rum haben wir uns nun heute erst kennen gelernt? Warum haben wir uns so viele Jahre gefoppt und geärgert? -- Sympathien nennen sie's. Wir stecken Beide in Schulden, sind Beide ehrliche Kerls, lie¬ ben Beide mal 'nen tollen Spaß, werden beide ge¬ plackt und gestoßen, von Schuften, die wir gründlich hassen, warum, sagen Sie, warum stecken die Sym¬ pathien nicht an der Stirn wie die Ringkragen am Hals. -- Und dann -- er athmete tief auf -- wa¬ rum placken wir uns selbst? Warum ist nun das? Exerciren, Parade, Liebschaften, Komödie, ein Spiel¬ chen, auf die Wache kommen und wieder 'raus kommen? Wie ein Schnürchen, wenn's zu Ende fängt's wieder von vorn an. Warum leg ich mich Abends zu Bette, um Morgens aufzustehen? Und warum stehe ich Morgens auf, da ich weiß, daß ich Abends wieder zu Bette gehen muß?"
Louis Bovillards Hand faßte die des Anderen etwas höher nach dem Gelenk und er sah ihn scharf an: "Dieser Drang nach Philosophie deutet auf eine Krankheit."
"Na, krank bin ich nicht."
"Das Kriterium der gefährlichsten Krankheit ist der Glaube, gesund zu sein. Sie sehnen sich auf Augenblicke hinaus aus diesem Leben?"
"Weiß der Henker -- zuweilen wünsche ich, es wäre aus."
"Und Sie haben immer Appetit?
"Vollkommen."
rum haben wir uns nun heute erſt kennen gelernt? Warum haben wir uns ſo viele Jahre gefoppt und geärgert? — Sympathien nennen ſie's. Wir ſtecken Beide in Schulden, ſind Beide ehrliche Kerls, lie¬ ben Beide mal 'nen tollen Spaß, werden beide ge¬ plackt und geſtoßen, von Schuften, die wir gründlich haſſen, warum, ſagen Sie, warum ſtecken die Sym¬ pathien nicht an der Stirn wie die Ringkragen am Hals. — Und dann — er athmete tief auf — wa¬ rum placken wir uns ſelbſt? Warum iſt nun das? Exerciren, Parade, Liebſchaften, Komödie, ein Spiel¬ chen, auf die Wache kommen und wieder 'raus kommen? Wie ein Schnürchen, wenn's zu Ende fängt's wieder von vorn an. Warum leg ich mich Abends zu Bette, um Morgens aufzuſtehen? Und warum ſtehe ich Morgens auf, da ich weiß, daß ich Abends wieder zu Bette gehen muß?“
Louis Bovillards Hand faßte die des Anderen etwas höher nach dem Gelenk und er ſah ihn ſcharf an: „Dieſer Drang nach Philoſophie deutet auf eine Krankheit.“
„Na, krank bin ich nicht.“
„Das Kriterium der gefährlichſten Krankheit iſt der Glaube, geſund zu ſein. Sie ſehnen ſich auf Augenblicke hinaus aus dieſem Leben?“
„Weiß der Henker — zuweilen wünſche ich, es wäre aus.“
„Und Sie haben immer Appetit?
„Vollkommen.“
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rum haben wir uns nun heute erſt kennen gelernt?
Warum haben wir uns ſo viele Jahre gefoppt und
geärgert? — Sympathien nennen ſie's. Wir ſtecken
Beide in Schulden, ſind Beide ehrliche Kerls, lie¬
ben Beide mal 'nen tollen Spaß, werden beide ge¬
plackt und geſtoßen, von Schuften, die wir gründlich
haſſen, warum, ſagen Sie, warum ſtecken die Sym¬
pathien nicht an der Stirn wie die Ringkragen am
Hals. — Und dann — er athmete tief auf — wa¬
rum placken wir uns ſelbſt? Warum iſt nun das?
Exerciren, Parade, Liebſchaften, Komödie, ein Spiel¬
chen, auf die Wache kommen und wieder 'raus
kommen? Wie ein Schnürchen, wenn's zu Ende
fängt's wieder von vorn an. Warum leg ich mich
Abends zu Bette, um Morgens aufzuſtehen? Und
warum ſtehe ich Morgens auf, da ich weiß, daß ich
Abends wieder zu Bette gehen muß?“
Louis Bovillards Hand faßte die des Anderen
etwas höher nach dem Gelenk und er ſah ihn ſcharf
an: „Dieſer Drang nach Philoſophie deutet auf eine
Krankheit.“
„Na, krank bin ich nicht.“
„Das Kriterium der gefährlichſten Krankheit
iſt der Glaube, geſund zu ſein. Sie ſehnen ſich
auf Augenblicke hinaus aus dieſem Leben?“
„Weiß der Henker — zuweilen wünſche ich, es
wäre aus.“
„Und Sie haben immer Appetit?
„Vollkommen.“
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 2. Berlin, 1852, S. 215. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe02_1852/225>, abgerufen am 18.05.2024.
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