jungen Leute zum Ehestande ziehen und halten, wann es Zeit mit ihnen ist, und wie die Kinder den Eltern ge¬ horsam sein und folgen sollen. Solches wird in Comödien fürgehalten, welches denn sehr nützt und wohl zu wissen ist. Denn Polizeien und weltliche Regimenter können nicht bestehen, noch erhalten werden, denn durch den Ehe¬ stand. Und Christen sollen Comödien nicht ganz und gar fliehen, darum daß bisweilen Buhlerei und grobe Zoten darinnen seien, da man doch um derselben willen die Bibel nicht dürfte lesen. Darumb ists nichts, daß sie solches fürwenden, und um der Ursach willen verbieten wollen, daß ein Christ nicht sollte Comödien lesen und spielen.
Dies zu Nutz und Trost derjenigen Leserinnen, die vor Einigem in dem folgenden Roman auf den ersten Blick zurück schrecken dürften. Denn wären zu Luthers Zeiten schon Romane gewesen, würde er dasselbe über sie gesagt haben. -- Es war unerläßlich. Unternimmt die Dichtung eine Zeit, die nicht mehr ist, in ihren großen Lineamenten darzustellen, so wird sie erst klar und ver¬ ständlich, wenn sie zugleich das bürgerliche, das Familien¬ leben, die Sitte in den Pallästen und Hütten zur An¬ schauung bringt. Der Zustand moralischer Zerrüttung und Verwesung, der Preußens Niederlage möglich machte, seiner Erhebung voranging, wird erst verständlich, wenn wir die damaligen socialen Zustände unverhüllt ins Auge fassen. Noch lebende Zeugen geben dem Dichter das Zeugniß, daß er nicht das Dunkle schwarz gemalt, daß er aus den historischen Gestaltungen, welche der alte Blücher in seiner Kernsprache "eine boshafte Rotte nie¬ derer, verfluchter und an Leib und Geist kranker Faul¬
jungen Leute zum Eheſtande ziehen und halten, wann es Zeit mit ihnen iſt, und wie die Kinder den Eltern ge¬ horſam ſein und folgen ſollen. Solches wird in Comödien fürgehalten, welches denn ſehr nützt und wohl zu wiſſen iſt. Denn Polizeien und weltliche Regimenter können nicht beſtehen, noch erhalten werden, denn durch den Ehe¬ ſtand. Und Chriſten ſollen Comödien nicht ganz und gar fliehen, darum daß bisweilen Buhlerei und grobe Zoten darinnen ſeien, da man doch um derſelben willen die Bibel nicht dürfte leſen. Darumb iſts nichts, daß ſie ſolches fürwenden, und um der Urſach willen verbieten wollen, daß ein Chriſt nicht ſollte Comödien leſen und ſpielen.
Dies zu Nutz und Troſt derjenigen Leſerinnen, die vor Einigem in dem folgenden Roman auf den erſten Blick zurück ſchrecken dürften. Denn wären zu Luthers Zeiten ſchon Romane geweſen, würde er daſſelbe über ſie geſagt haben. — Es war unerläßlich. Unternimmt die Dichtung eine Zeit, die nicht mehr iſt, in ihren großen Lineamenten darzuſtellen, ſo wird ſie erſt klar und ver¬ ſtändlich, wenn ſie zugleich das bürgerliche, das Familien¬ leben, die Sitte in den Palläſten und Hütten zur An¬ ſchauung bringt. Der Zuſtand moraliſcher Zerrüttung und Verweſung, der Preußens Niederlage möglich machte, ſeiner Erhebung voranging, wird erſt verſtändlich, wenn wir die damaligen ſocialen Zuſtände unverhüllt ins Auge faſſen. Noch lebende Zeugen geben dem Dichter das Zeugniß, daß er nicht das Dunkle ſchwarz gemalt, daß er aus den hiſtoriſchen Geſtaltungen, welche der alte Blücher in ſeiner Kernſprache „eine boshafte Rotte nie¬ derer, verfluchter und an Leib und Geiſt kranker Faul¬
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[VI/0012]
jungen Leute zum Eheſtande ziehen und halten, wann es
Zeit mit ihnen iſt, und wie die Kinder den Eltern ge¬
horſam ſein und folgen ſollen. Solches wird in Comödien
fürgehalten, welches denn ſehr nützt und wohl zu wiſſen
iſt. Denn Polizeien und weltliche Regimenter können
nicht beſtehen, noch erhalten werden, denn durch den Ehe¬
ſtand. Und Chriſten ſollen Comödien nicht ganz und gar
fliehen, darum daß bisweilen Buhlerei und grobe Zoten
darinnen ſeien, da man doch um derſelben willen die
Bibel nicht dürfte leſen. Darumb iſts nichts, daß ſie
ſolches fürwenden, und um der Urſach willen verbieten
wollen, daß ein Chriſt nicht ſollte Comödien leſen und
ſpielen.
Dies zu Nutz und Troſt derjenigen Leſerinnen, die
vor Einigem in dem folgenden Roman auf den erſten
Blick zurück ſchrecken dürften. Denn wären zu Luthers
Zeiten ſchon Romane geweſen, würde er daſſelbe über ſie
geſagt haben. — Es war unerläßlich. Unternimmt die
Dichtung eine Zeit, die nicht mehr iſt, in ihren großen
Lineamenten darzuſtellen, ſo wird ſie erſt klar und ver¬
ſtändlich, wenn ſie zugleich das bürgerliche, das Familien¬
leben, die Sitte in den Palläſten und Hütten zur An¬
ſchauung bringt. Der Zuſtand moraliſcher Zerrüttung
und Verweſung, der Preußens Niederlage möglich machte,
ſeiner Erhebung voranging, wird erſt verſtändlich, wenn
wir die damaligen ſocialen Zuſtände unverhüllt ins Auge
faſſen. Noch lebende Zeugen geben dem Dichter das
Zeugniß, daß er nicht das Dunkle ſchwarz gemalt, daß
er aus den hiſtoriſchen Geſtaltungen, welche der alte
Blücher in ſeiner Kernſprache „eine boshafte Rotte nie¬
derer, verfluchter und an Leib und Geiſt kranker Faul¬
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852, S. VI. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/12>, abgerufen am 21.11.2024.
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