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Adler, Alfred: Studie über Minderwertigkeit von Organen. Berlin u. a., 1907.

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Kindesalter deutlich geltend machen. Es handelt sich in allen diesen
Fällen um die große Zahl der scheuen, blassen, ängstlichen Kinder,
deren Entwicklung und Zukunft erst als gesichert angesehen werden
kann, wenn sie mit dem minderwertigen Organ ohne Schaden fertig
geworden sind, d. h. die Kompensation durchgeführt haben und mühe-
los leisten können. Andernfalls, wenn die Leistungen des Organes nicht
durch Überschuß aus dem Zentralnervensystem, sondern auf Kosten
desselben zustande kommen, wird sich die Mehrarbeit dauernd fühlbar
machen und bei geeigneten Anlässen, Gelegenheitsursachen, eine Kom-
pensationsstörung herbeiführen, die sich je nach ihrem Grade und der
momentanen psychischen Konstellation als Neurasthenie, Angst-, Zwangs-
neurose, Hysterie präsentieren wird.

An den Kinderfehlern, die in unserer Studie eine so große
Rolle spielen, und deren Verlauf sind Minderwertigkeit und Kompen-
sationsbestreben deutlich abzuschätzen. Jede freie Tätigkeit des Säug-
lings und Kindes ist mit Lust verbunden oder auf Lustgewinn be-
rechnet, Spielen, Springen, Laufen, Sehen, Hören, Saugen, Urin- und
Kotentleerung. Die daraus entspringenden Lustgefühle bilden recht
eigentlich das Band, mittelst dessen das Kind an seine Umgebung, mit
der äußeren Welt sozial verknüpft ist. Sie sind direkt wahrnehmbar,
haften an der Organbetätigung, und ihre Spuren sind im späteren Leben
oft leicht nachzuweisen. Die Lustbetonung ist es auch, die oft die Hart-
näckigkeit des Kinderfehlers verschuldet, so daß nicht selten der ge-
steigerte Wille des Kindes, die suggestive Wirkung irgend einer thera-
peutischen Handlung genügt, den Fehler zu beseitigen. Freud hat in
der Psychoanalyse der Neurosen diese primäre Lust nachgewiesen, und
auch ich konnte sie in meinen Fällen regelmäßig aufdecken. Über-
zeugend scheint mir ferner der Umstand zu sein, daß ich in den Träumen
gesunder Erwachsener, die in der Kindheit an solchen Fehlern gelitten
hatten, die Erinnerung an diese Lustempfindung in der Form eines im
Traume erfüllten Wunsches wiederfand. So in den Träumen solcher
Personen, die in ihrer Kindheit an Enuresis gelitten hatten und nun
in Intervallen von Wasser, vom Schwimmen oder von Feuer träumten.

Annähernd normale Organe, denen ein genügend aufnahmsfähiges
Zentralnervensystem entspricht, fügen sich anstandslos in die Forderung
der umgebenden Kultur. Kein Wunder, da sie selbst an dem Aufbau
und der Richtung dieser Kultur mitgeholfen hatten. Andrerseits können
wieder geänderte und gesteigerte äußere Ansprüche, Enttäuschungen,
Sorgen, traumatische Einflüsse, Erkrankungen, Milieuwechsel ein
Organ und damit seinen zentralen Überbau als minderwertig entlarven,

Kindesalter deutlich geltend machen. Es handelt sich in allen diesen
Fällen um die große Zahl der scheuen, blassen, ängstlichen Kinder,
deren Entwicklung und Zukunft erst als gesichert angesehen werden
kann, wenn sie mit dem minderwertigen Organ ohne Schaden fertig
geworden sind, d. h. die Kompensation durchgeführt haben und mühe-
los leisten können. Andernfalls, wenn die Leistungen des Organes nicht
durch Überschuß aus dem Zentralnervensystem, sondern auf Kosten
desselben zustande kommen, wird sich die Mehrarbeit dauernd fühlbar
machen und bei geeigneten Anlässen, Gelegenheitsursachen, eine Kom-
pensationsstörung herbeiführen, die sich je nach ihrem Grade und der
momentanen psychischen Konstellation als Neurasthenie, Angst-, Zwangs-
neurose, Hysterie präsentieren wird.

An den Kinderfehlern, die in unserer Studie eine so große
Rolle spielen, und deren Verlauf sind Minderwertigkeit und Kompen-
sationsbestreben deutlich abzuschätzen. Jede freie Tätigkeit des Säug-
lings und Kindes ist mit Lust verbunden oder auf Lustgewinn be-
rechnet, Spielen, Springen, Laufen, Sehen, Hören, Saugen, Urin- und
Kotentleerung. Die daraus entspringenden Lustgefühle bilden recht
eigentlich das Band, mittelst dessen das Kind an seine Umgebung, mit
der äußeren Welt sozial verknüpft ist. Sie sind direkt wahrnehmbar,
haften an der Organbetätigung, und ihre Spuren sind im späteren Leben
oft leicht nachzuweisen. Die Lustbetonung ist es auch, die oft die Hart-
näckigkeit des Kinderfehlers verschuldet, so daß nicht selten der ge-
steigerte Wille des Kindes, die suggestive Wirkung irgend einer thera-
peutischen Handlung genügt, den Fehler zu beseitigen. Freud hat in
der Psychoanalyse der Neurosen diese primäre Lust nachgewiesen, und
auch ich konnte sie in meinen Fällen regelmäßig aufdecken. Über-
zeugend scheint mir ferner der Umstand zu sein, daß ich in den Träumen
gesunder Erwachsener, die in der Kindheit an solchen Fehlern gelitten
hatten, die Erinnerung an diese Lustempfindung in der Form eines im
Traume erfüllten Wunsches wiederfand. So in den Träumen solcher
Personen, die in ihrer Kindheit an Enuresis gelitten hatten und nun
in Intervallen von Wasser, vom Schwimmen oder von Feuer träumten.

Annähernd normale Organe, denen ein genügend aufnahmsfähiges
Zentralnervensystem entspricht, fügen sich anstandslos in die Forderung
der umgebenden Kultur. Kein Wunder, da sie selbst an dem Aufbau
und der Richtung dieser Kultur mitgeholfen hatten. Andrerseits können
wieder geänderte und gesteigerte äußere Ansprüche, Enttäuschungen,
Sorgen, traumatische Einflüsse, Erkrankungen, Milieuwechsel ein
Organ und damit seinen zentralen Überbau als minderwertig entlarven,

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[63/0075] Kindesalter deutlich geltend machen. Es handelt sich in allen diesen Fällen um die große Zahl der scheuen, blassen, ängstlichen Kinder, deren Entwicklung und Zukunft erst als gesichert angesehen werden kann, wenn sie mit dem minderwertigen Organ ohne Schaden fertig geworden sind, d. h. die Kompensation durchgeführt haben und mühe- los leisten können. Andernfalls, wenn die Leistungen des Organes nicht durch Überschuß aus dem Zentralnervensystem, sondern auf Kosten desselben zustande kommen, wird sich die Mehrarbeit dauernd fühlbar machen und bei geeigneten Anlässen, Gelegenheitsursachen, eine Kom- pensationsstörung herbeiführen, die sich je nach ihrem Grade und der momentanen psychischen Konstellation als Neurasthenie, Angst-, Zwangs- neurose, Hysterie präsentieren wird. An den Kinderfehlern, die in unserer Studie eine so große Rolle spielen, und deren Verlauf sind Minderwertigkeit und Kompen- sationsbestreben deutlich abzuschätzen. Jede freie Tätigkeit des Säug- lings und Kindes ist mit Lust verbunden oder auf Lustgewinn be- rechnet, Spielen, Springen, Laufen, Sehen, Hören, Saugen, Urin- und Kotentleerung. Die daraus entspringenden Lustgefühle bilden recht eigentlich das Band, mittelst dessen das Kind an seine Umgebung, mit der äußeren Welt sozial verknüpft ist. Sie sind direkt wahrnehmbar, haften an der Organbetätigung, und ihre Spuren sind im späteren Leben oft leicht nachzuweisen. Die Lustbetonung ist es auch, die oft die Hart- näckigkeit des Kinderfehlers verschuldet, so daß nicht selten der ge- steigerte Wille des Kindes, die suggestive Wirkung irgend einer thera- peutischen Handlung genügt, den Fehler zu beseitigen. Freud hat in der Psychoanalyse der Neurosen diese primäre Lust nachgewiesen, und auch ich konnte sie in meinen Fällen regelmäßig aufdecken. Über- zeugend scheint mir ferner der Umstand zu sein, daß ich in den Träumen gesunder Erwachsener, die in der Kindheit an solchen Fehlern gelitten hatten, die Erinnerung an diese Lustempfindung in der Form eines im Traume erfüllten Wunsches wiederfand. So in den Träumen solcher Personen, die in ihrer Kindheit an Enuresis gelitten hatten und nun in Intervallen von Wasser, vom Schwimmen oder von Feuer träumten. Annähernd normale Organe, denen ein genügend aufnahmsfähiges Zentralnervensystem entspricht, fügen sich anstandslos in die Forderung der umgebenden Kultur. Kein Wunder, da sie selbst an dem Aufbau und der Richtung dieser Kultur mitgeholfen hatten. Andrerseits können wieder geänderte und gesteigerte äußere Ansprüche, Enttäuschungen, Sorgen, traumatische Einflüsse, Erkrankungen, Milieuwechsel ein Organ und damit seinen zentralen Überbau als minderwertig entlarven,

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Zitationshilfe: Adler, Alfred: Studie über Minderwertigkeit von Organen. Berlin u. a., 1907, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/adler_studie_1907/75>, abgerufen am 30.11.2024.