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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852.

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keines Fundamentalbaues. War nicht seine ganze
Rede ein indirekter Angriff gegen die Schöpfung
des Einzigen? Wo war denn die Nationalität hier,
die er als einzigen Anker, der Zukunft und Ver¬
gangenheit zusammenhalte, anpries! Wo das
ureigene deutsche Element? Friedrich, der mit dem
Degengriff und der Feder zerstörend in das Zer¬
fallende hineingegriffen, hatte eine Schöpfung hin¬
gestellt, die der Gegenwart angehörte. Freilich hatte
er diesen Vorwurf in seinem Sinne nicht deutlich
ausgesprochen, noch begriffen es Alle, aber man
fühlte es.

Ein peinliches Schweigen war eingetreten. Einige
Damen lobten hinter dem Rücken das sonore Organ
des Redners; leise, aber laut genug, daß er es
hören konnte. Man begegnete ihm mit großem
Respect, aber -- es galt seinem Stande. Der junge
Mann fühlte sich unbehaglich, er verschwand bald;
er war noch zu Hofe geladen.

Dennoch hatte seine Rede einen Eindruck hin¬
terlassen.

Ob die Fürstin das Lob der Nationalität,
die Hoffnung auf Rußland, für ein Compliment
genommen!

"Was sagen Sie dazu?" sprach sie, aus ihrem
Nachsinnen erwachend, als ihr Blick auf einen Mann
fiel, dessen Stirn, Auge, Haltung, den Künstler
nicht verkennen ließ, der sich mit dem Stolz des
Bewußtseins in dem Kreise bewegte, welcher an

keines Fundamentalbaues. War nicht ſeine ganze
Rede ein indirekter Angriff gegen die Schöpfung
des Einzigen? Wo war denn die Nationalität hier,
die er als einzigen Anker, der Zukunft und Ver¬
gangenheit zuſammenhalte, anpries! Wo das
ureigene deutſche Element? Friedrich, der mit dem
Degengriff und der Feder zerſtörend in das Zer¬
fallende hineingegriffen, hatte eine Schöpfung hin¬
geſtellt, die der Gegenwart angehörte. Freilich hatte
er dieſen Vorwurf in ſeinem Sinne nicht deutlich
ausgeſprochen, noch begriffen es Alle, aber man
fühlte es.

Ein peinliches Schweigen war eingetreten. Einige
Damen lobten hinter dem Rücken das ſonore Organ
des Redners; leiſe, aber laut genug, daß er es
hören konnte. Man begegnete ihm mit großem
Reſpect, aber — es galt ſeinem Stande. Der junge
Mann fühlte ſich unbehaglich, er verſchwand bald;
er war noch zu Hofe geladen.

Dennoch hatte ſeine Rede einen Eindruck hin¬
terlaſſen.

Ob die Fürſtin das Lob der Nationalität,
die Hoffnung auf Rußland, für ein Compliment
genommen!

„Was ſagen Sie dazu?“ ſprach ſie, aus ihrem
Nachſinnen erwachend, als ihr Blick auf einen Mann
fiel, deſſen Stirn, Auge, Haltung, den Künſtler
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[122/0132] keines Fundamentalbaues. War nicht ſeine ganze Rede ein indirekter Angriff gegen die Schöpfung des Einzigen? Wo war denn die Nationalität hier, die er als einzigen Anker, der Zukunft und Ver¬ gangenheit zuſammenhalte, anpries! Wo das ureigene deutſche Element? Friedrich, der mit dem Degengriff und der Feder zerſtörend in das Zer¬ fallende hineingegriffen, hatte eine Schöpfung hin¬ geſtellt, die der Gegenwart angehörte. Freilich hatte er dieſen Vorwurf in ſeinem Sinne nicht deutlich ausgeſprochen, noch begriffen es Alle, aber man fühlte es. Ein peinliches Schweigen war eingetreten. Einige Damen lobten hinter dem Rücken das ſonore Organ des Redners; leiſe, aber laut genug, daß er es hören konnte. Man begegnete ihm mit großem Reſpect, aber — es galt ſeinem Stande. Der junge Mann fühlte ſich unbehaglich, er verſchwand bald; er war noch zu Hofe geladen. Dennoch hatte ſeine Rede einen Eindruck hin¬ terlaſſen. Ob die Fürſtin das Lob der Nationalität, die Hoffnung auf Rußland, für ein Compliment genommen! „Was ſagen Sie dazu?“ ſprach ſie, aus ihrem Nachſinnen erwachend, als ihr Blick auf einen Mann fiel, deſſen Stirn, Auge, Haltung, den Künſtler nicht verkennen ließ, der ſich mit dem Stolz des Bewußtſeins in dem Kreiſe bewegte, welcher an

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/132>, abgerufen am 21.11.2024.