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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852.

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Bald fährt Frau Brösicke vom Melken auf, denn
ein seltsames Kikeriki schallt ihr aus der Wandluke.
Wetter! Wo kommen denn die Hühner her! und
als sie sich umwendet, blitzen ihr zwei wunderblaue
Augen entgegen unter einer blonden Lockenfülle, und
die kirschrothen Lippen öffnen sich, um zwei Reihen
Perlenzähne zu zeigen und ein: "Angeführt mit Lösch¬
papier, Frau Brösicke!" ihr zuzurufen. "I so soll
doch!" ruft die Bäuerin und läßt den Melkeimer fallen,
aber ihre Ueberraschung ist keine unangenehme: "Ach
die seelenhübsche Mamsell Adelheid vom Gensd'armen¬
markt!" Auf dem Hofe aber hat eine andere Ueber¬
raschung Platz gegriffen, die nicht so angenehmen
Eindruck hinterläßt. Das Dienstmädchen hatte eben
vom Schöpfbrunnen den vollen Eimer an die dur¬
stigen Lippen gesetzt, als eine heftige Ohrfeige, die
aus der Luft zu schwirren schien, ihre brennenden
Backen noch röther machte. Der Eimer schnellte aus
ihrer Hand, und das Wasser, was sie nicht trinken
sollte, überschüttete sie aus den Lüften. "Es geht
doch nichts über die Unvernunft solcher Leute. Zu trin¬
ken, wenn sie erhitzt sind!" -- Das Mädchen weint,
aber sie beklagt sich nicht. Der Hausherr hat das
Recht. Auch die Hausfrau widerspricht nicht; nur
flüstert sie ihrem Alten zu: "Alter! Solchen Leuten
schadet es nicht. Das liebe Vieh trinkt auch, wenn
es Lust hat und frägt nicht, ob's die Doctoren ver¬
boten haben."

Nun ist alles helle Thätigkeit inner und außer

Bald fährt Frau Bröſicke vom Melken auf, denn
ein ſeltſames Kikeriki ſchallt ihr aus der Wandluke.
Wetter! Wo kommen denn die Hühner her! und
als ſie ſich umwendet, blitzen ihr zwei wunderblaue
Augen entgegen unter einer blonden Lockenfülle, und
die kirſchrothen Lippen öffnen ſich, um zwei Reihen
Perlenzähne zu zeigen und ein: „Angeführt mit Löſch¬
papier, Frau Bröſicke!“ ihr zuzurufen. „I ſo ſoll
doch!“ ruft die Bäuerin und läßt den Melkeimer fallen,
aber ihre Ueberraſchung iſt keine unangenehme: „Ach
die ſeelenhübſche Mamſell Adelheid vom Gensd'armen¬
markt!“ Auf dem Hofe aber hat eine andere Ueber¬
raſchung Platz gegriffen, die nicht ſo angenehmen
Eindruck hinterläßt. Das Dienſtmädchen hatte eben
vom Schöpfbrunnen den vollen Eimer an die dur¬
ſtigen Lippen geſetzt, als eine heftige Ohrfeige, die
aus der Luft zu ſchwirren ſchien, ihre brennenden
Backen noch röther machte. Der Eimer ſchnellte aus
ihrer Hand, und das Waſſer, was ſie nicht trinken
ſollte, überſchüttete ſie aus den Lüften. „Es geht
doch nichts über die Unvernunft ſolcher Leute. Zu trin¬
ken, wenn ſie erhitzt ſind!“ — Das Mädchen weint,
aber ſie beklagt ſich nicht. Der Hausherr hat das
Recht. Auch die Hausfrau widerſpricht nicht; nur
flüſtert ſie ihrem Alten zu: „Alter! Solchen Leuten
ſchadet es nicht. Das liebe Vieh trinkt auch, wenn
es Luſt hat und frägt nicht, ob's die Doctoren ver¬
boten haben.“

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[122/0136] Bald fährt Frau Bröſicke vom Melken auf, denn ein ſeltſames Kikeriki ſchallt ihr aus der Wandluke. Wetter! Wo kommen denn die Hühner her! und als ſie ſich umwendet, blitzen ihr zwei wunderblaue Augen entgegen unter einer blonden Lockenfülle, und die kirſchrothen Lippen öffnen ſich, um zwei Reihen Perlenzähne zu zeigen und ein: „Angeführt mit Löſch¬ papier, Frau Bröſicke!“ ihr zuzurufen. „I ſo ſoll doch!“ ruft die Bäuerin und läßt den Melkeimer fallen, aber ihre Ueberraſchung iſt keine unangenehme: „Ach die ſeelenhübſche Mamſell Adelheid vom Gensd'armen¬ markt!“ Auf dem Hofe aber hat eine andere Ueber¬ raſchung Platz gegriffen, die nicht ſo angenehmen Eindruck hinterläßt. Das Dienſtmädchen hatte eben vom Schöpfbrunnen den vollen Eimer an die dur¬ ſtigen Lippen geſetzt, als eine heftige Ohrfeige, die aus der Luft zu ſchwirren ſchien, ihre brennenden Backen noch röther machte. Der Eimer ſchnellte aus ihrer Hand, und das Waſſer, was ſie nicht trinken ſollte, überſchüttete ſie aus den Lüften. „Es geht doch nichts über die Unvernunft ſolcher Leute. Zu trin¬ ken, wenn ſie erhitzt ſind!“ — Das Mädchen weint, aber ſie beklagt ſich nicht. Der Hausherr hat das Recht. Auch die Hausfrau widerſpricht nicht; nur flüſtert ſie ihrem Alten zu: „Alter! Solchen Leuten ſchadet es nicht. Das liebe Vieh trinkt auch, wenn es Luſt hat und frägt nicht, ob's die Doctoren ver¬ boten haben.“ Nun iſt alles helle Thätigkeit inner und außer

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/136>, abgerufen am 24.11.2024.