die Schleifzüge, die Abbreviaturen waren dieselben, auch die ungewöhnliche Orthographie.
"Florestan Vansitter!" rief er aufstehend, und es schien, als fröstele ihn. Er warf einen Blick in den Spiegel, sein Auge glänzte ihm entgegen, ein Glanz, den man der Freude beimißt. "Pfui! ent¬ fuhr es seinen Lippen. Ist das nicht die canibalische Lust des Menschenfressers, wenn er sein Opfer auf Schußweite erblickt! -- Ach, wir sind alle Canibalen, alle, uns dürstet nach Menschenblut. Bin ich der Einzige, dessen Gesicht sich röthen wird von diaboli¬ schem Entzücken, wenn es an's Tageslicht kommt! Wie wird die Gesellschaft hier von der Wollust des Entsetzens beben, wenn es ausgesprochen ist, wenn der Mann, mit dem sie Hände gedrückt, Gläser an¬ gestoßen, zu dem sie sich gedrängt, von dessen Lippen der Honig geistvoller Unterhaltung floß, arretirt, in Ketten eingebracht wird, ein gemeiner Verbrecher. Unmöglich! werden sie rufen und doch innerlich zittern, wenn es nun nicht wahr wäre! -- O du Mantel der Humanität, der uns so schön sitzt, aus welchen Mondscheinspinnefäden bist du gewebt!"
Als er sich angekleidet und der graue Tag schon durch die Fensterscheiben blickte, stand ein junger Mensch in unansehnlicher Kleidung vor dem Rathe.
"Nichts von Wichtigkeit, antwortete der Einge¬ tretene auf eine Frage des Rathes. Ihr Benehmen im Gefängniß bleibt dasselbe. Sie ließ den Hofrath
die Schleifzüge, die Abbreviaturen waren dieſelben, auch die ungewöhnliche Orthographie.
„Floreſtan Vanſitter!“ rief er aufſtehend, und es ſchien, als fröſtele ihn. Er warf einen Blick in den Spiegel, ſein Auge glänzte ihm entgegen, ein Glanz, den man der Freude beimißt. „Pfui! ent¬ fuhr es ſeinen Lippen. Iſt das nicht die canibaliſche Luſt des Menſchenfreſſers, wenn er ſein Opfer auf Schußweite erblickt! — Ach, wir ſind alle Canibalen, alle, uns dürſtet nach Menſchenblut. Bin ich der Einzige, deſſen Geſicht ſich röthen wird von diaboli¬ ſchem Entzücken, wenn es an's Tageslicht kommt! Wie wird die Geſellſchaft hier von der Wolluſt des Entſetzens beben, wenn es ausgeſprochen iſt, wenn der Mann, mit dem ſie Hände gedrückt, Gläſer an¬ geſtoßen, zu dem ſie ſich gedrängt, von deſſen Lippen der Honig geiſtvoller Unterhaltung floß, arretirt, in Ketten eingebracht wird, ein gemeiner Verbrecher. Unmöglich! werden ſie rufen und doch innerlich zittern, wenn es nun nicht wahr wäre! — O du Mantel der Humanität, der uns ſo ſchön ſitzt, aus welchen Mondſcheinſpinnefäden biſt du gewebt!“
Als er ſich angekleidet und der graue Tag ſchon durch die Fenſterſcheiben blickte, ſtand ein junger Menſch in unanſehnlicher Kleidung vor dem Rathe.
„Nichts von Wichtigkeit, antwortete der Einge¬ tretene auf eine Frage des Rathes. Ihr Benehmen im Gefängniß bleibt daſſelbe. Sie ließ den Hofrath
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0328"n="318"/>
die Schleifzüge, die Abbreviaturen waren dieſelben,<lb/>
auch die ungewöhnliche Orthographie.</p><lb/><p>„Floreſtan Vanſitter!“ rief er aufſtehend, und<lb/>
es ſchien, als fröſtele ihn. Er warf einen Blick in<lb/>
den Spiegel, ſein Auge glänzte ihm entgegen, ein<lb/>
Glanz, den man der Freude beimißt. „Pfui! ent¬<lb/>
fuhr es ſeinen Lippen. Iſt das nicht die canibaliſche<lb/>
Luſt des Menſchenfreſſers, wenn er ſein Opfer auf<lb/>
Schußweite erblickt! — Ach, wir ſind alle Canibalen,<lb/>
alle, uns dürſtet nach Menſchenblut. Bin ich der<lb/>
Einzige, deſſen Geſicht ſich röthen wird von diaboli¬<lb/>ſchem Entzücken, wenn es an's Tageslicht kommt!<lb/>
Wie wird die Geſellſchaft hier von der Wolluſt des<lb/>
Entſetzens beben, wenn es ausgeſprochen iſt, wenn<lb/>
der Mann, mit dem ſie Hände gedrückt, Gläſer an¬<lb/>
geſtoßen, zu dem ſie ſich gedrängt, von deſſen Lippen<lb/>
der Honig geiſtvoller Unterhaltung floß, arretirt, in<lb/>
Ketten eingebracht wird, ein gemeiner Verbrecher.<lb/>
Unmöglich! werden ſie rufen und doch innerlich zittern,<lb/>
wenn es nun nicht wahr wäre! — O du Mantel<lb/>
der Humanität, der uns ſo ſchön ſitzt, aus welchen<lb/>
Mondſcheinſpinnefäden biſt du gewebt!“</p><lb/><p>Als er ſich angekleidet und der graue Tag<lb/>ſchon durch die Fenſterſcheiben blickte, ſtand ein<lb/>
junger Menſch in unanſehnlicher Kleidung vor dem<lb/>
Rathe.</p><lb/><p>„Nichts von Wichtigkeit, antwortete der Einge¬<lb/>
tretene auf eine Frage des Rathes. Ihr Benehmen<lb/>
im Gefängniß bleibt daſſelbe. Sie ließ den Hofrath<lb/></p></div></body></text></TEI>
[318/0328]
die Schleifzüge, die Abbreviaturen waren dieſelben,
auch die ungewöhnliche Orthographie.
„Floreſtan Vanſitter!“ rief er aufſtehend, und
es ſchien, als fröſtele ihn. Er warf einen Blick in
den Spiegel, ſein Auge glänzte ihm entgegen, ein
Glanz, den man der Freude beimißt. „Pfui! ent¬
fuhr es ſeinen Lippen. Iſt das nicht die canibaliſche
Luſt des Menſchenfreſſers, wenn er ſein Opfer auf
Schußweite erblickt! — Ach, wir ſind alle Canibalen,
alle, uns dürſtet nach Menſchenblut. Bin ich der
Einzige, deſſen Geſicht ſich röthen wird von diaboli¬
ſchem Entzücken, wenn es an's Tageslicht kommt!
Wie wird die Geſellſchaft hier von der Wolluſt des
Entſetzens beben, wenn es ausgeſprochen iſt, wenn
der Mann, mit dem ſie Hände gedrückt, Gläſer an¬
geſtoßen, zu dem ſie ſich gedrängt, von deſſen Lippen
der Honig geiſtvoller Unterhaltung floß, arretirt, in
Ketten eingebracht wird, ein gemeiner Verbrecher.
Unmöglich! werden ſie rufen und doch innerlich zittern,
wenn es nun nicht wahr wäre! — O du Mantel
der Humanität, der uns ſo ſchön ſitzt, aus welchen
Mondſcheinſpinnefäden biſt du gewebt!“
Als er ſich angekleidet und der graue Tag
ſchon durch die Fenſterſcheiben blickte, ſtand ein
junger Menſch in unanſehnlicher Kleidung vor dem
Rathe.
„Nichts von Wichtigkeit, antwortete der Einge¬
tretene auf eine Frage des Rathes. Ihr Benehmen
im Gefängniß bleibt daſſelbe. Sie ließ den Hofrath
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852, S. 318. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/328>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.