Das Reiterlied war gesungen; tiefe Spannung auf allen Gesichtern, ein banges Schweigen in dem gedrängt vollen Hause. Da trat Kaselitz als Dra¬ goner von Piccolomini vor, und vertheilte ein ge¬ drucktes Lied zum Lobe des Krieges unter seine Cameraden. Die Pappenheimer, die Panduren, Il¬ los Kroaten, alle verstanden Deutsch zu lesen, das Or¬ chester hub an, und nach der Schulzeschen Melodie: "Am Rhein, am Rhein!" ward ein Lied gesungen, von dem überlebende Zeitgenossen uns versichern, daß es gewirkt wie ein Tyrtäischer Kriegsgesang. Das Publicum erhob sich. Man streckte die Arme nach der Bühne, um den Text zum Mitsingen zu erhal¬ ten, die Schranken des Orchesters fielen. Da aber regnete es schon von gedruckten Blättern aus dem Amphitheater. Das Parterre stimmte ein, Jubel oder Rührung, es war zweifelhaft, was größer war. Die Damen in den Logen wehten mit den Tüchern; ernsten Männern, bei deren gefurchtem Gesicht man einen Eid hätte ablegen mögen, daß sie nie geweint, standen Thränen im Auge.
Die letzte Strophe mußte wiederholt werden. "Das ist ein Lied!" -- "Das ein Gesang!" -- "Ein Dichter!" -- Von Mund zu Munde ging sein Name geflüstert hin: "Es sind der Herr Major von Kne¬ sebeck!" Dort schrie Einer dem Andern zu: "Donner und Wetter, der Knesebeck ein Dichter!" Man wollte, man mußte sich näher kommen. Die in jener Zeit nicht so strenge Billetordnung ward gebrochen, man be¬
Das Reiterlied war geſungen; tiefe Spannung auf allen Geſichtern, ein banges Schweigen in dem gedrängt vollen Hauſe. Da trat Kaſelitz als Dra¬ goner von Piccolomini vor, und vertheilte ein ge¬ drucktes Lied zum Lobe des Krieges unter ſeine Cameraden. Die Pappenheimer, die Panduren, Il¬ los Kroaten, alle verſtanden Deutſch zu leſen, das Or¬ cheſter hub an, und nach der Schulzeſchen Melodie: „Am Rhein, am Rhein!“ ward ein Lied geſungen, von dem überlebende Zeitgenoſſen uns verſichern, daß es gewirkt wie ein Tyrtäiſcher Kriegsgeſang. Das Publicum erhob ſich. Man ſtreckte die Arme nach der Bühne, um den Text zum Mitſingen zu erhal¬ ten, die Schranken des Orcheſters fielen. Da aber regnete es ſchon von gedruckten Blättern aus dem Amphitheater. Das Parterre ſtimmte ein, Jubel oder Rührung, es war zweifelhaft, was größer war. Die Damen in den Logen wehten mit den Tüchern; ernſten Männern, bei deren gefurchtem Geſicht man einen Eid hätte ablegen mögen, daß ſie nie geweint, ſtanden Thränen im Auge.
Die letzte Strophe mußte wiederholt werden. „Das iſt ein Lied!“ — „Das ein Geſang!“ — „Ein Dichter!“ — Von Mund zu Munde ging ſein Name geflüſtert hin: „Es ſind der Herr Major von Kne¬ ſebeck!“ Dort ſchrie Einer dem Andern zu: „Donner und Wetter, der Kneſebeck ein Dichter!“ Man wollte, man mußte ſich näher kommen. Die in jener Zeit nicht ſo ſtrenge Billetordnung ward gebrochen, man be¬
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Das Reiterlied war geſungen; tiefe Spannung
auf allen Geſichtern, ein banges Schweigen in dem
gedrängt vollen Hauſe. Da trat Kaſelitz als Dra¬
goner von Piccolomini vor, und vertheilte ein ge¬
drucktes Lied zum Lobe des Krieges unter ſeine
Cameraden. Die Pappenheimer, die Panduren, Il¬
los Kroaten, alle verſtanden Deutſch zu leſen, das Or¬
cheſter hub an, und nach der Schulzeſchen Melodie:
„Am Rhein, am Rhein!“ ward ein Lied geſungen,
von dem überlebende Zeitgenoſſen uns verſichern, daß
es gewirkt wie ein Tyrtäiſcher Kriegsgeſang. Das
Publicum erhob ſich. Man ſtreckte die Arme nach
der Bühne, um den Text zum Mitſingen zu erhal¬
ten, die Schranken des Orcheſters fielen. Da aber
regnete es ſchon von gedruckten Blättern aus dem
Amphitheater. Das Parterre ſtimmte ein, Jubel
oder Rührung, es war zweifelhaft, was größer war.
Die Damen in den Logen wehten mit den Tüchern;
ernſten Männern, bei deren gefurchtem Geſicht man
einen Eid hätte ablegen mögen, daß ſie nie geweint,
ſtanden Thränen im Auge.
Die letzte Strophe mußte wiederholt werden.
„Das iſt ein Lied!“ — „Das ein Geſang!“ — „Ein
Dichter!“ — Von Mund zu Munde ging ſein Name
geflüſtert hin: „Es ſind der Herr Major von Kne¬
ſebeck!“ Dort ſchrie Einer dem Andern zu: „Donner
und Wetter, der Kneſebeck ein Dichter!“ Man wollte,
man mußte ſich näher kommen. Die in jener Zeit nicht
ſo ſtrenge Billetordnung ward gebrochen, man be¬
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 3. Berlin, 1852, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe03_1852/268>, abgerufen am 24.11.2024.
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