Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

Weil die Dienstleute ein Gerücht hereintrugen, un¬
gebildete Gerichtsdiener, übereifrige Beamte sie ver¬
haftet, vielleicht auf ein bloßes Mißverständniß, eine
Verwechslung -- Kommt das nicht vor? Giebt es
nicht Justizmorde? -- Wie, darum verdammen wir
die, die Sie Alle durch lange Jahre mit Bewunderung,
Respect betrachtet, die uns galt für ein Wesen hö¬
herer Art! Diese Bewunderung für ihre guten Ei¬
genschaften, der Eindruck, den sie unwillkürlich auf
uns Alle geübt, wäre erloschen, fortgewischt durch
ein einziges Wort! O mein Gott, lassen Sie mich
nicht so schlecht von uns Allen denken, daß ein un¬
besonnenes, überhastetes Wort die Thaten eines gan¬
zen Lebens verlöschen könnte --"

"Aber --" fiel ihm Jemand in's Wort. Wan¬
del ließ ihn nicht zu Wort kommen.

"Sie haben Recht, der Schein ist gegen sie.
Ich vermesse mich auch in keiner Art hier Richter
sein, noch ableugnen zu wollen, was etwa von em¬
sigen Polizeibeamten zu Protocoll gegeben ist. Nein,
von solcher Anmaßung bin ich weit entfernt. Aber,
meine verehrten Freunde, hüten wir uns Schlüsse
zu ziehen aus dem, was scheint, was wir vermuthen.
Wollte ich meinen Vermuthungen nachträumen, dem
Scheine trauen, der eben wie ein Blitz vor mir auf¬
zückt, ich müßte zum Ankläger werden gegen die
edelsten Männer, die lautersten Charactere Berlins.
Sie traute keinem Arzte mehr, sie glaubte ihre
Schwächen durchschaut zu haben, sie nannte sie ins¬

Weil die Dienſtleute ein Gerücht hereintrugen, un¬
gebildete Gerichtsdiener, übereifrige Beamte ſie ver¬
haftet, vielleicht auf ein bloßes Mißverſtändniß, eine
Verwechslung — Kommt das nicht vor? Giebt es
nicht Juſtizmorde? — Wie, darum verdammen wir
die, die Sie Alle durch lange Jahre mit Bewunderung,
Reſpect betrachtet, die uns galt für ein Weſen hö¬
herer Art! Dieſe Bewunderung für ihre guten Ei¬
genſchaften, der Eindruck, den ſie unwillkürlich auf
uns Alle geübt, wäre erloſchen, fortgewiſcht durch
ein einziges Wort! O mein Gott, laſſen Sie mich
nicht ſo ſchlecht von uns Allen denken, daß ein un¬
beſonnenes, überhaſtetes Wort die Thaten eines gan¬
zen Lebens verlöſchen könnte —“

„Aber —“ fiel ihm Jemand in's Wort. Wan¬
del ließ ihn nicht zu Wort kommen.

„Sie haben Recht, der Schein iſt gegen ſie.
Ich vermeſſe mich auch in keiner Art hier Richter
ſein, noch ableugnen zu wollen, was etwa von em¬
ſigen Polizeibeamten zu Protocoll gegeben iſt. Nein,
von ſolcher Anmaßung bin ich weit entfernt. Aber,
meine verehrten Freunde, hüten wir uns Schlüſſe
zu ziehen aus dem, was ſcheint, was wir vermuthen.
Wollte ich meinen Vermuthungen nachträumen, dem
Scheine trauen, der eben wie ein Blitz vor mir auf¬
zückt, ich müßte zum Ankläger werden gegen die
edelſten Männer, die lauterſten Charactere Berlins.
Sie traute keinem Arzte mehr, ſie glaubte ihre
Schwächen durchſchaut zu haben, ſie nannte ſie ins¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0175" n="165"/>
        <p>Weil die Dien&#x017F;tleute ein Gerücht hereintrugen, un¬<lb/>
gebildete Gerichtsdiener, übereifrige Beamte &#x017F;ie ver¬<lb/>
haftet, vielleicht auf ein bloßes Mißver&#x017F;tändniß, eine<lb/>
Verwechslung &#x2014; Kommt das nicht vor? Giebt es<lb/>
nicht Ju&#x017F;tizmorde? &#x2014; Wie, darum verdammen wir<lb/>
die, die Sie Alle durch lange Jahre mit Bewunderung,<lb/>
Re&#x017F;pect betrachtet, die uns galt für ein We&#x017F;en hö¬<lb/>
herer Art! Die&#x017F;e Bewunderung für ihre guten Ei¬<lb/>
gen&#x017F;chaften, der Eindruck, den &#x017F;ie unwillkürlich auf<lb/>
uns Alle geübt, wäre erlo&#x017F;chen, fortgewi&#x017F;cht durch<lb/>
ein einziges Wort! O mein Gott, la&#x017F;&#x017F;en Sie mich<lb/>
nicht &#x017F;o &#x017F;chlecht von uns Allen denken, daß ein un¬<lb/>
be&#x017F;onnenes, überha&#x017F;tetes Wort die Thaten eines gan¬<lb/>
zen Lebens verlö&#x017F;chen könnte &#x2014;&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Aber &#x2014;&#x201C; fiel ihm Jemand in's Wort. Wan¬<lb/>
del ließ ihn nicht zu Wort kommen.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Sie haben Recht, der Schein i&#x017F;t gegen &#x017F;ie.<lb/>
Ich verme&#x017F;&#x017F;e mich auch in keiner Art hier Richter<lb/>
&#x017F;ein, noch ableugnen zu wollen, was etwa von em¬<lb/>
&#x017F;igen Polizeibeamten zu Protocoll gegeben i&#x017F;t. Nein,<lb/>
von &#x017F;olcher Anmaßung bin ich weit entfernt. Aber,<lb/>
meine verehrten Freunde, hüten wir uns Schlü&#x017F;&#x017F;e<lb/>
zu ziehen aus dem, was &#x017F;cheint, was wir vermuthen.<lb/>
Wollte ich meinen Vermuthungen nachträumen, dem<lb/>
Scheine trauen, der eben wie ein Blitz vor mir auf¬<lb/>
zückt, ich müßte zum Ankläger werden gegen die<lb/>
edel&#x017F;ten Männer, die lauter&#x017F;ten Charactere Berlins.<lb/>
Sie traute keinem Arzte mehr, &#x017F;ie glaubte ihre<lb/>
Schwächen durch&#x017F;chaut zu haben, &#x017F;ie nannte &#x017F;ie ins¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[165/0175] Weil die Dienſtleute ein Gerücht hereintrugen, un¬ gebildete Gerichtsdiener, übereifrige Beamte ſie ver¬ haftet, vielleicht auf ein bloßes Mißverſtändniß, eine Verwechslung — Kommt das nicht vor? Giebt es nicht Juſtizmorde? — Wie, darum verdammen wir die, die Sie Alle durch lange Jahre mit Bewunderung, Reſpect betrachtet, die uns galt für ein Weſen hö¬ herer Art! Dieſe Bewunderung für ihre guten Ei¬ genſchaften, der Eindruck, den ſie unwillkürlich auf uns Alle geübt, wäre erloſchen, fortgewiſcht durch ein einziges Wort! O mein Gott, laſſen Sie mich nicht ſo ſchlecht von uns Allen denken, daß ein un¬ beſonnenes, überhaſtetes Wort die Thaten eines gan¬ zen Lebens verlöſchen könnte —“ „Aber —“ fiel ihm Jemand in's Wort. Wan¬ del ließ ihn nicht zu Wort kommen. „Sie haben Recht, der Schein iſt gegen ſie. Ich vermeſſe mich auch in keiner Art hier Richter ſein, noch ableugnen zu wollen, was etwa von em¬ ſigen Polizeibeamten zu Protocoll gegeben iſt. Nein, von ſolcher Anmaßung bin ich weit entfernt. Aber, meine verehrten Freunde, hüten wir uns Schlüſſe zu ziehen aus dem, was ſcheint, was wir vermuthen. Wollte ich meinen Vermuthungen nachträumen, dem Scheine trauen, der eben wie ein Blitz vor mir auf¬ zückt, ich müßte zum Ankläger werden gegen die edelſten Männer, die lauterſten Charactere Berlins. Sie traute keinem Arzte mehr, ſie glaubte ihre Schwächen durchſchaut zu haben, ſie nannte ſie ins¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/175
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/175>, abgerufen am 25.11.2024.