Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Adler, Alfred: Studie über Minderwertigkeit von Organen. Berlin u. a., 1907.

Bild:
<< vorherige Seite

einem Jahre keine weiteren Erscheinungen. Der Urinbefund ergab zur
Zeit des Fiebers Eiterklümpchen, rote und weiße Blutkörperchen, hya-
line und granulierte Zylinder. Man muß die letzte Attacke als den
letzten Nachschub einer Graviditätspyelitis (ohne Gravidität?) ansehen.
Zu Beginn der Erkrankung stellte ich die Behauptung auf, Patientin
müsse aus einer enuretischen Familie stammen. Nach anfänglichem
Leugnen gab Patientin dies zu; sie habe bis zum 12. Jahre an Bett-
nässen gelitten, ebenso mehrere ihrer Geschwister. Der Vater war an
Blasenkarzinom gestorben, eine Schwester leidet an Idiotie, eine starb
im Status epilepticus. Patientin selbst war stets ängstlich. Zwei ihrer
Kinder zeigten bis zum 3. Jahre Enuresis, später Pavor nocturnus.

12. Fritz C., Kaufmann, 26 Jahre alt, erkrankte vor 3 Jahren an
Schmerzen in beiden Hypochondrien, die gegen die Blase ausstrahlten. Dabei
soll mäßiges Fieber aufgetreten sein. Der Harnbefund ergab damals: Spe-
zifisches Gewicht 1020, sauer, normale Menge, getrübt. Albumen 0·08%,
im Sediment erhaltene und ausgelaugte rote Blutkörperchen, hyaline,
fein und grob granulierte Zylinder, vereinzelt Epithelial- und rote
Blutkörperchenzylinder, spärliche Leukozyten. Dieser Befund hat sich
mit geringen Besserungen bis auf den heutigen Tag erhalten. Auch die
Schmerzen treten, wenn auch selten, noch immer auf. Differential-
diagnostisch kamen Nephrolithiasis, Tuberkulose, Neoplasma und
Nephralgie hematurique in Betracht, unter denen letztere Diagnose die
größte Wahrscheinlichkeit hatte. Als mir eines Tages Patient eine
Brandwunde am Finger zeigte, die er sich des Nachts zugezogen hatte,
als er schlafwandelnd wie schon öfters aus dem Bette stieg
und im Schlafe eine Kerze anzündete
, stellte ich die Behauptung
auf, daß er Bettnässer gewesen sei, was Patient sofort zugab. Bei wei-
terer Beobachtung des Patienten erwies er sich als homosexuell;
litt gelegentlich an Harnretention von längerer Dauer, die sich stets
an einen Schrecken anschloß. Der Katheter passierte den Sphinkter
leicht. Auch seine Geschwister litten an Enuresis, eine Großmutter starb
an Urämie. Patient litt gleichzeitig seit frühester Kindheit an Obstipation
und war seit jeher gewöhnt, den Irrigator täglich zu verwenden.
(Zweite Komponente der Homosexualität.)

13. Dr. L. Z., Jurist, 32 Jahre alt, Neurasthenie. Erkrankte vor
8 Jahren an Chorioretinitis auf hereditär luetischer Basis. Am rechten
Auge besteht Schichtstar (Augenminderwertigkeit von offen embryonalem
Charakter). Im Urin findet sich regelmäßig Nukleoalbumin, zeitweise
hyaline und granulierte Zylinder sowie Leukozyten. Klagt über sexuelle
Schwäche, die sich nach Behebung einer hochgradigen Phimose besserte.

einem Jahre keine weiteren Erscheinungen. Der Urinbefund ergab zur
Zeit des Fiebers Eiterklümpchen, rote und weiße Blutkörperchen, hya-
line und granulierte Zylinder. Man muß die letzte Attacke als den
letzten Nachschub einer Graviditätspyelitis (ohne Gravidität?) ansehen.
Zu Beginn der Erkrankung stellte ich die Behauptung auf, Patientin
müsse aus einer enuretischen Familie stammen. Nach anfänglichem
Leugnen gab Patientin dies zu; sie habe bis zum 12. Jahre an Bett-
nässen gelitten, ebenso mehrere ihrer Geschwister. Der Vater war an
Blasenkarzinom gestorben, eine Schwester leidet an Idiotie, eine starb
im Status epilepticus. Patientin selbst war stets ängstlich. Zwei ihrer
Kinder zeigten bis zum 3. Jahre Enuresis, später Pavor nocturnus.

12. Fritz C., Kaufmann, 26 Jahre alt, erkrankte vor 3 Jahren an
Schmerzen in beiden Hypochondrien, die gegen die Blase ausstrahlten. Dabei
soll mäßiges Fieber aufgetreten sein. Der Harnbefund ergab damals: Spe-
zifisches Gewicht 1020, sauer, normale Menge, getrübt. Albumen 0·08%,
im Sediment erhaltene und ausgelaugte rote Blutkörperchen, hyaline,
fein und grob granulierte Zylinder, vereinzelt Epithelial- und rote
Blutkörperchenzylinder, spärliche Leukozyten. Dieser Befund hat sich
mit geringen Besserungen bis auf den heutigen Tag erhalten. Auch die
Schmerzen treten, wenn auch selten, noch immer auf. Differential-
diagnostisch kamen Nephrolithiasis, Tuberkulose, Neoplasma und
Nephralgie hématurique in Betracht, unter denen letztere Diagnose die
größte Wahrscheinlichkeit hatte. Als mir eines Tages Patient eine
Brandwunde am Finger zeigte, die er sich des Nachts zugezogen hatte,
als er schlafwandelnd wie schon öfters aus dem Bette stieg
und im Schlafe eine Kerze anzündete
, stellte ich die Behauptung
auf, daß er Bettnässer gewesen sei, was Patient sofort zugab. Bei wei-
terer Beobachtung des Patienten erwies er sich als homosexuell;
litt gelegentlich an Harnretention von längerer Dauer, die sich stets
an einen Schrecken anschloß. Der Katheter passierte den Sphinkter
leicht. Auch seine Geschwister litten an Enuresis, eine Großmutter starb
an Urämie. Patient litt gleichzeitig seit frühester Kindheit an Obstipation
und war seit jeher gewöhnt, den Irrigator täglich zu verwenden.
(Zweite Komponente der Homosexualität.)

13. Dr. L. Z., Jurist, 32 Jahre alt, Neurasthenie. Erkrankte vor
8 Jahren an Chorioretinitis auf hereditär luetischer Basis. Am rechten
Auge besteht Schichtstar (Augenminderwertigkeit von offen embryonalem
Charakter). Im Urin findet sich regelmäßig Nukleoalbumin, zeitweise
hyaline und granulierte Zylinder sowie Leukozyten. Klagt über sexuelle
Schwäche, die sich nach Behebung einer hochgradigen Phimose besserte.

<TEI>
  <text>
    <back>
      <div type="appendix" n="1">
        <p><pb facs="#f0095" n="83"/>
einem Jahre keine weiteren Erscheinungen. Der Urinbefund ergab zur<lb/>
Zeit des Fiebers Eiterklümpchen, rote und weiße Blutkörperchen, hya-<lb/>
line und granulierte Zylinder. Man muß die letzte Attacke als den<lb/>
letzten Nachschub einer Graviditätspyelitis (ohne Gravidität?) ansehen.<lb/>
Zu Beginn der Erkrankung stellte ich die Behauptung auf, Patientin<lb/>
müsse aus einer enuretischen Familie stammen. Nach anfänglichem<lb/>
Leugnen gab Patientin dies zu; sie habe bis zum 12. Jahre an Bett-<lb/>
nässen gelitten, ebenso mehrere ihrer Geschwister. Der Vater war an<lb/>
Blasenkarzinom gestorben, eine Schwester leidet an Idiotie, eine starb<lb/>
im Status epilepticus. Patientin selbst war stets ängstlich. Zwei ihrer<lb/>
Kinder zeigten bis zum 3. Jahre Enuresis, später Pavor nocturnus.</p><lb/>
        <p>12. Fritz C., Kaufmann, 26 Jahre alt, erkrankte vor 3 Jahren an<lb/>
Schmerzen in beiden Hypochondrien, die gegen die Blase ausstrahlten. Dabei<lb/>
soll mäßiges Fieber aufgetreten sein. Der Harnbefund ergab damals: Spe-<lb/>
zifisches Gewicht 1020, sauer, normale Menge, getrübt. Albumen 0·08%,<lb/>
im Sediment erhaltene und ausgelaugte rote Blutkörperchen, hyaline,<lb/>
fein und grob granulierte Zylinder, vereinzelt Epithelial- und rote<lb/>
Blutkörperchenzylinder, spärliche Leukozyten. Dieser Befund hat sich<lb/>
mit geringen Besserungen bis auf den heutigen Tag erhalten. Auch die<lb/>
Schmerzen treten, wenn auch selten, noch immer auf. Differential-<lb/>
diagnostisch kamen Nephrolithiasis, Tuberkulose, Neoplasma und<lb/>
Nephralgie hématurique in Betracht, unter denen letztere Diagnose die<lb/>
größte Wahrscheinlichkeit hatte. Als mir eines Tages Patient eine<lb/>
Brandwunde am Finger zeigte, die er sich des Nachts zugezogen hatte,<lb/><hi rendition="#g">als er schlafwandelnd wie schon öfters aus dem Bette stieg<lb/>
und im Schlafe eine Kerze anzündete</hi>, stellte ich die Behauptung<lb/>
auf, daß er Bettnässer gewesen sei, was Patient sofort zugab. Bei wei-<lb/>
terer Beobachtung des Patienten erwies er sich als homosexuell;<lb/>
litt gelegentlich an Harnretention von längerer Dauer, die sich stets<lb/>
an einen Schrecken anschloß. Der Katheter passierte den Sphinkter<lb/>
leicht. Auch seine Geschwister litten an Enuresis, eine Großmutter starb<lb/>
an Urämie. Patient litt gleichzeitig seit frühester Kindheit an Obstipation<lb/>
und war seit jeher gewöhnt, den Irrigator täglich zu verwenden.<lb/>
(Zweite Komponente der Homosexualität.)</p><lb/>
        <p>13. Dr. L. Z., Jurist, 32 Jahre alt, Neurasthenie. Erkrankte vor<lb/>
8 Jahren an Chorioretinitis auf hereditär luetischer Basis. Am rechten<lb/>
Auge besteht Schichtstar (Augenminderwertigkeit von offen embryonalem<lb/>
Charakter). Im Urin findet sich regelmäßig Nukleoalbumin, zeitweise<lb/>
hyaline und granulierte Zylinder sowie Leukozyten. Klagt über sexuelle<lb/>
Schwäche, die sich nach Behebung einer hochgradigen Phimose besserte.<lb/></p>
      </div>
    </back>
  </text>
</TEI>
[83/0095] einem Jahre keine weiteren Erscheinungen. Der Urinbefund ergab zur Zeit des Fiebers Eiterklümpchen, rote und weiße Blutkörperchen, hya- line und granulierte Zylinder. Man muß die letzte Attacke als den letzten Nachschub einer Graviditätspyelitis (ohne Gravidität?) ansehen. Zu Beginn der Erkrankung stellte ich die Behauptung auf, Patientin müsse aus einer enuretischen Familie stammen. Nach anfänglichem Leugnen gab Patientin dies zu; sie habe bis zum 12. Jahre an Bett- nässen gelitten, ebenso mehrere ihrer Geschwister. Der Vater war an Blasenkarzinom gestorben, eine Schwester leidet an Idiotie, eine starb im Status epilepticus. Patientin selbst war stets ängstlich. Zwei ihrer Kinder zeigten bis zum 3. Jahre Enuresis, später Pavor nocturnus. 12. Fritz C., Kaufmann, 26 Jahre alt, erkrankte vor 3 Jahren an Schmerzen in beiden Hypochondrien, die gegen die Blase ausstrahlten. Dabei soll mäßiges Fieber aufgetreten sein. Der Harnbefund ergab damals: Spe- zifisches Gewicht 1020, sauer, normale Menge, getrübt. Albumen 0·08%, im Sediment erhaltene und ausgelaugte rote Blutkörperchen, hyaline, fein und grob granulierte Zylinder, vereinzelt Epithelial- und rote Blutkörperchenzylinder, spärliche Leukozyten. Dieser Befund hat sich mit geringen Besserungen bis auf den heutigen Tag erhalten. Auch die Schmerzen treten, wenn auch selten, noch immer auf. Differential- diagnostisch kamen Nephrolithiasis, Tuberkulose, Neoplasma und Nephralgie hématurique in Betracht, unter denen letztere Diagnose die größte Wahrscheinlichkeit hatte. Als mir eines Tages Patient eine Brandwunde am Finger zeigte, die er sich des Nachts zugezogen hatte, als er schlafwandelnd wie schon öfters aus dem Bette stieg und im Schlafe eine Kerze anzündete, stellte ich die Behauptung auf, daß er Bettnässer gewesen sei, was Patient sofort zugab. Bei wei- terer Beobachtung des Patienten erwies er sich als homosexuell; litt gelegentlich an Harnretention von längerer Dauer, die sich stets an einen Schrecken anschloß. Der Katheter passierte den Sphinkter leicht. Auch seine Geschwister litten an Enuresis, eine Großmutter starb an Urämie. Patient litt gleichzeitig seit frühester Kindheit an Obstipation und war seit jeher gewöhnt, den Irrigator täglich zu verwenden. (Zweite Komponente der Homosexualität.) 13. Dr. L. Z., Jurist, 32 Jahre alt, Neurasthenie. Erkrankte vor 8 Jahren an Chorioretinitis auf hereditär luetischer Basis. Am rechten Auge besteht Schichtstar (Augenminderwertigkeit von offen embryonalem Charakter). Im Urin findet sich regelmäßig Nukleoalbumin, zeitweise hyaline und granulierte Zylinder sowie Leukozyten. Klagt über sexuelle Schwäche, die sich nach Behebung einer hochgradigen Phimose besserte.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2013-01-07T09:54:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-01-07T09:54:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2013-01-07T09:54:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/adler_studie_1907
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/adler_studie_1907/95
Zitationshilfe: Adler, Alfred: Studie über Minderwertigkeit von Organen. Berlin u. a., 1907, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/adler_studie_1907/95>, abgerufen am 04.12.2024.