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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 2. Berlin, 1852.

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wickelte sich heut Alles gegen ihren Willen. Jean
Paul hatte ihr seinen Arm reichen sollen. Ihrer
Zweifel, ob es nicht jetzt passender sei, diese Ehren¬
pflicht dem vornehmsten Gast zu übertragen, ward sie
überhoben, als der Dichter schon ihre Tochter ent¬
führte. Sie mußte, um nicht allein zu gehen, ihren
Arm nothgedrungen dem reichen, welcher allein ledig
an der Thür stand, es war der Schwager, und sie
mußte zufrieden sein, daß es ihr wenigstens gelang
eine Tafelordnung so ziemlich herzustellen.

Wenigstens saß Jean Paul neben ihr. Wenn
er von dem Fehlschlag seiner Hoffnungen verstimmt
gewesen, hatte er unter so viel Theilnahme und beim
Klang der Gläser es überwunden. Der gute Wein
wirkt nach einer Aufregung doppelt. Er sprach oder
sang in Worten die wie Streckverse klangen. Die
Lüfte in den märkischen Pinien hätten ihm zugerauscht
das alte Lied: Wo es dir wohl geht, ist dein Va¬
terland! aber da sei aus dem blauen Aether eine
Taube niedergerauscht mit einem Lorbeerzweig und
habe ihm zugeflüstert: Der Dichter muß frei sein!
Und ein frischer Morgenwind habe seine Stirn, seine
heiße Brust gekühlt, er sei erwacht und wieder arm,
aber frei, frei wie der Vogel in der Luft, und dies
Glas bringe er aus auf die Taube mit dem leuch¬
tenden Fittich.

Nur ein Theil der Gesellschaft verstand es. Der
Geheimrath von der Vogtei, der auch sein Glas ge¬
füllt hatte und sich für verpflichtet hielt, als nächster

wickelte ſich heut Alles gegen ihren Willen. Jean
Paul hatte ihr ſeinen Arm reichen ſollen. Ihrer
Zweifel, ob es nicht jetzt paſſender ſei, dieſe Ehren¬
pflicht dem vornehmſten Gaſt zu übertragen, ward ſie
überhoben, als der Dichter ſchon ihre Tochter ent¬
führte. Sie mußte, um nicht allein zu gehen, ihren
Arm nothgedrungen dem reichen, welcher allein ledig
an der Thür ſtand, es war der Schwager, und ſie
mußte zufrieden ſein, daß es ihr wenigſtens gelang
eine Tafelordnung ſo ziemlich herzuſtellen.

Wenigſtens ſaß Jean Paul neben ihr. Wenn
er von dem Fehlſchlag ſeiner Hoffnungen verſtimmt
geweſen, hatte er unter ſo viel Theilnahme und beim
Klang der Gläſer es überwunden. Der gute Wein
wirkt nach einer Aufregung doppelt. Er ſprach oder
ſang in Worten die wie Streckverſe klangen. Die
Lüfte in den märkiſchen Pinien hätten ihm zugerauſcht
das alte Lied: Wo es dir wohl geht, iſt dein Va¬
terland! aber da ſei aus dem blauen Aether eine
Taube niedergerauſcht mit einem Lorbeerzweig und
habe ihm zugeflüſtert: Der Dichter muß frei ſein!
Und ein friſcher Morgenwind habe ſeine Stirn, ſeine
heiße Bruſt gekühlt, er ſei erwacht und wieder arm,
aber frei, frei wie der Vogel in der Luft, und dies
Glas bringe er aus auf die Taube mit dem leuch¬
tenden Fittich.

Nur ein Theil der Geſellſchaft verſtand es. Der
Geheimrath von der Vogtei, der auch ſein Glas ge¬
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[144/0154] wickelte ſich heut Alles gegen ihren Willen. Jean Paul hatte ihr ſeinen Arm reichen ſollen. Ihrer Zweifel, ob es nicht jetzt paſſender ſei, dieſe Ehren¬ pflicht dem vornehmſten Gaſt zu übertragen, ward ſie überhoben, als der Dichter ſchon ihre Tochter ent¬ führte. Sie mußte, um nicht allein zu gehen, ihren Arm nothgedrungen dem reichen, welcher allein ledig an der Thür ſtand, es war der Schwager, und ſie mußte zufrieden ſein, daß es ihr wenigſtens gelang eine Tafelordnung ſo ziemlich herzuſtellen. Wenigſtens ſaß Jean Paul neben ihr. Wenn er von dem Fehlſchlag ſeiner Hoffnungen verſtimmt geweſen, hatte er unter ſo viel Theilnahme und beim Klang der Gläſer es überwunden. Der gute Wein wirkt nach einer Aufregung doppelt. Er ſprach oder ſang in Worten die wie Streckverſe klangen. Die Lüfte in den märkiſchen Pinien hätten ihm zugerauſcht das alte Lied: Wo es dir wohl geht, iſt dein Va¬ terland! aber da ſei aus dem blauen Aether eine Taube niedergerauſcht mit einem Lorbeerzweig und habe ihm zugeflüſtert: Der Dichter muß frei ſein! Und ein friſcher Morgenwind habe ſeine Stirn, ſeine heiße Bruſt gekühlt, er ſei erwacht und wieder arm, aber frei, frei wie der Vogel in der Luft, und dies Glas bringe er aus auf die Taube mit dem leuch¬ tenden Fittich. Nur ein Theil der Geſellſchaft verſtand es. Der Geheimrath von der Vogtei, der auch ſein Glas ge¬ füllt hatte und ſich für verpflichtet hielt, als nächſter

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 2. Berlin, 1852, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe02_1852/154>, abgerufen am 23.11.2024.