Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

soll sie wieder lieb haben, ihr Geld geben!" Warum
warf er das Papier so verächtlich fort? War das
ein specieller Egoismus, den er nach der Vertheidi¬
gungsrede für den generellen verwerfen mußte?

Er hatte sich mit unterschlagenen Armen an die
Fensterbrüstung gestellt. Er bereute nicht, daß er
der Geliebten entsagt, nicht, daß er sie dem Freunde
überließ, ohne Klage, nicht, daß er ihn noch außer¬
dem in den Stand setzen wollte, sein Glück zu ge¬
nießen; das lag hinter ihm als abgethane Noth¬
wendigkeit. Er war ein deutscher Denker, klar
wollte er sich machen, warum er gegen ein Princip
gehandelt, das er sich eben künstlich entwickelt. Weil
sie ihn nicht mehr liebte, weil sie ihn vielleicht nie
geliebt? Diesen einfachen, natürlichen Grund schien
er bei Seite zu schieben, und fand den wahren nur
in dem Drange, sich dem Vaterlande ganz hinzuge¬
ben. Was ist die Wahrheit einer Ueberzeugung?
Der höchste Verstandesrausch, über den wir nicht hin¬
auskönnen: "Wo wir dies endliche Ziel im Irdischen
fanden, sollen wir stehen bleiben, darauf alle unsere
Gedanken, Kräfte werfen. Und es giebt keinen hö¬
heren Begriff, als das Vaterland. Wir haben hu¬
manistisch, philanthropisch auch dies zu zersetzen ver¬
sucht, und wohin hat es uns geführt! In ein Meer
von schwimmenden Inseln und Fata Morganen.
Wenn wir unser Schiff herantrieben, landen wollten,
verschwanden die Thürme und Berge in die Wolken,
die Gärten der Armida wurden schillernde Sumpfpflan¬

ſoll ſie wieder lieb haben, ihr Geld geben!“ Warum
warf er das Papier ſo verächtlich fort? War das
ein ſpecieller Egoismus, den er nach der Vertheidi¬
gungsrede für den generellen verwerfen mußte?

Er hatte ſich mit unterſchlagenen Armen an die
Fenſterbrüſtung geſtellt. Er bereute nicht, daß er
der Geliebten entſagt, nicht, daß er ſie dem Freunde
überließ, ohne Klage, nicht, daß er ihn noch außer¬
dem in den Stand ſetzen wollte, ſein Glück zu ge¬
nießen; das lag hinter ihm als abgethane Noth¬
wendigkeit. Er war ein deutſcher Denker, klar
wollte er ſich machen, warum er gegen ein Princip
gehandelt, das er ſich eben künſtlich entwickelt. Weil
ſie ihn nicht mehr liebte, weil ſie ihn vielleicht nie
geliebt? Dieſen einfachen, natürlichen Grund ſchien
er bei Seite zu ſchieben, und fand den wahren nur
in dem Drange, ſich dem Vaterlande ganz hinzuge¬
ben. Was iſt die Wahrheit einer Ueberzeugung?
Der höchſte Verſtandesrauſch, über den wir nicht hin¬
auskönnen: „Wo wir dies endliche Ziel im Irdiſchen
fanden, ſollen wir ſtehen bleiben, darauf alle unſere
Gedanken, Kräfte werfen. Und es giebt keinen hö¬
heren Begriff, als das Vaterland. Wir haben hu¬
maniſtiſch, philanthropiſch auch dies zu zerſetzen ver¬
ſucht, und wohin hat es uns geführt! In ein Meer
von ſchwimmenden Inſeln und Fata Morganen.
Wenn wir unſer Schiff herantrieben, landen wollten,
verſchwanden die Thürme und Berge in die Wolken,
die Gärten der Armida wurden ſchillernde Sumpfpflan¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0261" n="251"/>
&#x017F;oll &#x017F;ie wieder lieb haben, ihr Geld geben!&#x201C; Warum<lb/>
warf er das Papier &#x017F;o verächtlich fort? War das<lb/>
ein &#x017F;pecieller Egoismus, den er nach der Vertheidi¬<lb/>
gungsrede für den generellen verwerfen mußte?</p><lb/>
        <p>Er hatte &#x017F;ich mit unter&#x017F;chlagenen Armen an die<lb/>
Fen&#x017F;terbrü&#x017F;tung ge&#x017F;tellt. Er bereute nicht, <hi rendition="#g">daß</hi> er<lb/>
der Geliebten ent&#x017F;agt, nicht, <hi rendition="#g">daß</hi> er &#x017F;ie dem Freunde<lb/>
überließ, ohne Klage, nicht, <hi rendition="#g">daß</hi> er ihn noch außer¬<lb/>
dem in den Stand &#x017F;etzen wollte, &#x017F;ein Glück zu ge¬<lb/>
nießen; das lag hinter ihm als abgethane Noth¬<lb/>
wendigkeit. Er war ein deut&#x017F;cher Denker, klar<lb/>
wollte er &#x017F;ich machen, warum er gegen ein Princip<lb/>
gehandelt, das er &#x017F;ich eben kün&#x017F;tlich entwickelt. Weil<lb/>
&#x017F;ie ihn nicht mehr liebte, weil &#x017F;ie ihn vielleicht nie<lb/>
geliebt? Die&#x017F;en einfachen, natürlichen Grund &#x017F;chien<lb/>
er bei Seite zu &#x017F;chieben, und fand den wahren nur<lb/>
in dem Drange, &#x017F;ich dem Vaterlande ganz hinzuge¬<lb/>
ben. Was i&#x017F;t die Wahrheit einer Ueberzeugung?<lb/>
Der höch&#x017F;te Ver&#x017F;tandesrau&#x017F;ch, über den wir nicht hin¬<lb/>
auskönnen: &#x201E;Wo wir dies endliche Ziel im Irdi&#x017F;chen<lb/>
fanden, &#x017F;ollen wir &#x017F;tehen bleiben, darauf alle un&#x017F;ere<lb/>
Gedanken, Kräfte werfen. Und es giebt keinen hö¬<lb/>
heren Begriff, als das Vaterland. Wir haben hu¬<lb/>
mani&#x017F;ti&#x017F;ch, philanthropi&#x017F;ch auch dies zu zer&#x017F;etzen ver¬<lb/>
&#x017F;ucht, und wohin hat es uns geführt! In ein Meer<lb/>
von &#x017F;chwimmenden In&#x017F;eln und Fata Morganen.<lb/>
Wenn wir un&#x017F;er Schiff herantrieben, landen wollten,<lb/>
ver&#x017F;chwanden die Thürme und Berge in die Wolken,<lb/>
die Gärten der Armida wurden &#x017F;chillernde Sumpfpflan¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[251/0261] ſoll ſie wieder lieb haben, ihr Geld geben!“ Warum warf er das Papier ſo verächtlich fort? War das ein ſpecieller Egoismus, den er nach der Vertheidi¬ gungsrede für den generellen verwerfen mußte? Er hatte ſich mit unterſchlagenen Armen an die Fenſterbrüſtung geſtellt. Er bereute nicht, daß er der Geliebten entſagt, nicht, daß er ſie dem Freunde überließ, ohne Klage, nicht, daß er ihn noch außer¬ dem in den Stand ſetzen wollte, ſein Glück zu ge¬ nießen; das lag hinter ihm als abgethane Noth¬ wendigkeit. Er war ein deutſcher Denker, klar wollte er ſich machen, warum er gegen ein Princip gehandelt, das er ſich eben künſtlich entwickelt. Weil ſie ihn nicht mehr liebte, weil ſie ihn vielleicht nie geliebt? Dieſen einfachen, natürlichen Grund ſchien er bei Seite zu ſchieben, und fand den wahren nur in dem Drange, ſich dem Vaterlande ganz hinzuge¬ ben. Was iſt die Wahrheit einer Ueberzeugung? Der höchſte Verſtandesrauſch, über den wir nicht hin¬ auskönnen: „Wo wir dies endliche Ziel im Irdiſchen fanden, ſollen wir ſtehen bleiben, darauf alle unſere Gedanken, Kräfte werfen. Und es giebt keinen hö¬ heren Begriff, als das Vaterland. Wir haben hu¬ maniſtiſch, philanthropiſch auch dies zu zerſetzen ver¬ ſucht, und wohin hat es uns geführt! In ein Meer von ſchwimmenden Inſeln und Fata Morganen. Wenn wir unſer Schiff herantrieben, landen wollten, verſchwanden die Thürme und Berge in die Wolken, die Gärten der Armida wurden ſchillernde Sumpfpflan¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/261
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/261>, abgerufen am 24.11.2024.