Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 3. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

doch nicht unedlen Züge, welche ein beständiges Nach¬
denken über plus und minus ausdrücken, jene Absor¬
birung von allem was Impuls oder Phantasie heißt.
Wenn aber die Augen aufblitzten oder auf einen
Gegenstand zückten, bewegte sich wohl um die Lippen
ein sarkastischer Zug. Sein Haar, weißblond von
Natur oder weiß vom Alter, schien schon lange den
Puder als etwas Ueberflüssiges abgestreift zu haben.
Es fiel schlicht, eben nicht sorgsam gekämmt, auf den
Hinterkopf und um die Schläfe herab. Daß er eben
so wenig Umstände mit der Toilette wie mit der
Frisur machte, verrieth der Ueberrock von grobem
Tuch und einem dick übergelegten Kragen. Seine
Hände, die auf dem Tische lagen, waren weiß und
fein, seine Füße dagegen, die er weit vorgestreckt hatte,
schienen grob wie die blauen Strümpfe und die dick
versohlten Schuhe.

"Also keine Mariage nicht!" hatte der Mann mit
den grau blauen Augen gesagt, und zwei Gläser mit
Granatwein gefüllt, worauf der Kriegsrath das eine
nach einigem Bedenken ergriffen und mit ihm ange¬
stoßen hatte.

"Ueberdem ist sie auch noch zu jung," setzte er
hinzu, und das halb ausgetrunkene Glas auf den
Tisch.

Der andere sagte: "Alter schützt vor Thorheit
nicht, und zu jung ist keine nicht, um sich nicht zu
verplempern."

Der Kriegsrath spielte etwas verlegen oder verletzt

doch nicht unedlen Züge, welche ein beſtändiges Nach¬
denken über plus und minus ausdrücken, jene Abſor¬
birung von allem was Impuls oder Phantaſie heißt.
Wenn aber die Augen aufblitzten oder auf einen
Gegenſtand zückten, bewegte ſich wohl um die Lippen
ein ſarkaſtiſcher Zug. Sein Haar, weißblond von
Natur oder weiß vom Alter, ſchien ſchon lange den
Puder als etwas Ueberflüſſiges abgeſtreift zu haben.
Es fiel ſchlicht, eben nicht ſorgſam gekämmt, auf den
Hinterkopf und um die Schläfe herab. Daß er eben
ſo wenig Umſtände mit der Toilette wie mit der
Friſur machte, verrieth der Ueberrock von grobem
Tuch und einem dick übergelegten Kragen. Seine
Hände, die auf dem Tiſche lagen, waren weiß und
fein, ſeine Füße dagegen, die er weit vorgeſtreckt hatte,
ſchienen grob wie die blauen Strümpfe und die dick
verſohlten Schuhe.

„Alſo keine Mariage nicht!“ hatte der Mann mit
den grau blauen Augen geſagt, und zwei Gläſer mit
Granatwein gefüllt, worauf der Kriegsrath das eine
nach einigem Bedenken ergriffen und mit ihm ange¬
ſtoßen hatte.

„Ueberdem iſt ſie auch noch zu jung,“ ſetzte er
hinzu, und das halb ausgetrunkene Glas auf den
Tiſch.

Der andere ſagte: „Alter ſchützt vor Thorheit
nicht, und zu jung iſt keine nicht, um ſich nicht zu
verplempern.“

Der Kriegsrath ſpielte etwas verlegen oder verletzt

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0070" n="60"/>
doch nicht unedlen Züge, welche ein be&#x017F;tändiges Nach¬<lb/>
denken über <hi rendition="#aq">plus</hi> und <hi rendition="#aq">minus</hi> ausdrücken, jene Ab&#x017F;or¬<lb/>
birung von allem was Impuls oder Phanta&#x017F;ie heißt.<lb/>
Wenn aber die Augen aufblitzten oder auf einen<lb/>
Gegen&#x017F;tand zückten, bewegte &#x017F;ich wohl um die Lippen<lb/>
ein &#x017F;arka&#x017F;ti&#x017F;cher Zug. Sein Haar, weißblond von<lb/>
Natur oder weiß vom Alter, &#x017F;chien &#x017F;chon lange den<lb/>
Puder als etwas Ueberflü&#x017F;&#x017F;iges abge&#x017F;treift zu haben.<lb/>
Es fiel &#x017F;chlicht, eben nicht &#x017F;org&#x017F;am gekämmt, auf den<lb/>
Hinterkopf und um die Schläfe herab. Daß er eben<lb/>
&#x017F;o wenig Um&#x017F;tände mit der Toilette wie mit der<lb/>
Fri&#x017F;ur machte, verrieth der Ueberrock von grobem<lb/>
Tuch und einem dick übergelegten Kragen. Seine<lb/>
Hände, die auf dem Ti&#x017F;che lagen, waren weiß und<lb/>
fein, &#x017F;eine Füße dagegen, die er weit vorge&#x017F;treckt hatte,<lb/>
&#x017F;chienen grob wie die blauen Strümpfe und die dick<lb/>
ver&#x017F;ohlten Schuhe.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Al&#x017F;o keine Mariage nicht!&#x201C; hatte der Mann mit<lb/>
den grau blauen Augen ge&#x017F;agt, und zwei Glä&#x017F;er mit<lb/>
Granatwein gefüllt, worauf der Kriegsrath das eine<lb/>
nach einigem Bedenken ergriffen und mit ihm ange¬<lb/>
&#x017F;toßen hatte.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ueberdem i&#x017F;t &#x017F;ie auch noch zu jung,&#x201C; &#x017F;etzte er<lb/>
hinzu, und das halb ausgetrunkene Glas auf den<lb/>
Ti&#x017F;ch.</p><lb/>
        <p>Der andere &#x017F;agte: &#x201E;Alter &#x017F;chützt vor Thorheit<lb/>
nicht, und zu jung i&#x017F;t keine nicht, um &#x017F;ich nicht zu<lb/>
verplempern.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Der Kriegsrath &#x017F;pielte etwas verlegen oder verletzt<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[60/0070] doch nicht unedlen Züge, welche ein beſtändiges Nach¬ denken über plus und minus ausdrücken, jene Abſor¬ birung von allem was Impuls oder Phantaſie heißt. Wenn aber die Augen aufblitzten oder auf einen Gegenſtand zückten, bewegte ſich wohl um die Lippen ein ſarkaſtiſcher Zug. Sein Haar, weißblond von Natur oder weiß vom Alter, ſchien ſchon lange den Puder als etwas Ueberflüſſiges abgeſtreift zu haben. Es fiel ſchlicht, eben nicht ſorgſam gekämmt, auf den Hinterkopf und um die Schläfe herab. Daß er eben ſo wenig Umſtände mit der Toilette wie mit der Friſur machte, verrieth der Ueberrock von grobem Tuch und einem dick übergelegten Kragen. Seine Hände, die auf dem Tiſche lagen, waren weiß und fein, ſeine Füße dagegen, die er weit vorgeſtreckt hatte, ſchienen grob wie die blauen Strümpfe und die dick verſohlten Schuhe. „Alſo keine Mariage nicht!“ hatte der Mann mit den grau blauen Augen geſagt, und zwei Gläſer mit Granatwein gefüllt, worauf der Kriegsrath das eine nach einigem Bedenken ergriffen und mit ihm ange¬ ſtoßen hatte. „Ueberdem iſt ſie auch noch zu jung,“ ſetzte er hinzu, und das halb ausgetrunkene Glas auf den Tiſch. Der andere ſagte: „Alter ſchützt vor Thorheit nicht, und zu jung iſt keine nicht, um ſich nicht zu verplempern.“ Der Kriegsrath ſpielte etwas verlegen oder verletzt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe03_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe03_1852/70
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 3. Berlin, 1852, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe03_1852/70>, abgerufen am 24.11.2024.