Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

"Unglaublich!" riefen beide Zuhörer, jeder dachte
etwas andres.

"Daß solch ein Mensch sich nicht vernichtet fühlt,"
sagte die Almedingen.

"Weshalb, meine Gnädigste?"

"Weil er die Ursach war, daß ein Prinz von
Geblüt sich selbst vergaß. Wenn eine solche Gewis¬
senslast auf mich drückte, ich wüßte doch nichts an¬
ders, als daß ich mir das Leben nehmen müßte."

"Die Gewissen sind verschieden, entgegnete Fuch¬
sius. Das ist eine wunderbare Gabe Gottes. Herr
Lupinus gehört zu der großen Klasse Menschen, die
man wie die Frösche mit Keulen in den Sumpf
stampfen mag, sie stecken die Köpfe doch wieder raus."

Das zarte Gefühl der Almedingen erlaubte ihr
nicht länger dem Gespräche zuzuhören. Als sie ge¬
gangen, sagte der Besternte: "Mich dünkt, zu dieser
Klasse gehört die Majorität der Menschen." Der
Regierungsrath erwiederte:

"Wenigstens, wenn die Keulenschläge, die sie
täglich empfangen, sie zur Besinnung ihres Unwerths
brächten, wäre die Welt eine andere, als sie ist."

Die Nachricht lief um, der Prinz werde gar
nicht kommen. Es seien Depechen vom Rhein höchst
betrübenden Inhalts eingelaufen, darauf er zu Hofe
berufen. "Und sie läßt noch nicht serviren!" seufzte
ein Präsident, die Uhrkette ziehend.

Die noch nicht serviren ließ, hatte während des¬
sen die Goldstücke vom Spieltisch eingesammelt und,

„Unglaublich!“ riefen beide Zuhörer, jeder dachte
etwas andres.

„Daß ſolch ein Menſch ſich nicht vernichtet fühlt,“
ſagte die Almedingen.

„Weshalb, meine Gnädigſte?“

„Weil er die Urſach war, daß ein Prinz von
Geblüt ſich ſelbſt vergaß. Wenn eine ſolche Gewiſ¬
ſenslaſt auf mich drückte, ich wüßte doch nichts an¬
ders, als daß ich mir das Leben nehmen müßte.“

„Die Gewiſſen ſind verſchieden, entgegnete Fuch¬
ſius. Das iſt eine wunderbare Gabe Gottes. Herr
Lupinus gehört zu der großen Klaſſe Menſchen, die
man wie die Fröſche mit Keulen in den Sumpf
ſtampfen mag, ſie ſtecken die Köpfe doch wieder raus.“

Das zarte Gefühl der Almedingen erlaubte ihr
nicht länger dem Geſpräche zuzuhören. Als ſie ge¬
gangen, ſagte der Beſternte: „Mich dünkt, zu dieſer
Klaſſe gehört die Majorität der Menſchen.“ Der
Regierungsrath erwiederte:

„Wenigſtens, wenn die Keulenſchläge, die ſie
täglich empfangen, ſie zur Beſinnung ihres Unwerths
brächten, wäre die Welt eine andere, als ſie iſt.“

Die Nachricht lief um, der Prinz werde gar
nicht kommen. Es ſeien Depechen vom Rhein höchſt
betrübenden Inhalts eingelaufen, darauf er zu Hofe
berufen. „Und ſie läßt noch nicht ſerviren!“ ſeufzte
ein Präſident, die Uhrkette ziehend.

Die noch nicht ſerviren ließ, hatte während deſ¬
ſen die Goldſtücke vom Spieltiſch eingeſammelt und,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0165" n="155"/>
        <p>&#x201E;Unglaublich!&#x201C; riefen beide Zuhörer, jeder dachte<lb/>
etwas andres.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Daß &#x017F;olch ein Men&#x017F;ch &#x017F;ich nicht vernichtet fühlt,&#x201C;<lb/>
&#x017F;agte die Almedingen.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Weshalb, meine Gnädig&#x017F;te?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Weil er die Ur&#x017F;ach war, daß ein Prinz von<lb/>
Geblüt &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t vergaß. Wenn eine &#x017F;olche Gewi&#x017F;¬<lb/>
&#x017F;ensla&#x017F;t auf mich drückte, ich wüßte doch nichts an¬<lb/>
ders, als daß ich mir das Leben nehmen müßte.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Die Gewi&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ind ver&#x017F;chieden, entgegnete Fuch¬<lb/>
&#x017F;ius. Das i&#x017F;t eine wunderbare Gabe Gottes. Herr<lb/>
Lupinus gehört zu der großen Kla&#x017F;&#x017F;e Men&#x017F;chen, die<lb/>
man wie die Frö&#x017F;che mit Keulen in den Sumpf<lb/>
&#x017F;tampfen mag, &#x017F;ie &#x017F;tecken die Köpfe doch wieder raus.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Das zarte Gefühl der Almedingen erlaubte ihr<lb/>
nicht länger dem Ge&#x017F;präche zuzuhören. Als &#x017F;ie ge¬<lb/>
gangen, &#x017F;agte der Be&#x017F;ternte: &#x201E;Mich dünkt, zu die&#x017F;er<lb/>
Kla&#x017F;&#x017F;e gehört die Majorität der Men&#x017F;chen.&#x201C; Der<lb/>
Regierungsrath erwiederte:</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wenig&#x017F;tens, wenn die Keulen&#x017F;chläge, die &#x017F;ie<lb/>
täglich empfangen, &#x017F;ie zur Be&#x017F;innung ihres Unwerths<lb/>
brächten, wäre die Welt eine andere, als &#x017F;ie i&#x017F;t.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Die Nachricht lief um, der Prinz werde gar<lb/>
nicht kommen. Es &#x017F;eien Depechen vom Rhein höch&#x017F;t<lb/>
betrübenden Inhalts eingelaufen, darauf er zu Hofe<lb/>
berufen. &#x201E;Und &#x017F;ie läßt noch nicht &#x017F;erviren!&#x201C; &#x017F;eufzte<lb/>
ein Prä&#x017F;ident, die Uhrkette ziehend.</p><lb/>
        <p>Die noch nicht &#x017F;erviren ließ, hatte während de&#x017F;¬<lb/>
&#x017F;en die Gold&#x017F;tücke vom Spielti&#x017F;ch einge&#x017F;ammelt und,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[155/0165] „Unglaublich!“ riefen beide Zuhörer, jeder dachte etwas andres. „Daß ſolch ein Menſch ſich nicht vernichtet fühlt,“ ſagte die Almedingen. „Weshalb, meine Gnädigſte?“ „Weil er die Urſach war, daß ein Prinz von Geblüt ſich ſelbſt vergaß. Wenn eine ſolche Gewiſ¬ ſenslaſt auf mich drückte, ich wüßte doch nichts an¬ ders, als daß ich mir das Leben nehmen müßte.“ „Die Gewiſſen ſind verſchieden, entgegnete Fuch¬ ſius. Das iſt eine wunderbare Gabe Gottes. Herr Lupinus gehört zu der großen Klaſſe Menſchen, die man wie die Fröſche mit Keulen in den Sumpf ſtampfen mag, ſie ſtecken die Köpfe doch wieder raus.“ Das zarte Gefühl der Almedingen erlaubte ihr nicht länger dem Geſpräche zuzuhören. Als ſie ge¬ gangen, ſagte der Beſternte: „Mich dünkt, zu dieſer Klaſſe gehört die Majorität der Menſchen.“ Der Regierungsrath erwiederte: „Wenigſtens, wenn die Keulenſchläge, die ſie täglich empfangen, ſie zur Beſinnung ihres Unwerths brächten, wäre die Welt eine andere, als ſie iſt.“ Die Nachricht lief um, der Prinz werde gar nicht kommen. Es ſeien Depechen vom Rhein höchſt betrübenden Inhalts eingelaufen, darauf er zu Hofe berufen. „Und ſie läßt noch nicht ſerviren!“ ſeufzte ein Präſident, die Uhrkette ziehend. Die noch nicht ſerviren ließ, hatte während deſ¬ ſen die Goldſtücke vom Spieltiſch eingeſammelt und,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/165
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/165>, abgerufen am 18.12.2024.