Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 2. Berlin, 1852.rum haben wir uns nun heute erst kennen gelernt? Louis Bovillards Hand faßte die des Anderen "Na, krank bin ich nicht." "Das Kriterium der gefährlichsten Krankheit "Weiß der Henker -- zuweilen wünsche ich, es "Und Sie haben immer Appetit? "Vollkommen." rum haben wir uns nun heute erſt kennen gelernt? Louis Bovillards Hand faßte die des Anderen „Na, krank bin ich nicht.“ „Das Kriterium der gefährlichſten Krankheit „Weiß der Henker — zuweilen wünſche ich, es „Und Sie haben immer Appetit? „Vollkommen.“ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0225" n="215"/> rum haben wir uns nun heute erſt kennen gelernt?<lb/> Warum haben wir uns ſo viele Jahre gefoppt und<lb/> geärgert? — Sympathien nennen ſie's. Wir ſtecken<lb/> Beide in Schulden, ſind Beide ehrliche Kerls, lie¬<lb/> ben Beide mal 'nen tollen Spaß, werden beide ge¬<lb/> plackt und geſtoßen, von Schuften, die wir gründlich<lb/> haſſen, warum, ſagen Sie, warum ſtecken die Sym¬<lb/> pathien nicht an der Stirn wie die Ringkragen am<lb/> Hals. — Und dann — er athmete tief auf — wa¬<lb/> rum placken wir uns ſelbſt? Warum iſt nun das?<lb/> Exerciren, Parade, Liebſchaften, Komödie, ein Spiel¬<lb/> chen, auf die Wache kommen und wieder 'raus<lb/> kommen? Wie ein Schnürchen, wenn's zu Ende<lb/> fängt's wieder von vorn an. Warum leg ich mich<lb/> Abends zu Bette, um Morgens aufzuſtehen? Und<lb/> warum ſtehe ich Morgens auf, da ich weiß, daß ich<lb/> Abends wieder zu Bette gehen muß?“</p><lb/> <p>Louis Bovillards Hand faßte die des Anderen<lb/> etwas höher nach dem Gelenk und er ſah ihn ſcharf<lb/> an: „Dieſer Drang nach Philoſophie deutet auf eine<lb/> Krankheit.“</p><lb/> <p>„Na, krank bin ich nicht.“</p><lb/> <p>„Das Kriterium der gefährlichſten Krankheit<lb/> iſt der Glaube, geſund zu ſein. Sie ſehnen ſich<lb/> auf Augenblicke hinaus aus dieſem Leben?“</p><lb/> <p>„Weiß der Henker — zuweilen wünſche ich, es<lb/> wäre aus.“</p><lb/> <p>„Und Sie haben immer Appetit?</p><lb/> <p>„Vollkommen.“</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [215/0225]
rum haben wir uns nun heute erſt kennen gelernt?
Warum haben wir uns ſo viele Jahre gefoppt und
geärgert? — Sympathien nennen ſie's. Wir ſtecken
Beide in Schulden, ſind Beide ehrliche Kerls, lie¬
ben Beide mal 'nen tollen Spaß, werden beide ge¬
plackt und geſtoßen, von Schuften, die wir gründlich
haſſen, warum, ſagen Sie, warum ſtecken die Sym¬
pathien nicht an der Stirn wie die Ringkragen am
Hals. — Und dann — er athmete tief auf — wa¬
rum placken wir uns ſelbſt? Warum iſt nun das?
Exerciren, Parade, Liebſchaften, Komödie, ein Spiel¬
chen, auf die Wache kommen und wieder 'raus
kommen? Wie ein Schnürchen, wenn's zu Ende
fängt's wieder von vorn an. Warum leg ich mich
Abends zu Bette, um Morgens aufzuſtehen? Und
warum ſtehe ich Morgens auf, da ich weiß, daß ich
Abends wieder zu Bette gehen muß?“
Louis Bovillards Hand faßte die des Anderen
etwas höher nach dem Gelenk und er ſah ihn ſcharf
an: „Dieſer Drang nach Philoſophie deutet auf eine
Krankheit.“
„Na, krank bin ich nicht.“
„Das Kriterium der gefährlichſten Krankheit
iſt der Glaube, geſund zu ſein. Sie ſehnen ſich
auf Augenblicke hinaus aus dieſem Leben?“
„Weiß der Henker — zuweilen wünſche ich, es
wäre aus.“
„Und Sie haben immer Appetit?
„Vollkommen.“
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