Der Vater hatte sich wieder gewonnen. Wenn der erste Anblick ihn erschreckt, wenn er hinter den Tisch getreten auf dem die Flaschen rollten, wenn er an die Glocke ziehen wollen, so war der wüste Traum¬ eindruck so schnell vergangen, als er aufschoß. Dieser Sohn kam nicht mit der Pistole in der Brust; er floh nicht vor seinen Verfolgern, er war nicht eingedrun¬ gen, um des Vaters Beutel oder Schutz; aber wie wild auch das Auge rollte, wie starr und wüst das Haar um seine Stirne spielte, wie vernachlässigt sein Anzug, Louis kam auch nicht als verlorner Sohn, der die Träber gegessen, und zerknirscht vor des Va¬ ters Füßen den Boden küssen will. Er blieb aufrecht an der Thür stehen: Ein verlorner Sohn hält auch kein Portefeuille in Händen.
"Mein Vater! Vergessen Sie auf einen Augen¬ blick Ihren Sohn, dem Sie diese Schwelle verboten. Sehn Sie nur den Sohn des Vaterlandes. Es gilt dessen Ehre, vielleicht sein Dasein."
Er hatte in kurzen abgestoßenen Sätzen erzählt, -- was wir bereits wissen.
"Und was geht es Dich an?"
Louis trat um einen Schritt näher: "Das ist nicht Ihr Ernst, es kann nicht Ihr Ernst sein. Auch Ihr Auge blitzte auf, ich sah es. Vergessen Sie, daß Ihr Sohn Zeuge ist dieser Bewegung, die Ihnen keine Schande bringt. Herr Gott -- Sie müssen --"
Der Geheimrath war in Bewegung; es gelang ihm nicht ganz, sie zu verbergen.
Der Vater hatte ſich wieder gewonnen. Wenn der erſte Anblick ihn erſchreckt, wenn er hinter den Tiſch getreten auf dem die Flaſchen rollten, wenn er an die Glocke ziehen wollen, ſo war der wüſte Traum¬ eindruck ſo ſchnell vergangen, als er aufſchoß. Dieſer Sohn kam nicht mit der Piſtole in der Bruſt; er floh nicht vor ſeinen Verfolgern, er war nicht eingedrun¬ gen, um des Vaters Beutel oder Schutz; aber wie wild auch das Auge rollte, wie ſtarr und wüſt das Haar um ſeine Stirne ſpielte, wie vernachläſſigt ſein Anzug, Louis kam auch nicht als verlorner Sohn, der die Träber gegeſſen, und zerknirſcht vor des Va¬ ters Füßen den Boden küſſen will. Er blieb aufrecht an der Thür ſtehen: Ein verlorner Sohn hält auch kein Portefeuille in Händen.
„Mein Vater! Vergeſſen Sie auf einen Augen¬ blick Ihren Sohn, dem Sie dieſe Schwelle verboten. Sehn Sie nur den Sohn des Vaterlandes. Es gilt deſſen Ehre, vielleicht ſein Daſein.“
Er hatte in kurzen abgeſtoßenen Sätzen erzählt, — was wir bereits wiſſen.
„Und was geht es Dich an?“
Louis trat um einen Schritt näher: „Das iſt nicht Ihr Ernſt, es kann nicht Ihr Ernſt ſein. Auch Ihr Auge blitzte auf, ich ſah es. Vergeſſen Sie, daß Ihr Sohn Zeuge iſt dieſer Bewegung, die Ihnen keine Schande bringt. Herr Gott — Sie müſſen —“
Der Geheimrath war in Bewegung; es gelang ihm nicht ganz, ſie zu verbergen.
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Der Vater hatte ſich wieder gewonnen. Wenn
der erſte Anblick ihn erſchreckt, wenn er hinter den
Tiſch getreten auf dem die Flaſchen rollten, wenn er
an die Glocke ziehen wollen, ſo war der wüſte Traum¬
eindruck ſo ſchnell vergangen, als er aufſchoß. Dieſer
Sohn kam nicht mit der Piſtole in der Bruſt; er floh
nicht vor ſeinen Verfolgern, er war nicht eingedrun¬
gen, um des Vaters Beutel oder Schutz; aber wie
wild auch das Auge rollte, wie ſtarr und wüſt das
Haar um ſeine Stirne ſpielte, wie vernachläſſigt ſein
Anzug, Louis kam auch nicht als verlorner Sohn,
der die Träber gegeſſen, und zerknirſcht vor des Va¬
ters Füßen den Boden küſſen will. Er blieb aufrecht
an der Thür ſtehen: Ein verlorner Sohn hält auch
kein Portefeuille in Händen.
„Mein Vater! Vergeſſen Sie auf einen Augen¬
blick Ihren Sohn, dem Sie dieſe Schwelle verboten.
Sehn Sie nur den Sohn des Vaterlandes. Es gilt
deſſen Ehre, vielleicht ſein Daſein.“
Er hatte in kurzen abgeſtoßenen Sätzen erzählt,
— was wir bereits wiſſen.
„Und was geht es Dich an?“
Louis trat um einen Schritt näher: „Das iſt
nicht Ihr Ernſt, es kann nicht Ihr Ernſt ſein. Auch
Ihr Auge blitzte auf, ich ſah es. Vergeſſen Sie, daß
Ihr Sohn Zeuge iſt dieſer Bewegung, die Ihnen
keine Schande bringt. Herr Gott — Sie müſſen —“
Der Geheimrath war in Bewegung; es gelang
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 2. Berlin, 1852, S. 326. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe02_1852/336>, abgerufen am 16.07.2024.
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