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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852.

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Sechszehntes Kapitel.
Das große Trauerhaus.

Wo der Trauerhimmel über eine ganze Stadt
ausgespannt ist, wer achtet da sehr auf ein einzelnes
Trauerhaus! Die Aerzte, nach denen er geschickt,
waren nicht zu Hause gewesen. Sei doch der Krank¬
heitsanfall einer Art, daß ein gesunder Körper sich
selbst heile, hatte er geäußert, oder wenn -- dann
war er plötzlich aufgesprungen, und ließ doch noch
einen Arzt rufen. Er hatte ihm im Vorzimmer die
Symptome beschrieben, sie hatten gelacht, und als
der Doctor in's Zimmer trat, hatte er lächelnd den
Puls des Kranken befühlt und auch lächelnd zur
Baronin gesagt: "Etwas Kamillenthee und Einrei¬
bungen -- das wird den Patienten bald auf die
Beine bringen, aber wenn er auf den Beinen ist,
gnädige Frau, dann thun Sie mir den Gefallen und
lassen ihn nicht wieder Melone essen und sich erkälten."

Liebevoller, aufmerksamer, aufopfernder, hätte
ein Bruder den Baron nicht pflegen können. Tag
und Nacht saß er abwechselnd mit der Baronin an

Sechszehntes Kapitel.
Das groſze Trauerhaus.

Wo der Trauerhimmel über eine ganze Stadt
ausgeſpannt iſt, wer achtet da ſehr auf ein einzelnes
Trauerhaus! Die Aerzte, nach denen er geſchickt,
waren nicht zu Hauſe geweſen. Sei doch der Krank¬
heitsanfall einer Art, daß ein geſunder Körper ſich
ſelbſt heile, hatte er geäußert, oder wenn — dann
war er plötzlich aufgeſprungen, und ließ doch noch
einen Arzt rufen. Er hatte ihm im Vorzimmer die
Symptome beſchrieben, ſie hatten gelacht, und als
der Doctor in's Zimmer trat, hatte er lächelnd den
Puls des Kranken befühlt und auch lächelnd zur
Baronin geſagt: „Etwas Kamillenthee und Einrei¬
bungen — das wird den Patienten bald auf die
Beine bringen, aber wenn er auf den Beinen iſt,
gnädige Frau, dann thun Sie mir den Gefallen und
laſſen ihn nicht wieder Melone eſſen und ſich erkälten.“

Liebevoller, aufmerkſamer, aufopfernder, hätte
ein Bruder den Baron nicht pflegen können. Tag
und Nacht ſaß er abwechſelnd mit der Baronin an

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[[341]/0351] Sechszehntes Kapitel. Das groſze Trauerhaus. Wo der Trauerhimmel über eine ganze Stadt ausgeſpannt iſt, wer achtet da ſehr auf ein einzelnes Trauerhaus! Die Aerzte, nach denen er geſchickt, waren nicht zu Hauſe geweſen. Sei doch der Krank¬ heitsanfall einer Art, daß ein geſunder Körper ſich ſelbſt heile, hatte er geäußert, oder wenn — dann war er plötzlich aufgeſprungen, und ließ doch noch einen Arzt rufen. Er hatte ihm im Vorzimmer die Symptome beſchrieben, ſie hatten gelacht, und als der Doctor in's Zimmer trat, hatte er lächelnd den Puls des Kranken befühlt und auch lächelnd zur Baronin geſagt: „Etwas Kamillenthee und Einrei¬ bungen — das wird den Patienten bald auf die Beine bringen, aber wenn er auf den Beinen iſt, gnädige Frau, dann thun Sie mir den Gefallen und laſſen ihn nicht wieder Melone eſſen und ſich erkälten.“ Liebevoller, aufmerkſamer, aufopfernder, hätte ein Bruder den Baron nicht pflegen können. Tag und Nacht ſaß er abwechſelnd mit der Baronin an

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852, S. [341]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/351>, abgerufen am 22.11.2024.