"Nein, klage Dich nicht an. Es war eine Kette von Bestimmungen. Aber untergegangen wäre ich in der Lüge, das fühle ich. Je größer sie ward, so kälter schlug's mir an's Herz."
"Gott sei Dank, eine Frau, die warm fühlt, nahm Dich zu sich."
Adelheid war aufgestanden. Sie schüttelte den Kopf. Eine hohe Röthe überzog ihr Gesicht, als sie sich zu ihm umwandte, die Hände sanft auf seine Schultern legte und seine Augen küßte:
"Laß uns davon nicht sprechen, Liebster."
"Du zweifelst an der Güte der Fürstin?"
"Meine Augen wurden geöffnet, wunderbar klar liegt es vor mir; Blicke, um die mich Niemand be¬ neiden darf. Das ist die entsetzliche Schule der Lupinus. Nein, mein Geliebter, laß uns davon schweigen."
"Auch hier nicht glücklich?"
"Ich werde glücklich, denn ich werde wieder ich selbst."
Er blickte sie fragend an.
"Bin ich denn mehr, als ich dort war! Da wollte man den seltenen Vogel in ein Bauer sperren, dort flatterte ich an einer unsichtbaren Kette, hier läßt man mich frei fliegen, weil man weiß, ich kann nicht entfliehen. Ich habe ja kein Haus, wohin. Eine Leibeigene bin ich, nicht anders als die da unten auf den Bänken schlafen müssen. Jeden braucht man, wozu er gut ist, und so lange er dazu gut ist. Mich
„Nein, klage Dich nicht an. Es war eine Kette von Beſtimmungen. Aber untergegangen wäre ich in der Lüge, das fühle ich. Je größer ſie ward, ſo kälter ſchlug's mir an's Herz.“
„Gott ſei Dank, eine Frau, die warm fühlt, nahm Dich zu ſich.“
Adelheid war aufgeſtanden. Sie ſchüttelte den Kopf. Eine hohe Röthe überzog ihr Geſicht, als ſie ſich zu ihm umwandte, die Hände ſanft auf ſeine Schultern legte und ſeine Augen küßte:
„Laß uns davon nicht ſprechen, Liebſter.“
„Du zweifelſt an der Güte der Fürſtin?“
„Meine Augen wurden geöffnet, wunderbar klar liegt es vor mir; Blicke, um die mich Niemand be¬ neiden darf. Das iſt die entſetzliche Schule der Lupinus. Nein, mein Geliebter, laß uns davon ſchweigen.“
„Auch hier nicht glücklich?“
„Ich werde glücklich, denn ich werde wieder ich ſelbſt.“
Er blickte ſie fragend an.
„Bin ich denn mehr, als ich dort war! Da wollte man den ſeltenen Vogel in ein Bauer ſperren, dort flatterte ich an einer unſichtbaren Kette, hier läßt man mich frei fliegen, weil man weiß, ich kann nicht entfliehen. Ich habe ja kein Haus, wohin. Eine Leibeigene bin ich, nicht anders als die da unten auf den Bänken ſchlafen müſſen. Jeden braucht man, wozu er gut iſt, und ſo lange er dazu gut iſt. Mich
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„Nein, klage Dich nicht an. Es war eine Kette
von Beſtimmungen. Aber untergegangen wäre ich
in der Lüge, das fühle ich. Je größer ſie ward, ſo
kälter ſchlug's mir an's Herz.“
„Gott ſei Dank, eine Frau, die warm fühlt,
nahm Dich zu ſich.“
Adelheid war aufgeſtanden. Sie ſchüttelte den
Kopf. Eine hohe Röthe überzog ihr Geſicht, als ſie
ſich zu ihm umwandte, die Hände ſanft auf ſeine
Schultern legte und ſeine Augen küßte:
„Laß uns davon nicht ſprechen, Liebſter.“
„Du zweifelſt an der Güte der Fürſtin?“
„Meine Augen wurden geöffnet, wunderbar klar
liegt es vor mir; Blicke, um die mich Niemand be¬
neiden darf. Das iſt die entſetzliche Schule der
Lupinus. Nein, mein Geliebter, laß uns davon
ſchweigen.“
„Auch hier nicht glücklich?“
„Ich werde glücklich, denn ich werde wieder ich
ſelbſt.“
Er blickte ſie fragend an.
„Bin ich denn mehr, als ich dort war! Da
wollte man den ſeltenen Vogel in ein Bauer ſperren,
dort flatterte ich an einer unſichtbaren Kette, hier
läßt man mich frei fliegen, weil man weiß, ich kann
nicht entfliehen. Ich habe ja kein Haus, wohin. Eine
Leibeigene bin ich, nicht anders als die da unten auf
den Bänken ſchlafen müſſen. Jeden braucht man,
wozu er gut iſt, und ſo lange er dazu gut iſt. Mich
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852, S. 280. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/290>, abgerufen am 26.06.2024.
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