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Adler, Alfred: Studie über Minderwertigkeit von Organen. Berlin u. a., 1907.

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Oberkiefers verloren und trägt seither ein falsches Gebiß. Gaumenreflex
des Patienten sowie seiner zwei Söhne ist hochgradig gesteigert. Der
Vater des Patienten ist an einer Lungenentzündung, die Mutter an
Magenkarzinom gestorben. Knapp unterhalb des Thoraxrandes,
ungefähr in der linken Mamillarlinie, sitzt ein erbsen-
großer Naevus pigmentosus
. Auf der linken Rückenhälfte sitzen
zwei kleine Neurofibrome, das größere, etwa erbsengroß, einen Finger
breit unter dem Angulus scapulae, das kleinere unter der Spina sc-
apulae. Nach unseren Auseinandersetzungen ist der Gedanke gerecht-
fertigt, daß von den zwei Neurofibromen das untere ein Erbstück der
Mutter, das obere das des Vaters ist.

Wer den Komponisten Bruckner kannte, wird sich erinnern, daß
er in der Höhe des Ohrläppchens unter dem Jochbogen einen Naevus
sitzen hatte. Ich möchte auch in diesem Falle einen Ausdruck der Ge-
hörsminderwertigkeit erblicken, der sich in segmentaler Anordnung
durchgesetzt hat. Die außerordentlich künstlerische Höhe hat Bruckner,
wie wahrscheinlich alle großen Komponisten, auf dem Wege der Über-
windung seiner Gehörsminderwertigkeit und ihrer Umwandlung in
geniales, schöpferisches Hören errungen.

Bevor wir dieses Kapitel schließen, wollen wir einigermaßen den
Anschluß an die bestehenden Ergebnisse der Pathologie bewerkstelligen.
Wie ich schon mehrmals erwähnt habe, wurde von Schick und Sorgo
der Zusammenhang von bestimmten Abänderungen der Brustdrüse und
der Lungentuberkulose nachgewiesen. Dieser Befund sowie die Hervor-
hebungen Fränkels bezüglich der Thoraxenge und Rothschilds bezüg-
lich des Sternalwinkels bei Lungentuberkulose scheinen mir, wenn auch
undeutlicher als meine Befunde, im Charakter der segmentalen Minder-
wertigkeit begründet zu sein. Nur daß in diesen Fällen ein vielleicht
noch nicht erkranktes Segment seine Minderwertigkeit deklariert, während
sich die Erkrankung in einem der angrenzenden oder nächstgelegenen
Segmente lokalisiert. Ich selbst habe einseitige oder doppelseitige Ver-
kleinerung des Warzenhofes, aber auch Verkürzung der Mamillae bei
Frauen gesehen, die wegen Mangel an Milch die Stillung aussetzen
mußten. Mangel an Milch sah ich auch bei Behaarung des Warzen-
hofes (Frau Lina T., deren Mutter an Mammakarzinom gestorben war).

IV. Reflexanomalien als Minderwertigkeitszeichen.

Daß sich die Minderwertigkeit nicht unter allen Umständen geltend
macht, haben wir öfters schon hervorgehoben. Hinzuzufügen wäre noch,

Oberkiefers verloren und trägt seither ein falsches Gebiß. Gaumenreflex
des Patienten sowie seiner zwei Söhne ist hochgradig gesteigert. Der
Vater des Patienten ist an einer Lungenentzündung, die Mutter an
Magenkarzinom gestorben. Knapp unterhalb des Thoraxrandes,
ungefähr in der linken Mamillarlinie, sitzt ein erbsen-
großer Naevus pigmentosus
. Auf der linken Rückenhälfte sitzen
zwei kleine Neurofibrome, das größere, etwa erbsengroß, einen Finger
breit unter dem Angulus scapulae, das kleinere unter der Spina sc-
apulae. Nach unseren Auseinandersetzungen ist der Gedanke gerecht-
fertigt, daß von den zwei Neurofibromen das untere ein Erbstück der
Mutter, das obere das des Vaters ist.

Wer den Komponisten Bruckner kannte, wird sich erinnern, daß
er in der Höhe des Ohrläppchens unter dem Jochbogen einen Naevus
sitzen hatte. Ich möchte auch in diesem Falle einen Ausdruck der Ge-
hörsminderwertigkeit erblicken, der sich in segmentaler Anordnung
durchgesetzt hat. Die außerordentlich künstlerische Höhe hat Bruckner,
wie wahrscheinlich alle großen Komponisten, auf dem Wege der Über-
windung seiner Gehörsminderwertigkeit und ihrer Umwandlung in
geniales, schöpferisches Hören errungen.

Bevor wir dieses Kapitel schließen, wollen wir einigermaßen den
Anschluß an die bestehenden Ergebnisse der Pathologie bewerkstelligen.
Wie ich schon mehrmals erwähnt habe, wurde von Schick und Sorgo
der Zusammenhang von bestimmten Abänderungen der Brustdrüse und
der Lungentuberkulose nachgewiesen. Dieser Befund sowie die Hervor-
hebungen Fränkels bezüglich der Thoraxenge und Rothschilds bezüg-
lich des Sternalwinkels bei Lungentuberkulose scheinen mir, wenn auch
undeutlicher als meine Befunde, im Charakter der segmentalen Minder-
wertigkeit begründet zu sein. Nur daß in diesen Fällen ein vielleicht
noch nicht erkranktes Segment seine Minderwertigkeit deklariert, während
sich die Erkrankung in einem der angrenzenden oder nächstgelegenen
Segmente lokalisiert. Ich selbst habe einseitige oder doppelseitige Ver-
kleinerung des Warzenhofes, aber auch Verkürzung der Mamillae bei
Frauen gesehen, die wegen Mangel an Milch die Stillung aussetzen
mußten. Mangel an Milch sah ich auch bei Behaarung des Warzen-
hofes (Frau Lina T., deren Mutter an Mammakarzinom gestorben war).

IV. Reflexanomalien als Minderwertigkeitszeichen.

Daß sich die Minderwertigkeit nicht unter allen Umständen geltend
macht, haben wir öfters schon hervorgehoben. Hinzuzufügen wäre noch,

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[43/0055] Oberkiefers verloren und trägt seither ein falsches Gebiß. Gaumenreflex des Patienten sowie seiner zwei Söhne ist hochgradig gesteigert. Der Vater des Patienten ist an einer Lungenentzündung, die Mutter an Magenkarzinom gestorben. Knapp unterhalb des Thoraxrandes, ungefähr in der linken Mamillarlinie, sitzt ein erbsen- großer Naevus pigmentosus. Auf der linken Rückenhälfte sitzen zwei kleine Neurofibrome, das größere, etwa erbsengroß, einen Finger breit unter dem Angulus scapulae, das kleinere unter der Spina sc- apulae. Nach unseren Auseinandersetzungen ist der Gedanke gerecht- fertigt, daß von den zwei Neurofibromen das untere ein Erbstück der Mutter, das obere das des Vaters ist. Wer den Komponisten Bruckner kannte, wird sich erinnern, daß er in der Höhe des Ohrläppchens unter dem Jochbogen einen Naevus sitzen hatte. Ich möchte auch in diesem Falle einen Ausdruck der Ge- hörsminderwertigkeit erblicken, der sich in segmentaler Anordnung durchgesetzt hat. Die außerordentlich künstlerische Höhe hat Bruckner, wie wahrscheinlich alle großen Komponisten, auf dem Wege der Über- windung seiner Gehörsminderwertigkeit und ihrer Umwandlung in geniales, schöpferisches Hören errungen. Bevor wir dieses Kapitel schließen, wollen wir einigermaßen den Anschluß an die bestehenden Ergebnisse der Pathologie bewerkstelligen. Wie ich schon mehrmals erwähnt habe, wurde von Schick und Sorgo der Zusammenhang von bestimmten Abänderungen der Brustdrüse und der Lungentuberkulose nachgewiesen. Dieser Befund sowie die Hervor- hebungen Fränkels bezüglich der Thoraxenge und Rothschilds bezüg- lich des Sternalwinkels bei Lungentuberkulose scheinen mir, wenn auch undeutlicher als meine Befunde, im Charakter der segmentalen Minder- wertigkeit begründet zu sein. Nur daß in diesen Fällen ein vielleicht noch nicht erkranktes Segment seine Minderwertigkeit deklariert, während sich die Erkrankung in einem der angrenzenden oder nächstgelegenen Segmente lokalisiert. Ich selbst habe einseitige oder doppelseitige Ver- kleinerung des Warzenhofes, aber auch Verkürzung der Mamillae bei Frauen gesehen, die wegen Mangel an Milch die Stillung aussetzen mußten. Mangel an Milch sah ich auch bei Behaarung des Warzen- hofes (Frau Lina T., deren Mutter an Mammakarzinom gestorben war). IV. Reflexanomalien als Minderwertigkeitszeichen. Daß sich die Minderwertigkeit nicht unter allen Umständen geltend macht, haben wir öfters schon hervorgehoben. Hinzuzufügen wäre noch,

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Zitationshilfe: Adler, Alfred: Studie über Minderwertigkeit von Organen. Berlin u. a., 1907, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/adler_studie_1907/55>, abgerufen am 24.11.2024.