den der Wind heranschlug. Sie standen auf den vom Erdreich losgespülten Wurzeln, um nicht im puren Wasser zu stehen, das schon über den Boden wallte; Jette hatte sich im Gehen Strümpfe und Schuhe abgestreift, ihr Sonntagszeug nicht zu ver¬ derben. Die Frauen schürzten ihre Kleider; schickte es sich aber auch für sie, die Schuhe auszuziehen? -- "Die Kinder aufgenommen!" rief der Vater. Jette hatte den Kleinsten auf die Schulter gepackt, Adel¬ heid dafür den von ländlichen Einkäufen schweren Korb aufgenommen. Der Vater wollte die Clara aufheben, das Wasser, das aus seinem dreieckigen Hute, wie aus einer Rinne goß, überschüttete das Kind. Das dritte nahmen sie zwischen sich.
Es waren furchtbare Minuten. Das Wasser klatschte, mit blauen Blitzstrahlen gemischt, auf die Erde, vor ihnen nur ein wellender Spiegel vom Winde gepeitscht. Ein Todtenschweigen, nur durch das Gewimmer der Mutter einmal unterbrochen: "Und alles das, um acht Groschen zu sparen. Du rechnest auch nicht, was die verdorbenen Kleider werth sind!" Die Antwort des Vaters übertäubte ein Auf¬ schrei aus Aller Munde. Der Regen von den höher gelegenen Feldern zur Rechten ergoß sich in einen Graben, der in der Regel ganz trocken und verschüttet ist. Das aufschwellende Wasser brach den Damm und wühlte, ein breiter Bach, den Fußsteg auf, dicht vor der Ulme, und ein immer tieferer und rauschender Strom schnitt der Familie den Weg nach der Stadt ab.
den der Wind heranſchlug. Sie ſtanden auf den vom Erdreich losgeſpülten Wurzeln, um nicht im puren Waſſer zu ſtehen, das ſchon über den Boden wallte; Jette hatte ſich im Gehen Strümpfe und Schuhe abgeſtreift, ihr Sonntagszeug nicht zu ver¬ derben. Die Frauen ſchürzten ihre Kleider; ſchickte es ſich aber auch für ſie, die Schuhe auszuziehen? — „Die Kinder aufgenommen!“ rief der Vater. Jette hatte den Kleinſten auf die Schulter gepackt, Adel¬ heid dafür den von ländlichen Einkäufen ſchweren Korb aufgenommen. Der Vater wollte die Clara aufheben, das Waſſer, das aus ſeinem dreieckigen Hute, wie aus einer Rinne goß, überſchüttete das Kind. Das dritte nahmen ſie zwiſchen ſich.
Es waren furchtbare Minuten. Das Waſſer klatſchte, mit blauen Blitzſtrahlen gemiſcht, auf die Erde, vor ihnen nur ein wellender Spiegel vom Winde gepeitſcht. Ein Todtenſchweigen, nur durch das Gewimmer der Mutter einmal unterbrochen: „Und alles das, um acht Groſchen zu ſparen. Du rechneſt auch nicht, was die verdorbenen Kleider werth ſind!“ Die Antwort des Vaters übertäubte ein Auf¬ ſchrei aus Aller Munde. Der Regen von den höher gelegenen Feldern zur Rechten ergoß ſich in einen Graben, der in der Regel ganz trocken und verſchüttet iſt. Das aufſchwellende Waſſer brach den Damm und wühlte, ein breiter Bach, den Fußſteg auf, dicht vor der Ulme, und ein immer tieferer und rauſchender Strom ſchnitt der Familie den Weg nach der Stadt ab.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0208"n="194"/>
den der Wind heranſchlug. Sie ſtanden auf den<lb/>
vom Erdreich losgeſpülten Wurzeln, um nicht im<lb/>
puren Waſſer zu ſtehen, das ſchon über den Boden<lb/>
wallte; Jette hatte ſich im Gehen Strümpfe und<lb/>
Schuhe abgeſtreift, ihr Sonntagszeug nicht zu ver¬<lb/>
derben. Die Frauen ſchürzten ihre Kleider; ſchickte<lb/>
es ſich aber auch für ſie, die Schuhe auszuziehen? —<lb/>„Die Kinder aufgenommen!“ rief der Vater. Jette<lb/>
hatte den Kleinſten auf die Schulter gepackt, Adel¬<lb/>
heid dafür den von ländlichen Einkäufen ſchweren<lb/>
Korb aufgenommen. Der Vater wollte die Clara<lb/>
aufheben, das Waſſer, das aus ſeinem dreieckigen<lb/>
Hute, wie aus einer Rinne goß, überſchüttete das<lb/>
Kind. Das dritte nahmen ſie zwiſchen ſich.</p><lb/><p>Es waren furchtbare Minuten. Das Waſſer<lb/>
klatſchte, mit blauen Blitzſtrahlen gemiſcht, auf die<lb/>
Erde, vor ihnen nur ein wellender Spiegel vom<lb/>
Winde gepeitſcht. Ein Todtenſchweigen, nur durch<lb/>
das Gewimmer der Mutter einmal unterbrochen:<lb/>„Und alles das, um acht Groſchen zu ſparen. Du<lb/>
rechneſt auch nicht, was die verdorbenen Kleider werth<lb/>ſind!“ Die Antwort des Vaters übertäubte ein Auf¬<lb/>ſchrei aus Aller Munde. Der Regen von den höher<lb/>
gelegenen Feldern zur Rechten ergoß ſich in einen<lb/>
Graben, der in der Regel ganz trocken und verſchüttet iſt.<lb/>
Das aufſchwellende Waſſer brach den Damm und wühlte,<lb/>
ein breiter Bach, den Fußſteg auf, dicht vor der Ulme,<lb/>
und ein immer tieferer und rauſchender Strom ſchnitt<lb/>
der Familie den Weg nach der Stadt ab.</p><lb/></div></body></text></TEI>
[194/0208]
den der Wind heranſchlug. Sie ſtanden auf den
vom Erdreich losgeſpülten Wurzeln, um nicht im
puren Waſſer zu ſtehen, das ſchon über den Boden
wallte; Jette hatte ſich im Gehen Strümpfe und
Schuhe abgeſtreift, ihr Sonntagszeug nicht zu ver¬
derben. Die Frauen ſchürzten ihre Kleider; ſchickte
es ſich aber auch für ſie, die Schuhe auszuziehen? —
„Die Kinder aufgenommen!“ rief der Vater. Jette
hatte den Kleinſten auf die Schulter gepackt, Adel¬
heid dafür den von ländlichen Einkäufen ſchweren
Korb aufgenommen. Der Vater wollte die Clara
aufheben, das Waſſer, das aus ſeinem dreieckigen
Hute, wie aus einer Rinne goß, überſchüttete das
Kind. Das dritte nahmen ſie zwiſchen ſich.
Es waren furchtbare Minuten. Das Waſſer
klatſchte, mit blauen Blitzſtrahlen gemiſcht, auf die
Erde, vor ihnen nur ein wellender Spiegel vom
Winde gepeitſcht. Ein Todtenſchweigen, nur durch
das Gewimmer der Mutter einmal unterbrochen:
„Und alles das, um acht Groſchen zu ſparen. Du
rechneſt auch nicht, was die verdorbenen Kleider werth
ſind!“ Die Antwort des Vaters übertäubte ein Auf¬
ſchrei aus Aller Munde. Der Regen von den höher
gelegenen Feldern zur Rechten ergoß ſich in einen
Graben, der in der Regel ganz trocken und verſchüttet iſt.
Das aufſchwellende Waſſer brach den Damm und wühlte,
ein breiter Bach, den Fußſteg auf, dicht vor der Ulme,
und ein immer tieferer und rauſchender Strom ſchnitt
der Familie den Weg nach der Stadt ab.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/208>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.