eine Säule finden, woran er sich aufrecht hält. -- Ein Todtengerippe! Was ist ein fühlloses Todten¬ gerippe Schreckliches mit einem verglichen, was die Augen noch rollen kann in den Höhlungen? Ja, sie bedurfte solches Stahlgusses, solcher Stärkung, des glühenden Eisens, das zur Wollust werden kann, wenn es den Nerv in dem nagenden Zahne aus¬ brennt. Sie stürzte in das Krankenzimmer.
Ja, das war noch schrecklicher als ein Gerippe an der Wand. Er stand aufrecht. Wie die letzte Flamme in einem verglimmenden Feuer auflodert, spielte der letzte Athem in dem lebendigen Knochen¬ mann. Er mußte furchtbar gespielt haben. Da lagen zerschlagene Gläser, Geschirre, die kostbaren Horaz¬ bände auf die Erde geworfen; ein dicker Staub wirbelte durch das Sonnenlicht, das ohnedem nur dunstig durch die trüben Scheiben drang, wie eine dumpfe abendliche Kirchenbeleuchtung durch gelbe Scheiben. Auch die Decke vom Schreibtisch halb herabgerissen, und der Kater oben, mit gekrümmtem Rücken und orangeglühenden Augen, spinnend. Was hatte das ruhige alte Thier in diese Unruhe versetzt!
Hatte er, vom Schmerz ergriffen, diese Ver¬ wüstung angerichtet? Körperliche Schmerzen waren es nicht. Diese schienen überwunden. Das Gespenst, den Schlafrock weit auf, ein Gerippe darunter, so wankte er auf die Frau zu. Die Brust schlug noch -- heftig, in den Skeletthänden hielt er ihr ein Buch entgegen. Das Buch zitterte durch die Luft.
eine Säule finden, woran er ſich aufrecht hält. — Ein Todtengerippe! Was iſt ein fühlloſes Todten¬ gerippe Schreckliches mit einem verglichen, was die Augen noch rollen kann in den Höhlungen? Ja, ſie bedurfte ſolches Stahlguſſes, ſolcher Stärkung, des glühenden Eiſens, das zur Wolluſt werden kann, wenn es den Nerv in dem nagenden Zahne aus¬ brennt. Sie ſtürzte in das Krankenzimmer.
Ja, das war noch ſchrecklicher als ein Gerippe an der Wand. Er ſtand aufrecht. Wie die letzte Flamme in einem verglimmenden Feuer auflodert, ſpielte der letzte Athem in dem lebendigen Knochen¬ mann. Er mußte furchtbar geſpielt haben. Da lagen zerſchlagene Gläſer, Geſchirre, die koſtbaren Horaz¬ bände auf die Erde geworfen; ein dicker Staub wirbelte durch das Sonnenlicht, das ohnedem nur dunſtig durch die trüben Scheiben drang, wie eine dumpfe abendliche Kirchenbeleuchtung durch gelbe Scheiben. Auch die Decke vom Schreibtiſch halb herabgeriſſen, und der Kater oben, mit gekrümmtem Rücken und orangeglühenden Augen, ſpinnend. Was hatte das ruhige alte Thier in dieſe Unruhe verſetzt!
Hatte er, vom Schmerz ergriffen, dieſe Ver¬ wüſtung angerichtet? Körperliche Schmerzen waren es nicht. Dieſe ſchienen überwunden. Das Geſpenſt, den Schlafrock weit auf, ein Gerippe darunter, ſo wankte er auf die Frau zu. Die Bruſt ſchlug noch — heftig, in den Skeletthänden hielt er ihr ein Buch entgegen. Das Buch zitterte durch die Luft.
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eine Säule finden, woran er ſich aufrecht hält. —
Ein Todtengerippe! Was iſt ein fühlloſes Todten¬
gerippe Schreckliches mit einem verglichen, was die
Augen noch rollen kann in den Höhlungen? Ja,
ſie bedurfte ſolches Stahlguſſes, ſolcher Stärkung,
des glühenden Eiſens, das zur Wolluſt werden kann,
wenn es den Nerv in dem nagenden Zahne aus¬
brennt. Sie ſtürzte in das Krankenzimmer.
Ja, das war noch ſchrecklicher als ein Gerippe
an der Wand. Er ſtand aufrecht. Wie die letzte
Flamme in einem verglimmenden Feuer auflodert,
ſpielte der letzte Athem in dem lebendigen Knochen¬
mann. Er mußte furchtbar geſpielt haben. Da lagen
zerſchlagene Gläſer, Geſchirre, die koſtbaren Horaz¬
bände auf die Erde geworfen; ein dicker Staub
wirbelte durch das Sonnenlicht, das ohnedem nur
dunſtig durch die trüben Scheiben drang, wie eine
dumpfe abendliche Kirchenbeleuchtung durch gelbe
Scheiben. Auch die Decke vom Schreibtiſch halb
herabgeriſſen, und der Kater oben, mit gekrümmtem
Rücken und orangeglühenden Augen, ſpinnend. Was
hatte das ruhige alte Thier in dieſe Unruhe verſetzt!
Hatte er, vom Schmerz ergriffen, dieſe Ver¬
wüſtung angerichtet? Körperliche Schmerzen waren
es nicht. Dieſe ſchienen überwunden. Das Geſpenſt,
den Schlafrock weit auf, ein Gerippe darunter, ſo
wankte er auf die Frau zu. Die Bruſt ſchlug noch
— heftig, in den Skeletthänden hielt er ihr ein
Buch entgegen. Das Buch zitterte durch die Luft.
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852, S. 351. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/361>, abgerufen am 27.11.2024.
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