Adler, Emma: Die berühmten Frauen der französischen Revolution 1789–1795. Wien, 1906.veranlassen, deren Gesellschaft zu fliehen, sich mehr und mehr von der Welt zurückzuziehen und ihre Neigung zur Einsamkeit zu befestigen. Ihre wahren Freunde waren ihre Bücher. Die Philosophie drang auch in die Klöster ein. Zufällige und wenig gewählte Lektüre kamen Charlotte in die Hände. Raynal und Rousseau, alles durcheinander, mit Ungestüm griff sie nach den entgegengesetzten Büchern. In ihrer Vorstellung lebte sie unter den Helden Plutarchs, im Elysium, unter jenen, die ihr Leben dahingegeben hatten, um ewig zu leben. Als die Klöster aufgehoben wurden und ihr Vater sich wieder verehelichte, flüchtete sie nach Caen zu einer alten Tante, Madame de Breteville. Dort fasste sie auch ihren Entschluss. Nicht ohne Zaudern. Einen Augenblick wurde sie von dem Gedanken an die alte Dame, die sie so freundschaftlich aufgenommen hatte und die sie nun so grausam kompromittieren sollte, zurückgehalten. Als ihre Tante sie eines Tages weinend fand und sie nach der Ursache fragte, sagte ihr Charlotte: "Ich weine über Frankreich, über meine Verwandten und über Sie. So lange Marat lebt, ist niemand auch nur einen Tag seines Lebens sicher." Seit der Abreise der Volontäre von Caen hatte Charlotte Corday nur einen Gedanken, der Ankunft dieser Männer in Paris zuvorzukommen, das Leben jener, das sie grossmütig opfern wollten, zu retten und ihre Vaterlandsliebe überflüssig zu machen, indem sie vor ihnen Frankreich von der Tyrannei erlöste. Aber abgesehen von ihrem Opfermut für diese Männer, war es vor allem ihre Vaterlandsliebe, die sie zu diesem Schritte antrieb. Eine Vorahnung des kommenden Schreckens durchlief schon damals Frankreich. Das Schafott war in Paris aufgerichtet; man sprach davon, es in der ganzen Republik umherzuführen. Die Macht des Berges und Marats sollte siegen, und sollte sie sich nur durch die Hand des Henkers halten können. Man sprach davon, Marat hätte schon die veranlassen, deren Gesellschaft zu fliehen, sich mehr und mehr von der Welt zurückzuziehen und ihre Neigung zur Einsamkeit zu befestigen. Ihre wahren Freunde waren ihre Bücher. Die Philosophie drang auch in die Klöster ein. Zufällige und wenig gewählte Lektüre kamen Charlotte in die Hände. Raynal und Rousseau, alles durcheinander, mit Ungestüm griff sie nach den entgegengesetzten Büchern. In ihrer Vorstellung lebte sie unter den Helden Plutarchs, im Elysium, unter jenen, die ihr Leben dahingegeben hatten, um ewig zu leben. Als die Klöster aufgehoben wurden und ihr Vater sich wieder verehelichte, flüchtete sie nach Caen zu einer alten Tante, Madame de Breteville. Dort fasste sie auch ihren Entschluss. Nicht ohne Zaudern. Einen Augenblick wurde sie von dem Gedanken an die alte Dame, die sie so freundschaftlich aufgenommen hatte und die sie nun so grausam kompromittieren sollte, zurückgehalten. Als ihre Tante sie eines Tages weinend fand und sie nach der Ursache fragte, sagte ihr Charlotte: „Ich weine über Frankreich, über meine Verwandten und über Sie. So lange Marat lebt, ist niemand auch nur einen Tag seines Lebens sicher.“ Seit der Abreise der Volontäre von Caen hatte Charlotte Corday nur einen Gedanken, der Ankunft dieser Männer in Paris zuvorzukommen, das Leben jener, das sie grossmütig opfern wollten, zu retten und ihre Vaterlandsliebe überflüssig zu machen, indem sie vor ihnen Frankreich von der Tyrannei erlöste. Aber abgesehen von ihrem Opfermut für diese Männer, war es vor allem ihre Vaterlandsliebe, die sie zu diesem Schritte antrieb. Eine Vorahnung des kommenden Schreckens durchlief schon damals Frankreich. Das Schafott war in Paris aufgerichtet; man sprach davon, es in der ganzen Republik umherzuführen. Die Macht des Berges und Marats sollte siegen, und sollte sie sich nur durch die Hand des Henkers halten können. Man sprach davon, Marat hätte schon die <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0046" n="28"/> veranlassen, deren Gesellschaft zu fliehen, sich mehr und mehr von der Welt zurückzuziehen und ihre Neigung zur Einsamkeit zu befestigen.</p> <p>Ihre wahren Freunde waren ihre Bücher. Die Philosophie drang auch in die Klöster ein. Zufällige und wenig gewählte Lektüre kamen Charlotte in die Hände. Raynal und Rousseau, alles durcheinander, mit Ungestüm griff sie nach den entgegengesetzten Büchern. In ihrer Vorstellung lebte sie unter den Helden Plutarchs, im Elysium, unter jenen, die ihr Leben dahingegeben hatten, um ewig zu leben.</p> <p>Als die Klöster aufgehoben wurden und ihr Vater sich wieder verehelichte, flüchtete sie nach Caen zu einer alten Tante, Madame de Breteville. Dort fasste sie auch ihren Entschluss. Nicht ohne Zaudern. Einen Augenblick wurde sie von dem Gedanken an die alte Dame, die sie so freundschaftlich aufgenommen hatte und die sie nun so grausam kompromittieren sollte, zurückgehalten.</p> <p>Als ihre Tante sie eines Tages weinend fand und sie nach der Ursache fragte, sagte ihr Charlotte: „Ich weine über Frankreich, über meine Verwandten und über Sie. So lange Marat lebt, ist niemand auch nur einen Tag seines Lebens sicher.“</p> <p>Seit der Abreise der Volontäre von Caen hatte Charlotte Corday nur einen Gedanken, der Ankunft dieser Männer in Paris zuvorzukommen, das Leben jener, das sie grossmütig opfern wollten, zu retten und ihre Vaterlandsliebe überflüssig zu machen, indem sie vor ihnen Frankreich von der Tyrannei erlöste. Aber abgesehen von ihrem Opfermut für diese Männer, war es vor allem ihre Vaterlandsliebe, die sie zu diesem Schritte antrieb.</p> <p>Eine Vorahnung des kommenden Schreckens durchlief schon damals Frankreich. Das Schafott war in Paris aufgerichtet; man sprach davon, es in der ganzen Republik umherzuführen. Die Macht des Berges und Marats sollte siegen, und sollte sie sich nur durch die Hand des Henkers halten können. Man sprach davon, Marat hätte schon die </p> </div> </body> </text> </TEI> [28/0046]
veranlassen, deren Gesellschaft zu fliehen, sich mehr und mehr von der Welt zurückzuziehen und ihre Neigung zur Einsamkeit zu befestigen.
Ihre wahren Freunde waren ihre Bücher. Die Philosophie drang auch in die Klöster ein. Zufällige und wenig gewählte Lektüre kamen Charlotte in die Hände. Raynal und Rousseau, alles durcheinander, mit Ungestüm griff sie nach den entgegengesetzten Büchern. In ihrer Vorstellung lebte sie unter den Helden Plutarchs, im Elysium, unter jenen, die ihr Leben dahingegeben hatten, um ewig zu leben.
Als die Klöster aufgehoben wurden und ihr Vater sich wieder verehelichte, flüchtete sie nach Caen zu einer alten Tante, Madame de Breteville. Dort fasste sie auch ihren Entschluss. Nicht ohne Zaudern. Einen Augenblick wurde sie von dem Gedanken an die alte Dame, die sie so freundschaftlich aufgenommen hatte und die sie nun so grausam kompromittieren sollte, zurückgehalten.
Als ihre Tante sie eines Tages weinend fand und sie nach der Ursache fragte, sagte ihr Charlotte: „Ich weine über Frankreich, über meine Verwandten und über Sie. So lange Marat lebt, ist niemand auch nur einen Tag seines Lebens sicher.“
Seit der Abreise der Volontäre von Caen hatte Charlotte Corday nur einen Gedanken, der Ankunft dieser Männer in Paris zuvorzukommen, das Leben jener, das sie grossmütig opfern wollten, zu retten und ihre Vaterlandsliebe überflüssig zu machen, indem sie vor ihnen Frankreich von der Tyrannei erlöste. Aber abgesehen von ihrem Opfermut für diese Männer, war es vor allem ihre Vaterlandsliebe, die sie zu diesem Schritte antrieb.
Eine Vorahnung des kommenden Schreckens durchlief schon damals Frankreich. Das Schafott war in Paris aufgerichtet; man sprach davon, es in der ganzen Republik umherzuführen. Die Macht des Berges und Marats sollte siegen, und sollte sie sich nur durch die Hand des Henkers halten können. Man sprach davon, Marat hätte schon die
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