Adler, Emma: Die berühmten Frauen der französischen Revolution 1789–1795. Wien, 1906.Kind blickte sie unbeweglich an, nahm das Glas und leerte es auf einen Zug. Madame Roland sagt in ihren Memoiren bei Erinnerung an diese ungerechte Züchtigung: "Alle Einzelheiten dieser Szene sind mir so gegenwärtig, als hätten sie sich erst kürzlich zugetragen. Alle Eindrücke, die ich empfunden habe, sind mir noch so deutlich, es ist dieselbe Steifheit, die ich seither auch in den feierlichen Augenblicken eintreten fühle, und ich brauche heute nicht mehr zu tun, um stolz auf das Schafott zu steigen, als ich damals tat, mich der barbarischen Behandlung zu überlassen, die mich wohl hätte töten aber nicht bezwingen können." Seit jenen Schlägen hatte der Vater sie nicht mehr gezüchtigt, er gab ihr auch nicht den geringsten Verweis. Er liebkoste sie häufiger als früher, unterwies sie im Zeichnen, führte sie auf die Promenade, und dies alles mit einer Güte, die ihn in den Augen Manons wieder ehrwürdiger erscheinen liess und ihm von ihrer Seite völligen Gehorsam sicherte. Ihr siebenter Geburtstag wurde wie der Eintritt in das Alter der Vernunft feierlich begangen. Ihr Dasein verlief sanft im häuslichen Frieden und einer grossen geistigen Tätigkeit. Die Mutter war fast unausgesetzt zu Hause und verkehrte nur mit sehr wenigen Leuten. Zweimal die Woche gingen sie zu den Grosseltern väterlicher Seite. Auch die Grossmutter Bimont wurde häufig besucht; sie war eine grosse, schöne Frau, die in früheren Jahren vom Schlage gerührt worden war. Ihr Geist blieb zeitlebens getrübt; sie war völlig stumpfsinnig. Die kleine Manon langweilte sich dort über alle Massen, sie begriff die traurige Krankheit nicht und wurde ärgerlich, wenn sie sah, dass die Grossmutter laut auflachen konnte, wenn sie niederfiel oder sich sonst weh tat, und dann weinte, wenn sie heiter war und sich freute. Wenn man sie aufklärte, es sei dies infolge ihrer Krankheit, so fühlte sie sich dadurch nicht weniger traurig. Das Schluchzen und sinnlose Schreien verletzten ihr Gefühl Kind blickte sie unbeweglich an, nahm das Glas und leerte es auf einen Zug. Madame Roland sagt in ihren Memoiren bei Erinnerung an diese ungerechte Züchtigung: „Alle Einzelheiten dieser Szene sind mir so gegenwärtig, als hätten sie sich erst kürzlich zugetragen. Alle Eindrücke, die ich empfunden habe, sind mir noch so deutlich, es ist dieselbe Steifheit, die ich seither auch in den feierlichen Augenblicken eintreten fühle, und ich brauche heute nicht mehr zu tun, um stolz auf das Schafott zu steigen, als ich damals tat, mich der barbarischen Behandlung zu überlassen, die mich wohl hätte töten aber nicht bezwingen können.“ Seit jenen Schlägen hatte der Vater sie nicht mehr gezüchtigt, er gab ihr auch nicht den geringsten Verweis. Er liebkoste sie häufiger als früher, unterwies sie im Zeichnen, führte sie auf die Promenade, und dies alles mit einer Güte, die ihn in den Augen Manons wieder ehrwürdiger erscheinen liess und ihm von ihrer Seite völligen Gehorsam sicherte. Ihr siebenter Geburtstag wurde wie der Eintritt in das Alter der Vernunft feierlich begangen. Ihr Dasein verlief sanft im häuslichen Frieden und einer grossen geistigen Tätigkeit. Die Mutter war fast unausgesetzt zu Hause und verkehrte nur mit sehr wenigen Leuten. Zweimal die Woche gingen sie zu den Grosseltern väterlicher Seite. Auch die Grossmutter Bimont wurde häufig besucht; sie war eine grosse, schöne Frau, die in früheren Jahren vom Schlage gerührt worden war. Ihr Geist blieb zeitlebens getrübt; sie war völlig stumpfsinnig. Die kleine Manon langweilte sich dort über alle Massen, sie begriff die traurige Krankheit nicht und wurde ärgerlich, wenn sie sah, dass die Grossmutter laut auflachen konnte, wenn sie niederfiel oder sich sonst weh tat, und dann weinte, wenn sie heiter war und sich freute. Wenn man sie aufklärte, es sei dies infolge ihrer Krankheit, so fühlte sie sich dadurch nicht weniger traurig. 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Er liebkoste sie häufiger als früher, unterwies sie im Zeichnen, führte sie auf die Promenade, und dies alles mit einer Güte, die ihn in den Augen Manons wieder ehrwürdiger erscheinen liess und ihm von ihrer Seite völligen Gehorsam sicherte.</p> <p>Ihr siebenter Geburtstag wurde wie der Eintritt in das Alter der Vernunft feierlich begangen. Ihr Dasein verlief sanft im häuslichen Frieden und einer grossen geistigen Tätigkeit. Die Mutter war fast unausgesetzt zu Hause und verkehrte nur mit sehr wenigen Leuten. Zweimal die Woche gingen sie zu den Grosseltern väterlicher Seite. Auch die Grossmutter Bimont wurde häufig besucht; sie war eine grosse, schöne Frau, die in früheren Jahren vom Schlage gerührt worden war. Ihr Geist blieb zeitlebens getrübt; sie war völlig stumpfsinnig. Die kleine Manon langweilte sich dort über alle Massen, sie begriff die traurige Krankheit nicht und wurde ärgerlich, wenn sie sah, dass die Grossmutter laut auflachen konnte, wenn sie niederfiel oder sich sonst weh tat, und dann weinte, wenn sie heiter war und sich freute. Wenn man sie aufklärte, es sei dies infolge ihrer Krankheit, so fühlte sie sich dadurch nicht weniger traurig. Das Schluchzen und sinnlose Schreien verletzten ihr Gefühl </p> </div> </body> </text> </TEI> [57/0076]
Kind blickte sie unbeweglich an, nahm das Glas und leerte es auf einen Zug.
Madame Roland sagt in ihren Memoiren bei Erinnerung an diese ungerechte Züchtigung: „Alle Einzelheiten dieser Szene sind mir so gegenwärtig, als hätten sie sich erst kürzlich zugetragen. Alle Eindrücke, die ich empfunden habe, sind mir noch so deutlich, es ist dieselbe Steifheit, die ich seither auch in den feierlichen Augenblicken eintreten fühle, und ich brauche heute nicht mehr zu tun, um stolz auf das Schafott zu steigen, als ich damals tat, mich der barbarischen Behandlung zu überlassen, die mich wohl hätte töten aber nicht bezwingen können.“
Seit jenen Schlägen hatte der Vater sie nicht mehr gezüchtigt, er gab ihr auch nicht den geringsten Verweis. Er liebkoste sie häufiger als früher, unterwies sie im Zeichnen, führte sie auf die Promenade, und dies alles mit einer Güte, die ihn in den Augen Manons wieder ehrwürdiger erscheinen liess und ihm von ihrer Seite völligen Gehorsam sicherte.
Ihr siebenter Geburtstag wurde wie der Eintritt in das Alter der Vernunft feierlich begangen. Ihr Dasein verlief sanft im häuslichen Frieden und einer grossen geistigen Tätigkeit. Die Mutter war fast unausgesetzt zu Hause und verkehrte nur mit sehr wenigen Leuten. Zweimal die Woche gingen sie zu den Grosseltern väterlicher Seite. Auch die Grossmutter Bimont wurde häufig besucht; sie war eine grosse, schöne Frau, die in früheren Jahren vom Schlage gerührt worden war. Ihr Geist blieb zeitlebens getrübt; sie war völlig stumpfsinnig. Die kleine Manon langweilte sich dort über alle Massen, sie begriff die traurige Krankheit nicht und wurde ärgerlich, wenn sie sah, dass die Grossmutter laut auflachen konnte, wenn sie niederfiel oder sich sonst weh tat, und dann weinte, wenn sie heiter war und sich freute. Wenn man sie aufklärte, es sei dies infolge ihrer Krankheit, so fühlte sie sich dadurch nicht weniger traurig. Das Schluchzen und sinnlose Schreien verletzten ihr Gefühl
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