sich Rex Borussorum, König der Preußen! Wo sind denn seine Preußen! Hat denn das Volk gar keine Stimme mehr, das ihn einst auf seinen Schildern trug? Oder war der Schmerzenslaut auf seinem Sterbebett eine Wahrheit? War der Große wirklich müde über Scla¬ ven zu herrschen?"
Der Rath zückte die Achseln: "Das ist eine Frage, mein Herr, über die wir die Antwort der Zukunft überlassen."
"Aber wenn keine Stimme, hat Ihr Volk auch keine Sinne mehr? Wo die Sturmglocken über den Continent läuten, wo der nächtliche Feuerschein von allen Seiten, der Brannstgeruch den Siebenschläfer aufwecken muß, schläft das Preußische Volk allein da fort, begreift es nicht, was selbst jener verrostete Ge¬ neral ahnt, daß es sich um Sein und Nichtsein han¬ delt! -- Wo der Geist schläft, wacht doch das In¬ teresse. Für die Nothdurft, den Vortheil ist auch im Sclaven der Sinn rege."
Der Eifer des Majors verwandelte das halb¬ laute Gespräch oft in ein lautes. Der Regierungs¬ rath hatte mit vorsichtigem Blicke Wache haltend, den Eifer zu dämpfen versucht. Er setzte sich jetzt dicht neben ihn:
"Mein theuerster Freiherr, rufen Sie Alles hier an, nur nicht das Interesse. Wer soll denn wün¬ schen, daß es anders wird? Sie befinden sich ja noch erträglich wohl, und die Kette klinkt auch noch in einander, wenn man nicht zu stark dran reißt. Der
ſich Rex Borussorum, König der Preußen! Wo ſind denn ſeine Preußen! Hat denn das Volk gar keine Stimme mehr, das ihn einſt auf ſeinen Schildern trug? Oder war der Schmerzenslaut auf ſeinem Sterbebett eine Wahrheit? War der Große wirklich müde über Scla¬ ven zu herrſchen?“
Der Rath zückte die Achſeln: „Das iſt eine Frage, mein Herr, über die wir die Antwort der Zukunft überlaſſen.“
„Aber wenn keine Stimme, hat Ihr Volk auch keine Sinne mehr? Wo die Sturmglocken über den Continent läuten, wo der nächtliche Feuerſchein von allen Seiten, der Brannſtgeruch den Siebenſchläfer aufwecken muß, ſchläft das Preußiſche Volk allein da fort, begreift es nicht, was ſelbſt jener verroſtete Ge¬ neral ahnt, daß es ſich um Sein und Nichtſein han¬ delt! — Wo der Geiſt ſchläft, wacht doch das In¬ tereſſe. Für die Nothdurft, den Vortheil iſt auch im Sclaven der Sinn rege.“
Der Eifer des Majors verwandelte das halb¬ laute Geſpräch oft in ein lautes. Der Regierungs¬ rath hatte mit vorſichtigem Blicke Wache haltend, den Eifer zu dämpfen verſucht. Er ſetzte ſich jetzt dicht neben ihn:
„Mein theuerſter Freiherr, rufen Sie Alles hier an, nur nicht das Intereſſe. Wer ſoll denn wün¬ ſchen, daß es anders wird? Sie befinden ſich ja noch erträglich wohl, und die Kette klinkt auch noch in einander, wenn man nicht zu ſtark dran reißt. Der
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ſich Rex Borussorum, König der Preußen! Wo ſind denn
ſeine Preußen! Hat denn das Volk gar keine Stimme
mehr, das ihn einſt auf ſeinen Schildern trug? Oder
war der Schmerzenslaut auf ſeinem Sterbebett eine
Wahrheit? War der Große wirklich müde über Scla¬
ven zu herrſchen?“
Der Rath zückte die Achſeln: „Das iſt eine Frage,
mein Herr, über die wir die Antwort der Zukunft
überlaſſen.“
„Aber wenn keine Stimme, hat Ihr Volk auch
keine Sinne mehr? Wo die Sturmglocken über den
Continent läuten, wo der nächtliche Feuerſchein von
allen Seiten, der Brannſtgeruch den Siebenſchläfer
aufwecken muß, ſchläft das Preußiſche Volk allein da
fort, begreift es nicht, was ſelbſt jener verroſtete Ge¬
neral ahnt, daß es ſich um Sein und Nichtſein han¬
delt! — Wo der Geiſt ſchläft, wacht doch das In¬
tereſſe. Für die Nothdurft, den Vortheil iſt auch im
Sclaven der Sinn rege.“
Der Eifer des Majors verwandelte das halb¬
laute Geſpräch oft in ein lautes. Der Regierungs¬
rath hatte mit vorſichtigem Blicke Wache haltend, den
Eifer zu dämpfen verſucht. Er ſetzte ſich jetzt dicht
neben ihn:
„Mein theuerſter Freiherr, rufen Sie Alles hier
an, nur nicht das Intereſſe. Wer ſoll denn wün¬
ſchen, daß es anders wird? Sie befinden ſich ja noch
erträglich wohl, und die Kette klinkt auch noch in
einander, wenn man nicht zu ſtark dran reißt. Der
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 2. Berlin, 1852, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe02_1852/103>, abgerufen am 23.11.2024.
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