Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 3. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

einen Leierkasten gesetzt, aber die Melodie bleibt die¬
selbe in Leid und Freud, weil die Hand vermodert
ist, die den Mechanismus der Drehorgel umsetzt. So
leiert es hier fort, ins andre Jahrhundert die Me¬
lodie des vorigen, bis alle Räder und Gänge ver¬
rostet und voll Staub sind. Dieser Staat Preußen,
mein Herr, ist zum Popanz geworden, nicht weil sein
Volk Sklaven sind, sondern weil der Zauberer fehlt,
der das Uhrwerk wieder aufzieht. Dieser Staat
Preußen ist ein Conglomerat von Kraft und gutem
Willen, wie man sie selten in der Geschichte sah, aber
eine Gliederpuppe, wenn kein neuer Geist hinein¬
fährt."

Der Mann wandte sich mit einem Kopfnicken
rasch um. Zwei Schritt weiter blieb er noch ein Mal
stehen: "Wie heißen Sie? Ich möchte Ihre Adresse
wissen -- wenn ich wieder ein Mal einen so gefälligen
Führer in Potsdam brauche," setzte er halb lächelnd
hinzu, um das Scharfe auszugleichen.

Walter hatte keinen Grund seinen Namen zu
verschweigen. Er kannte aber genug von der Luft
in den hohen Lebensregionen, um nicht zu wissen,
daß dieser Name, so laut er ihn aussprach und so deutlich
der andre ihn sich wiederholte, schon am Ende der
Straße verhallt war. Jener hatte vielleicht erwartet,
daß Walter auch ihn bitten werde, den seinen zu
nennen, Walter wollte aber nicht bitten.


einen Leierkaſten geſetzt, aber die Melodie bleibt die¬
ſelbe in Leid und Freud, weil die Hand vermodert
iſt, die den Mechanismus der Drehorgel umſetzt. So
leiert es hier fort, ins andre Jahrhundert die Me¬
lodie des vorigen, bis alle Räder und Gänge ver¬
roſtet und voll Staub ſind. Dieſer Staat Preußen,
mein Herr, iſt zum Popanz geworden, nicht weil ſein
Volk Sklaven ſind, ſondern weil der Zauberer fehlt,
der das Uhrwerk wieder aufzieht. Dieſer Staat
Preußen iſt ein Conglomerat von Kraft und gutem
Willen, wie man ſie ſelten in der Geſchichte ſah, aber
eine Gliederpuppe, wenn kein neuer Geiſt hinein¬
fährt.“

Der Mann wandte ſich mit einem Kopfnicken
raſch um. Zwei Schritt weiter blieb er noch ein Mal
ſtehen: „Wie heißen Sie? Ich möchte Ihre Adreſſe
wiſſen — wenn ich wieder ein Mal einen ſo gefälligen
Führer in Potsdam brauche,“ ſetzte er halb lächelnd
hinzu, um das Scharfe auszugleichen.

Walter hatte keinen Grund ſeinen Namen zu
verſchweigen. Er kannte aber genug von der Luft
in den hohen Lebensregionen, um nicht zu wiſſen,
daß dieſer Name, ſo laut er ihn ausſprach und ſo deutlich
der andre ihn ſich wiederholte, ſchon am Ende der
Straße verhallt war. Jener hatte vielleicht erwartet,
daß Walter auch ihn bitten werde, den ſeinen zu
nennen, Walter wollte aber nicht bitten.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0159" n="149"/>
einen Leierka&#x017F;ten ge&#x017F;etzt, aber die Melodie bleibt die¬<lb/>
&#x017F;elbe in Leid und Freud, weil die Hand vermodert<lb/>
i&#x017F;t, die den Mechanismus der Drehorgel um&#x017F;etzt. So<lb/>
leiert es hier fort, ins andre Jahrhundert die Me¬<lb/>
lodie des vorigen, bis alle Räder und Gänge ver¬<lb/>
ro&#x017F;tet und voll Staub &#x017F;ind. Die&#x017F;er Staat Preußen,<lb/>
mein Herr, i&#x017F;t zum Popanz geworden, nicht weil &#x017F;ein<lb/>
Volk Sklaven &#x017F;ind, &#x017F;ondern weil der Zauberer fehlt,<lb/>
der das Uhrwerk wieder aufzieht. Die&#x017F;er Staat<lb/>
Preußen i&#x017F;t ein Conglomerat von Kraft und gutem<lb/>
Willen, wie man &#x017F;ie &#x017F;elten in der Ge&#x017F;chichte &#x017F;ah, aber<lb/>
eine Gliederpuppe, wenn kein neuer Gei&#x017F;t hinein¬<lb/>
fährt.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Der Mann wandte &#x017F;ich mit einem Kopfnicken<lb/>
ra&#x017F;ch um. Zwei Schritt weiter blieb er noch ein Mal<lb/>
&#x017F;tehen: &#x201E;Wie heißen Sie? Ich möchte Ihre Adre&#x017F;&#x017F;e<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en &#x2014; wenn ich wieder ein Mal einen &#x017F;o gefälligen<lb/>
Führer in Potsdam brauche,&#x201C; &#x017F;etzte er halb lächelnd<lb/>
hinzu, um das Scharfe auszugleichen.</p><lb/>
        <p>Walter hatte keinen Grund &#x017F;einen Namen zu<lb/>
ver&#x017F;chweigen. Er kannte aber genug von der Luft<lb/>
in den hohen Lebensregionen, um nicht zu wi&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
daß die&#x017F;er Name, &#x017F;o laut er ihn aus&#x017F;prach und &#x017F;o deutlich<lb/>
der andre ihn &#x017F;ich wiederholte, &#x017F;chon am Ende der<lb/>
Straße verhallt war. Jener hatte vielleicht erwartet,<lb/>
daß Walter auch ihn bitten werde, den &#x017F;einen zu<lb/>
nennen, Walter wollte aber nicht bitten.</p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[149/0159] einen Leierkaſten geſetzt, aber die Melodie bleibt die¬ ſelbe in Leid und Freud, weil die Hand vermodert iſt, die den Mechanismus der Drehorgel umſetzt. So leiert es hier fort, ins andre Jahrhundert die Me¬ lodie des vorigen, bis alle Räder und Gänge ver¬ roſtet und voll Staub ſind. Dieſer Staat Preußen, mein Herr, iſt zum Popanz geworden, nicht weil ſein Volk Sklaven ſind, ſondern weil der Zauberer fehlt, der das Uhrwerk wieder aufzieht. Dieſer Staat Preußen iſt ein Conglomerat von Kraft und gutem Willen, wie man ſie ſelten in der Geſchichte ſah, aber eine Gliederpuppe, wenn kein neuer Geiſt hinein¬ fährt.“ Der Mann wandte ſich mit einem Kopfnicken raſch um. Zwei Schritt weiter blieb er noch ein Mal ſtehen: „Wie heißen Sie? Ich möchte Ihre Adreſſe wiſſen — wenn ich wieder ein Mal einen ſo gefälligen Führer in Potsdam brauche,“ ſetzte er halb lächelnd hinzu, um das Scharfe auszugleichen. Walter hatte keinen Grund ſeinen Namen zu verſchweigen. Er kannte aber genug von der Luft in den hohen Lebensregionen, um nicht zu wiſſen, daß dieſer Name, ſo laut er ihn ausſprach und ſo deutlich der andre ihn ſich wiederholte, ſchon am Ende der Straße verhallt war. Jener hatte vielleicht erwartet, daß Walter auch ihn bitten werde, den ſeinen zu nennen, Walter wollte aber nicht bitten.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe03_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe03_1852/159
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 3. Berlin, 1852, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe03_1852/159>, abgerufen am 21.11.2024.