Adler, Emma: Die berühmten Frauen der französischen Revolution 1789–1795. Wien, 1906.kam ihnen verdächtig vor, sie glaubten in ihm einen Feind der Republik zu erkennen. Sie verhafteten ihn. Er gab an, Pierre Simon zu heissen. Er konnte aber keinen Schritt gehen, seine Füsse waren von dem ungewohnten und langdauernden Wandern im Walde angeschwollen und blutig aufgeschunden. Man band ihn auf eine Schindmähre, um ihn in das Gefängnis von Bourg-la-Reine zu eskortieren. Tags darauf, um vier Uhr nachmittags, fand ihn der Kerkermeister leblos am Boden hingestreckt. Er hatte sich vergiftet. Während mehrerer Monate blieb der Tod Condorcets unbekannt. Seine Familie glaubte, dass er sich in die Schweiz geflüchtet habe. Unterdessen wurde sein Eigentum als der Besitz eines Emigranten eingezogen und verkauft. Seine Frau war ruiniert. Anfänglich dachte sie daran, nach Villette zu ihrem Vater zu gehen, aber sie gab diesen Plan bald auf, weil sie es für ihre Pflicht hielt, in der Nähe des Geächteten zu bleiben. Madame de Condorcet entliess ihre Dienerschaft und die Lehrerin ihrer Tochter, und besorgte alle Arbeit selbst. Mit dem Rest des Geldes, der ihr geblieben war, kaufte sie ein kleines Wäschegeschäft und stellte dort einen Bruder des Sekretärs ihres Mannes an. Sie selbst richtete sich nebenan ein kleines Atelier ein und malte Miniaturbilder für Geld. Oft malte sie Geächtete in ihren Verstecken, damit deren Familien wenigstens dieses Andenken an die Unglücklichen blieb. Auf der Suche nach ihrem Mann, um sich den Zutritt in die Gefängnisse zu erobern, malte sie häufig die Kerkermeister, Soldaten und Wachen umsonst, um sie günstig zu stimmen. Während dieser endlosen Stunden sass sie in der rauchigen, übelriechenden Wachstube, hörte die zynischen, groben Witze der berauschten Wachen an, ohne merken zu lassen, wie sehr sie sich gedemütigt und verletzt fühlte. Die grausamen Redensarten, die damals ihr Ohr beleidigten, blieben ihr Leben hindurch eine schreckliche und schmerzliche Erinnerung. kam ihnen verdächtig vor, sie glaubten in ihm einen Feind der Republik zu erkennen. Sie verhafteten ihn. Er gab an, Pierre Simon zu heissen. Er konnte aber keinen Schritt gehen, seine Füsse waren von dem ungewohnten und langdauernden Wandern im Walde angeschwollen und blutig aufgeschunden. Man band ihn auf eine Schindmähre, um ihn in das Gefängnis von Bourg-la-Reine zu eskortieren. Tags darauf, um vier Uhr nachmittags, fand ihn der Kerkermeister leblos am Boden hingestreckt. Er hatte sich vergiftet. Während mehrerer Monate blieb der Tod Condorcets unbekannt. Seine Familie glaubte, dass er sich in die Schweiz geflüchtet habe. Unterdessen wurde sein Eigentum als der Besitz eines Emigranten eingezogen und verkauft. Seine Frau war ruiniert. Anfänglich dachte sie daran, nach Villette zu ihrem Vater zu gehen, aber sie gab diesen Plan bald auf, weil sie es für ihre Pflicht hielt, in der Nähe des Geächteten zu bleiben. Madame de Condorcet entliess ihre Dienerschaft und die Lehrerin ihrer Tochter, und besorgte alle Arbeit selbst. Mit dem Rest des Geldes, der ihr geblieben war, kaufte sie ein kleines Wäschegeschäft und stellte dort einen Bruder des Sekretärs ihres Mannes an. Sie selbst richtete sich nebenan ein kleines Atelier ein und malte Miniaturbilder für Geld. Oft malte sie Geächtete in ihren Verstecken, damit deren Familien wenigstens dieses Andenken an die Unglücklichen blieb. Auf der Suche nach ihrem Mann, um sich den Zutritt in die Gefängnisse zu erobern, malte sie häufig die Kerkermeister, Soldaten und Wachen umsonst, um sie günstig zu stimmen. Während dieser endlosen Stunden sass sie in der rauchigen, übelriechenden Wachstube, hörte die zynischen, groben Witze der berauschten Wachen an, ohne merken zu lassen, wie sehr sie sich gedemütigt und verletzt fühlte. Die grausamen Redensarten, die damals ihr Ohr beleidigten, blieben ihr Leben hindurch eine schreckliche und schmerzliche Erinnerung. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0262" n="238"/> kam ihnen verdächtig vor, sie glaubten in ihm einen Feind der Republik zu erkennen. Sie verhafteten ihn. Er gab an, Pierre Simon zu heissen. Er konnte aber keinen Schritt gehen, seine Füsse waren von dem ungewohnten und langdauernden Wandern im Walde angeschwollen und blutig aufgeschunden. Man band ihn auf eine Schindmähre, um ihn in das Gefängnis von Bourg-la-Reine zu eskortieren.</p> <p>Tags darauf, um vier Uhr nachmittags, fand ihn der Kerkermeister leblos am Boden hingestreckt. Er hatte sich vergiftet.</p> <p>Während mehrerer Monate blieb der Tod Condorcets unbekannt. Seine Familie glaubte, dass er sich in die Schweiz geflüchtet habe. Unterdessen wurde sein Eigentum als der Besitz eines Emigranten eingezogen und verkauft.</p> <p>Seine Frau war ruiniert. Anfänglich dachte sie daran, nach Villette zu ihrem Vater zu gehen, aber sie gab diesen Plan bald auf, weil sie es für ihre Pflicht hielt, in der Nähe des Geächteten zu bleiben.</p> <p>Madame de Condorcet entliess ihre Dienerschaft und die Lehrerin ihrer Tochter, und besorgte alle Arbeit selbst. Mit dem Rest des Geldes, der ihr geblieben war, kaufte sie ein kleines Wäschegeschäft und stellte dort einen Bruder des Sekretärs ihres Mannes an. Sie selbst richtete sich nebenan ein kleines Atelier ein und malte Miniaturbilder für Geld. Oft malte sie Geächtete in ihren Verstecken, damit deren Familien wenigstens dieses Andenken an die Unglücklichen blieb. Auf der Suche nach ihrem Mann, um sich den Zutritt in die Gefängnisse zu erobern, malte sie häufig die Kerkermeister, Soldaten und Wachen umsonst, um sie günstig zu stimmen. Während dieser endlosen Stunden sass sie in der rauchigen, übelriechenden Wachstube, hörte die zynischen, groben Witze der berauschten Wachen an, ohne merken zu lassen, wie sehr sie sich gedemütigt und verletzt fühlte. Die grausamen Redensarten, die damals ihr Ohr beleidigten, blieben ihr Leben hindurch eine schreckliche und schmerzliche Erinnerung.</p> </div> </body> </text> </TEI> [238/0262]
kam ihnen verdächtig vor, sie glaubten in ihm einen Feind der Republik zu erkennen. Sie verhafteten ihn. Er gab an, Pierre Simon zu heissen. Er konnte aber keinen Schritt gehen, seine Füsse waren von dem ungewohnten und langdauernden Wandern im Walde angeschwollen und blutig aufgeschunden. Man band ihn auf eine Schindmähre, um ihn in das Gefängnis von Bourg-la-Reine zu eskortieren.
Tags darauf, um vier Uhr nachmittags, fand ihn der Kerkermeister leblos am Boden hingestreckt. Er hatte sich vergiftet.
Während mehrerer Monate blieb der Tod Condorcets unbekannt. Seine Familie glaubte, dass er sich in die Schweiz geflüchtet habe. Unterdessen wurde sein Eigentum als der Besitz eines Emigranten eingezogen und verkauft.
Seine Frau war ruiniert. Anfänglich dachte sie daran, nach Villette zu ihrem Vater zu gehen, aber sie gab diesen Plan bald auf, weil sie es für ihre Pflicht hielt, in der Nähe des Geächteten zu bleiben.
Madame de Condorcet entliess ihre Dienerschaft und die Lehrerin ihrer Tochter, und besorgte alle Arbeit selbst. Mit dem Rest des Geldes, der ihr geblieben war, kaufte sie ein kleines Wäschegeschäft und stellte dort einen Bruder des Sekretärs ihres Mannes an. Sie selbst richtete sich nebenan ein kleines Atelier ein und malte Miniaturbilder für Geld. Oft malte sie Geächtete in ihren Verstecken, damit deren Familien wenigstens dieses Andenken an die Unglücklichen blieb. Auf der Suche nach ihrem Mann, um sich den Zutritt in die Gefängnisse zu erobern, malte sie häufig die Kerkermeister, Soldaten und Wachen umsonst, um sie günstig zu stimmen. Während dieser endlosen Stunden sass sie in der rauchigen, übelriechenden Wachstube, hörte die zynischen, groben Witze der berauschten Wachen an, ohne merken zu lassen, wie sehr sie sich gedemütigt und verletzt fühlte. Die grausamen Redensarten, die damals ihr Ohr beleidigten, blieben ihr Leben hindurch eine schreckliche und schmerzliche Erinnerung.
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