"Louis, Du wirst --! Um Gottes willen Louis! sie ist nicht von hier!" hatte Jülli geschrieen, und riß vergebens an seinem Arm. "Eure Larven kenn' ich." Im selben Augenblick war die andre Thür aufgeflo¬ gen, die Obristin hereingestürzt. Ihre sonst so gut¬ müthigen Augen funkelten: "Der wieder da! O das mußte noch kommen! Für einen verlornen Sohn ist die zu gut! Reißt sie dem Trunkenbold aus den Armen!" Es wäre nicht unmöglich gewesen, daß sie mit ihren Fingern einen Griff nach dem Gesicht des jungen Mannes versucht, wenn nicht Adelheid sich jetzt rasch umgewandt, die herabgefallenen Locken aus dem Gesicht gestrichen hätte und gerufen: "Mein Herr! So sehe ich aus."
Es war etwas Ueberwältigendes in dem Blicke der äußersten Entrüstung, was man nicht vergißt, im Ton der Stimme ein Metall, das keiner bis da ge¬ hört; es tönte durch das Zimmer, und in den näch¬ sten Secunden hörte man nichts anderes.
Er hatte sie unwillkürlich losgelassen. Sie standen nicht einen Schritt von einander, und ihre Blicke begegneten sich. Sie wollte sprechen, aber die Stimme versagte ihr. Thränen wären eine Wohl¬ that geworden, es überstürzte sie nur eine krankhafte Hitze, der sogleich eine fieberhafte Kälte folgte. Sie wandte den Kopf ab, bedeckte das Gesicht, und, ein Schrei der gepreßten Brust, stürzten die Worte heraus: "O mein Gott, wo bin ich hingerathen! Was ist das mit mir!"
„Louis, Du wirſt —! Um Gottes willen Louis! ſie iſt nicht von hier!“ hatte Jülli geſchrieen, und riß vergebens an ſeinem Arm. „Eure Larven kenn' ich.“ Im ſelben Augenblick war die andre Thür aufgeflo¬ gen, die Obriſtin hereingeſtürzt. Ihre ſonſt ſo gut¬ müthigen Augen funkelten: „Der wieder da! O das mußte noch kommen! Für einen verlornen Sohn iſt die zu gut! Reißt ſie dem Trunkenbold aus den Armen!“ Es wäre nicht unmöglich geweſen, daß ſie mit ihren Fingern einen Griff nach dem Geſicht des jungen Mannes verſucht, wenn nicht Adelheid ſich jetzt raſch umgewandt, die herabgefallenen Locken aus dem Geſicht geſtrichen hätte und gerufen: „Mein Herr! So ſehe ich aus.“
Es war etwas Ueberwältigendes in dem Blicke der äußerſten Entrüſtung, was man nicht vergißt, im Ton der Stimme ein Metall, das keiner bis da ge¬ hört; es tönte durch das Zimmer, und in den näch¬ ſten Secunden hörte man nichts anderes.
Er hatte ſie unwillkürlich losgelaſſen. Sie ſtanden nicht einen Schritt von einander, und ihre Blicke begegneten ſich. Sie wollte ſprechen, aber die Stimme verſagte ihr. Thränen wären eine Wohl¬ that geworden, es überſtürzte ſie nur eine krankhafte Hitze, der ſogleich eine fieberhafte Kälte folgte. Sie wandte den Kopf ab, bedeckte das Geſicht, und, ein Schrei der gepreßten Bruſt, ſtürzten die Worte heraus: „O mein Gott, wo bin ich hingerathen! Was iſt das mit mir!“
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„Louis, Du wirſt —! Um Gottes willen Louis!
ſie iſt nicht von hier!“ hatte Jülli geſchrieen, und riß
vergebens an ſeinem Arm. „Eure Larven kenn' ich.“
Im ſelben Augenblick war die andre Thür aufgeflo¬
gen, die Obriſtin hereingeſtürzt. Ihre ſonſt ſo gut¬
müthigen Augen funkelten: „Der wieder da! O das
mußte noch kommen! Für einen verlornen Sohn iſt
die zu gut! Reißt ſie dem Trunkenbold aus den
Armen!“ Es wäre nicht unmöglich geweſen, daß
ſie mit ihren Fingern einen Griff nach dem Geſicht
des jungen Mannes verſucht, wenn nicht Adelheid
ſich jetzt raſch umgewandt, die herabgefallenen Locken
aus dem Geſicht geſtrichen hätte und gerufen: „Mein
Herr! So ſehe ich aus.“
Es war etwas Ueberwältigendes in dem Blicke
der äußerſten Entrüſtung, was man nicht vergißt, im
Ton der Stimme ein Metall, das keiner bis da ge¬
hört; es tönte durch das Zimmer, und in den näch¬
ſten Secunden hörte man nichts anderes.
Er hatte ſie unwillkürlich losgelaſſen. Sie
ſtanden nicht einen Schritt von einander, und ihre
Blicke begegneten ſich. Sie wollte ſprechen, aber die
Stimme verſagte ihr. Thränen wären eine Wohl¬
that geworden, es überſtürzte ſie nur eine krankhafte
Hitze, der ſogleich eine fieberhafte Kälte folgte. Sie
wandte den Kopf ab, bedeckte das Geſicht, und, ein
Schrei der gepreßten Bruſt, ſtürzten die Worte heraus:
„O mein Gott, wo bin ich hingerathen! Was iſt
das mit mir!“
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/314>, abgerufen am 24.11.2024.
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