nur wie es in Familien mit beschränkten Mitteln geschieht. Die Mütter nehmen ihren Kleinen die Puppen und Soldaten allmälig fort, an denen sie sich das Jahr durch satt gespielt, um sie ihnen frisch lackirt und neu angezogen zu Weihnachten wieder zu schenken. Die klügsten Kinder merken es nicht. So das ganze Menschengeschlecht. Nur die Erwählten kommen mit sich in's Klare. -- Ja, wenn sie so weit sind, wenn alle Nebel, Dämmerscheine, chromatische Täuschungen, Vorurtheile gesunken, wenn sie wissen, ihre Kreise und sich selbst zu beherrschen, wenn sie sich das Zeugniß ablegen können, daß sie durch nichts sich beirren lassen, keine Mißgriffe thun, rein und grad auf ihren Zweck hinsteuern, -- dann -- das muß ein Göttergefühl eigener Art sein."
Die Geheimräthin senkte in ihrer Sophaecke den Kopf: "Wer kann das von sich sagen!"
"Ich kenne eine Frau, die es kann!" Er sah vor sich auf die Diele. Es war etwas Eigenes heut im Benehmen des Legationsrathes. So weich sein Ton, so sanft vorhin sein Händedruck, so geschmeidig, fast herzlich sein ganzes Benehmen; aber er sah sie nicht an, er streckte nicht die Hand aus, um sie auf ihren Arm zu legen, er saß isolirt wie ein Träumer, und nur durch das Medium der Töne waren sie in Berührung.
"Die Klügste kann sich darin täuschen!"
Er schien es nicht gehört zu haben. Er legte den Arm auf die Lehne, und seine Finger häm¬
nur wie es in Familien mit beſchränkten Mitteln geſchieht. Die Mütter nehmen ihren Kleinen die Puppen und Soldaten allmälig fort, an denen ſie ſich das Jahr durch ſatt geſpielt, um ſie ihnen friſch lackirt und neu angezogen zu Weihnachten wieder zu ſchenken. Die klügſten Kinder merken es nicht. So das ganze Menſchengeſchlecht. Nur die Erwählten kommen mit ſich in's Klare. — Ja, wenn ſie ſo weit ſind, wenn alle Nebel, Dämmerſcheine, chromatiſche Täuſchungen, Vorurtheile geſunken, wenn ſie wiſſen, ihre Kreiſe und ſich ſelbſt zu beherrſchen, wenn ſie ſich das Zeugniß ablegen können, daß ſie durch nichts ſich beirren laſſen, keine Mißgriffe thun, rein und grad auf ihren Zweck hinſteuern, — dann — das muß ein Göttergefühl eigener Art ſein.“
Die Geheimräthin ſenkte in ihrer Sophaecke den Kopf: „Wer kann das von ſich ſagen!“
„Ich kenne eine Frau, die es kann!“ Er ſah vor ſich auf die Diele. Es war etwas Eigenes heut im Benehmen des Legationsrathes. So weich ſein Ton, ſo ſanft vorhin ſein Händedruck, ſo geſchmeidig, faſt herzlich ſein ganzes Benehmen; aber er ſah ſie nicht an, er ſtreckte nicht die Hand aus, um ſie auf ihren Arm zu legen, er ſaß iſolirt wie ein Träumer, und nur durch das Medium der Töne waren ſie in Berührung.
„Die Klügſte kann ſich darin täuſchen!“
Er ſchien es nicht gehört zu haben. Er legte den Arm auf die Lehne, und ſeine Finger häm¬
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nur wie es in Familien mit beſchränkten Mitteln
geſchieht. Die Mütter nehmen ihren Kleinen die
Puppen und Soldaten allmälig fort, an denen ſie
ſich das Jahr durch ſatt geſpielt, um ſie ihnen friſch
lackirt und neu angezogen zu Weihnachten wieder zu
ſchenken. Die klügſten Kinder merken es nicht. So
das ganze Menſchengeſchlecht. Nur die Erwählten
kommen mit ſich in's Klare. — Ja, wenn ſie ſo weit
ſind, wenn alle Nebel, Dämmerſcheine, chromatiſche
Täuſchungen, Vorurtheile geſunken, wenn ſie wiſſen,
ihre Kreiſe und ſich ſelbſt zu beherrſchen, wenn ſie
ſich das Zeugniß ablegen können, daß ſie durch nichts
ſich beirren laſſen, keine Mißgriffe thun, rein und
grad auf ihren Zweck hinſteuern, — dann — das
muß ein Göttergefühl eigener Art ſein.“
Die Geheimräthin ſenkte in ihrer Sophaecke den
Kopf: „Wer kann das von ſich ſagen!“
„Ich kenne eine Frau, die es kann!“ Er ſah
vor ſich auf die Diele. Es war etwas Eigenes heut
im Benehmen des Legationsrathes. So weich ſein
Ton, ſo ſanft vorhin ſein Händedruck, ſo geſchmeidig,
faſt herzlich ſein ganzes Benehmen; aber er ſah ſie
nicht an, er ſtreckte nicht die Hand aus, um ſie auf
ihren Arm zu legen, er ſaß iſolirt wie ein Träumer,
und nur durch das Medium der Töne waren ſie
in Berührung.
„Die Klügſte kann ſich darin täuſchen!“
Er ſchien es nicht gehört zu haben. Er legte
den Arm auf die Lehne, und ſeine Finger häm¬
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852, S. 334. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/344>, abgerufen am 24.11.2024.
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