Adler, Emma: Die berühmten Frauen der französischen Revolution 1789–1795. Wien, 1906.Kummer empfunden habe, ihrem Wesen nach oft dem völlig entgegengesetzt sind, was andere darüber urteilen könnten. Weil das Glück mehr von den Gefühlen als von den Begebenheiten abhängt. Ich nehme mir vor, die Musse meiner Gefangenschaft zu benützen, um mir alles, was mich persönlich betrifft, von meiner zartesten Kindheit bis zu diesem Augenblick, wieder ins Gedächtnis zu rufen. Es heisst ein zweitesmal leben, wenn man sich auf diese Weise zu allen Spuren seiner Lebensbahn zurückversetzt. Und was kann man im Gefängnis besseres tun, als sein Dasein durch eine glückliche Täuschung, oder durch interessante Erinnerungen, anderswohin zu verlegen? Wenn sich die Erfahrung weniger durch die Macht des Handelns als durch die des Nachdenkens über das, was man sieht und das was man tut, erwerben lässt, so kann sich die meinige durch das Unternehmen, das ich beginne, sehr steigern. Die öffentlichen Angelegenheiten, meine persönlichen Empfindungen boten mir seit den zwei Monaten meiner Haft genug Stoff zu denken und zu schreiben, ohne dass ich es nötig hätte, auf so weit fernliegende Zeiten zurückzugreifen. Die fünf ersten Wochen waren der Aufzeichnung historischer Notizen gewidmet, deren Sammlung vielleicht nicht ohne Wert war. Sie sind eben vernichtet worden.*) Ich habe die ganze Bitterkeit dieses Verlustes gefühlt, den ich nicht mehr werde gut machen können; aber ich würde mich gegen mich selbst empören, wenn ich mich, durch was immer es auch sei, niederschlagen liesse. In allen Leiden, die ich erduldet habe, ist der lebhafteste Eindruck des Schmerzes fast gleichzeitig von dem Streben begleitet, meine Kräfte dem Schmerz, dessen Gegenstand ich bin, entgegen zu stellen und ihn zu überwinden, entweder durch das Gute, das ich andern tue, oder durch die *) Dies war ein Irrtum. Ein Fragment wurde gerettet, das im Beginn des I. Bandes ihrer Memoiren aufgenommen ist. (Anm. d. V.)
Kummer empfunden habe, ihrem Wesen nach oft dem völlig entgegengesetzt sind, was andere darüber urteilen könnten. Weil das Glück mehr von den Gefühlen als von den Begebenheiten abhängt. Ich nehme mir vor, die Musse meiner Gefangenschaft zu benützen, um mir alles, was mich persönlich betrifft, von meiner zartesten Kindheit bis zu diesem Augenblick, wieder ins Gedächtnis zu rufen. Es heisst ein zweitesmal leben, wenn man sich auf diese Weise zu allen Spuren seiner Lebensbahn zurückversetzt. Und was kann man im Gefängnis besseres tun, als sein Dasein durch eine glückliche Täuschung, oder durch interessante Erinnerungen, anderswohin zu verlegen? Wenn sich die Erfahrung weniger durch die Macht des Handelns als durch die des Nachdenkens über das, was man sieht und das was man tut, erwerben lässt, so kann sich die meinige durch das Unternehmen, das ich beginne, sehr steigern. Die öffentlichen Angelegenheiten, meine persönlichen Empfindungen boten mir seit den zwei Monaten meiner Haft genug Stoff zu denken und zu schreiben, ohne dass ich es nötig hätte, auf so weit fernliegende Zeiten zurückzugreifen. Die fünf ersten Wochen waren der Aufzeichnung historischer Notizen gewidmet, deren Sammlung vielleicht nicht ohne Wert war. Sie sind eben vernichtet worden.*) Ich habe die ganze Bitterkeit dieses Verlustes gefühlt, den ich nicht mehr werde gut machen können; aber ich würde mich gegen mich selbst empören, wenn ich mich, durch was immer es auch sei, niederschlagen liesse. In allen Leiden, die ich erduldet habe, ist der lebhafteste Eindruck des Schmerzes fast gleichzeitig von dem Streben begleitet, meine Kräfte dem Schmerz, dessen Gegenstand ich bin, entgegen zu stellen und ihn zu überwinden, entweder durch das Gute, das ich andern tue, oder durch die *) Dies war ein Irrtum. Ein Fragment wurde gerettet, das im Beginn des I. Bandes ihrer Memoiren aufgenommen ist. (Anm. d. V.)
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0069" n="50"/> Kummer empfunden habe, ihrem Wesen nach oft dem völlig entgegengesetzt sind, was andere darüber urteilen könnten. Weil das Glück mehr von den Gefühlen als von den Begebenheiten abhängt.</p> <p>Ich nehme mir vor, die Musse meiner Gefangenschaft zu benützen, um mir alles, was mich persönlich betrifft, von meiner zartesten Kindheit bis zu diesem Augenblick, wieder ins Gedächtnis zu rufen. Es heisst ein zweitesmal leben, wenn man sich auf diese Weise zu allen Spuren seiner Lebensbahn zurückversetzt. Und was kann man im Gefängnis besseres tun, als sein Dasein durch eine glückliche Täuschung, oder durch interessante Erinnerungen, anderswohin zu verlegen? Wenn sich die Erfahrung weniger durch die Macht des Handelns als durch die des Nachdenkens über das, was man sieht und das was man tut, erwerben lässt, so kann sich die meinige durch das Unternehmen, das ich beginne, sehr steigern.</p> <p>Die öffentlichen Angelegenheiten, meine persönlichen Empfindungen boten mir seit den zwei Monaten meiner Haft genug Stoff zu denken und zu schreiben, ohne dass ich es nötig hätte, auf so weit fernliegende Zeiten zurückzugreifen. Die fünf ersten Wochen waren der Aufzeichnung historischer Notizen gewidmet, deren Sammlung vielleicht nicht ohne Wert war. Sie sind eben vernichtet worden.<note place="foot" n="*)">Dies war ein Irrtum. Ein Fragment wurde gerettet, das im Beginn des I. Bandes ihrer Memoiren aufgenommen ist. (Anm. d. V.)</note></p> <p>Ich habe die ganze Bitterkeit dieses Verlustes gefühlt, den ich nicht mehr werde gut machen können; aber ich würde mich gegen mich selbst empören, wenn ich mich, durch was immer es auch sei, niederschlagen liesse. In allen Leiden, die ich erduldet habe, ist der lebhafteste Eindruck des Schmerzes fast gleichzeitig von dem Streben begleitet, meine Kräfte dem Schmerz, dessen Gegenstand ich bin, entgegen zu stellen und ihn zu überwinden, entweder durch das Gute, das ich andern tue, oder durch die </p> </div> </body> </text> </TEI> [50/0069]
Kummer empfunden habe, ihrem Wesen nach oft dem völlig entgegengesetzt sind, was andere darüber urteilen könnten. Weil das Glück mehr von den Gefühlen als von den Begebenheiten abhängt.
Ich nehme mir vor, die Musse meiner Gefangenschaft zu benützen, um mir alles, was mich persönlich betrifft, von meiner zartesten Kindheit bis zu diesem Augenblick, wieder ins Gedächtnis zu rufen. Es heisst ein zweitesmal leben, wenn man sich auf diese Weise zu allen Spuren seiner Lebensbahn zurückversetzt. Und was kann man im Gefängnis besseres tun, als sein Dasein durch eine glückliche Täuschung, oder durch interessante Erinnerungen, anderswohin zu verlegen? Wenn sich die Erfahrung weniger durch die Macht des Handelns als durch die des Nachdenkens über das, was man sieht und das was man tut, erwerben lässt, so kann sich die meinige durch das Unternehmen, das ich beginne, sehr steigern.
Die öffentlichen Angelegenheiten, meine persönlichen Empfindungen boten mir seit den zwei Monaten meiner Haft genug Stoff zu denken und zu schreiben, ohne dass ich es nötig hätte, auf so weit fernliegende Zeiten zurückzugreifen. Die fünf ersten Wochen waren der Aufzeichnung historischer Notizen gewidmet, deren Sammlung vielleicht nicht ohne Wert war. Sie sind eben vernichtet worden. *)
Ich habe die ganze Bitterkeit dieses Verlustes gefühlt, den ich nicht mehr werde gut machen können; aber ich würde mich gegen mich selbst empören, wenn ich mich, durch was immer es auch sei, niederschlagen liesse. In allen Leiden, die ich erduldet habe, ist der lebhafteste Eindruck des Schmerzes fast gleichzeitig von dem Streben begleitet, meine Kräfte dem Schmerz, dessen Gegenstand ich bin, entgegen zu stellen und ihn zu überwinden, entweder durch das Gute, das ich andern tue, oder durch die
*) Dies war ein Irrtum. Ein Fragment wurde gerettet, das im Beginn des I. Bandes ihrer Memoiren aufgenommen ist. (Anm. d. V.)
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