrer Grossmutter, einmal zu ihrem Vater, um nach seiner Wirtschaft zu sehen und die Wäsche in Ordnung zu bringen; die zerrissene Wäsche nahm sie zum Flicken mit. Die übrige Zeit lebte sie in ihren vier Wänden eingeschlossen, ganz ihren Studien geweiht. Sie stärkte ihr Herz gegen das widrige Schicksal, sie rächte sich, indem sie das Glück zu gewinnen suchte, das ihr das Schicksal nicht gewähren wollte. Nicht immer war sie von Melancholie frei, aber auch diese hatte ihren Reiz und wenn Manon nicht glücklich war, so hatte sie wenigstens alles was nötig war, um es zu sein. Sie empfand einen Stolz, alles entbehren zu können was ihr fehlte. Herr Roland war erstaunt und betrübt, er fuhr fort, ihr wie ein Liebender zu schreiben, den jedoch das Benehmen des Vaters verletzt hatte. Nach Verlauf eines halben Jahres kam er an das Gitter des Sprechzimmers ins Kloster und fand zu seiner Ueberraschung Manon in blühender Gesundheit. Er wollte sie aus dem Kloster entfernen und bot ihr noch einmal seine Hand an. Sie machte dabei eine sonderbare Betrachtung. Sie fand, dass ein anderer Mann, der nicht fünfundvierzig alt gewesen und schrieb an Roland, dass ihre Befürchtungen wegen ihres Vaters nur zu sehr gerechtfertigt waren, und da sie ihm vor anderen Missgeschick bewahren wolle, bitte sie ihn, auf seine Absichten zu verzichten. Sie sagte dann ihrem Vater, in welche Lage sein Benehmen sie versetzt habe, und was sie zu tun genötigt gewesen wäre. Auch nehme sie weiters an, dass er nicht überrascht sein werde, dass sie nach alldem ihre Lage zu ändern wünsche und entschlossen sei, in dasselbe Kloster zu gehen, in welchem sie als Kind ein Jahr zugebracht hatte. Sie wurde an ihrem Vorsatze nicht gehindert und nahm dort Wohnung. Sie war fest entschlossen, mit den wenigen Mitteln, die sie besass, auszukommen. Erdäpfel, Reis, Fisolen mit etwas Butter und Salz bildeten ihre Nahrung und erforderten nicht viel Zeit zu ihrer Bereitung. Zweimal die Woche ging sie aus. Einmal zu ihrer Grossmutter, einmal zu ihrem Vater, um nach seiner Wirtschaft zu sehen und die Wäsche in Ordnung zu bringen; die zerrissene Wäsche nahm sie zum Flicken mit. Die übrige Zeit lebte sie in ihren vier Wänden eingeschlossen, ganz ihren Studien geweiht. Sie stärkte ihr Herz gegen das widrige Schicksal, sie rächte sich, indem sie das Glück zu gewinnen suchte, das ihr das Schicksal nicht gewähren wollte. Nicht immer war sie von Melancholie frei, aber auch diese hatte ihren Reiz und wenn Manon nicht glücklich war, so hatte sie wenigstens alles was nötig war, um es zu sein. Sie empfand einen Stolz, alles entbehren zu können was ihr fehlte. Herr Roland war erstaunt und betrübt, er fuhr fort, ihr wie ein Liebender zu schreiben, den jedoch das Benehmen des Vaters verletzt hatte. Nach Verlauf eines halben Jahres kam er an das Gitter des Sprechzimmers ins Kloster und fand zu seiner Ueberraschung Manon in blühender Gesundheit. Er wollte sie aus dem Kloster entfernen und bot ihr noch einmal seine Hand an. Sie machte dabei eine sonderbare Betrachtung. Sie fand, dass ein anderer Mann, der nicht fünfundvierzig alt gewesen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0107" n="88"/> und schrieb an Roland, dass ihre Befürchtungen wegen ihres Vaters nur zu sehr gerechtfertigt waren, und da sie ihm vor anderen Missgeschick bewahren wolle, bitte sie ihn, auf seine Absichten zu verzichten. Sie sagte dann ihrem Vater, in welche Lage sein Benehmen sie versetzt habe, und was sie zu tun genötigt gewesen wäre. Auch nehme sie weiters an, dass er nicht überrascht sein werde, dass sie nach alldem ihre Lage zu ändern wünsche und entschlossen sei, in dasselbe Kloster zu gehen, in welchem sie als Kind ein Jahr zugebracht hatte.</p> <p>Sie wurde an ihrem Vorsatze nicht gehindert und nahm dort Wohnung. Sie war fest entschlossen, mit den wenigen Mitteln, die sie besass, auszukommen. Erdäpfel, Reis, Fisolen mit etwas Butter und Salz bildeten ihre Nahrung und erforderten nicht viel Zeit zu ihrer Bereitung. Zweimal die Woche ging sie aus. Einmal zu ihrer Grossmutter, einmal zu ihrem Vater, um nach seiner Wirtschaft zu sehen und die Wäsche in Ordnung zu bringen; die zerrissene Wäsche nahm sie zum Flicken mit. Die übrige Zeit lebte sie in ihren vier Wänden eingeschlossen, ganz ihren Studien geweiht. Sie stärkte ihr Herz gegen das widrige Schicksal, sie rächte sich, indem sie das Glück zu gewinnen suchte, das ihr das Schicksal nicht gewähren wollte. Nicht immer war sie von Melancholie frei, aber auch diese hatte ihren Reiz und wenn Manon nicht glücklich war, so hatte sie wenigstens alles was nötig war, um es zu sein. Sie empfand einen Stolz, alles entbehren zu können was ihr fehlte.</p> <p>Herr Roland war erstaunt und betrübt, er fuhr fort, ihr wie ein Liebender zu schreiben, den jedoch das Benehmen des Vaters verletzt hatte. Nach Verlauf eines halben Jahres kam er an das Gitter des Sprechzimmers ins Kloster und fand zu seiner Ueberraschung Manon in blühender Gesundheit. Er wollte sie aus dem Kloster entfernen und bot ihr noch einmal seine Hand an. Sie machte dabei eine sonderbare Betrachtung. Sie fand, dass ein anderer Mann, der nicht fünfundvierzig alt gewesen </p> </div> </body> </text> </TEI> [88/0107]
und schrieb an Roland, dass ihre Befürchtungen wegen ihres Vaters nur zu sehr gerechtfertigt waren, und da sie ihm vor anderen Missgeschick bewahren wolle, bitte sie ihn, auf seine Absichten zu verzichten. Sie sagte dann ihrem Vater, in welche Lage sein Benehmen sie versetzt habe, und was sie zu tun genötigt gewesen wäre. Auch nehme sie weiters an, dass er nicht überrascht sein werde, dass sie nach alldem ihre Lage zu ändern wünsche und entschlossen sei, in dasselbe Kloster zu gehen, in welchem sie als Kind ein Jahr zugebracht hatte.
Sie wurde an ihrem Vorsatze nicht gehindert und nahm dort Wohnung. Sie war fest entschlossen, mit den wenigen Mitteln, die sie besass, auszukommen. Erdäpfel, Reis, Fisolen mit etwas Butter und Salz bildeten ihre Nahrung und erforderten nicht viel Zeit zu ihrer Bereitung. Zweimal die Woche ging sie aus. Einmal zu ihrer Grossmutter, einmal zu ihrem Vater, um nach seiner Wirtschaft zu sehen und die Wäsche in Ordnung zu bringen; die zerrissene Wäsche nahm sie zum Flicken mit. Die übrige Zeit lebte sie in ihren vier Wänden eingeschlossen, ganz ihren Studien geweiht. Sie stärkte ihr Herz gegen das widrige Schicksal, sie rächte sich, indem sie das Glück zu gewinnen suchte, das ihr das Schicksal nicht gewähren wollte. Nicht immer war sie von Melancholie frei, aber auch diese hatte ihren Reiz und wenn Manon nicht glücklich war, so hatte sie wenigstens alles was nötig war, um es zu sein. Sie empfand einen Stolz, alles entbehren zu können was ihr fehlte.
Herr Roland war erstaunt und betrübt, er fuhr fort, ihr wie ein Liebender zu schreiben, den jedoch das Benehmen des Vaters verletzt hatte. Nach Verlauf eines halben Jahres kam er an das Gitter des Sprechzimmers ins Kloster und fand zu seiner Ueberraschung Manon in blühender Gesundheit. Er wollte sie aus dem Kloster entfernen und bot ihr noch einmal seine Hand an. Sie machte dabei eine sonderbare Betrachtung. Sie fand, dass ein anderer Mann, der nicht fünfundvierzig alt gewesen
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