jungen Walter nach Karlsbad schicken wollte, zwischen diesen, selbst für die Antichambre ungeeigneten Ge¬ stalten umhergehen sehen, ohne daß sein Auge Blicke der Entrüstung warf. Nein, er trug weder Uniform noch Hofkleid, auch keinen Stern an der Brust, er ging nicht aufrecht und die Stirn leuchtete nicht vom Wiederschein seiner unantastbaren Würde. "Meine lieben Freunde!" sprach er, zwischen den Eingedrun¬ genen sich bewegend. Seine feinen aristokratischen Hände, stets in einer Position gehalten, die sie vor jeder Berührung schützen sollten, berührten doch frei¬ willig die Arme der Bürger, er drückte dem Nagel¬ schmied die Hand, er legte sie dem patriotischen Stadt¬ wachtmeister auf die Schulter: "Mein liebster guter Freund, nur keine Uebereilung."
"Aber, Excellenz, sie stürmen Ihnen das Haus!" riefen drei, vier Stimmen.
Der Hausflur war voll, die halbe Treppe, sie drängten von draußen, Andre standen im Hofe und gafften mit häßlichen Blicken die Reisewagen an, die in Hast bepackt wurden. Die Excellenz beugte sich über's Geländer, sie rang die Hände, es war der mildeste, freundlichste Ton: "Um Gottes Willen, meine Freunde, keine Uebereilung! Was wollen Sie?"
Da brach es los, wie, ich weiß es nicht; es war aber das Unglück, daß Keiner wußte, was er wollen sollte. Es war die Wuth, die in hundert Lauten sich Luft machte. "Wir sind verrathen!" -- "Der König und die Königin sind verkauft und ver¬
jungen Walter nach Karlsbad ſchicken wollte, zwiſchen dieſen, ſelbſt für die Antichambre ungeeigneten Ge¬ ſtalten umhergehen ſehen, ohne daß ſein Auge Blicke der Entrüſtung warf. Nein, er trug weder Uniform noch Hofkleid, auch keinen Stern an der Bruſt, er ging nicht aufrecht und die Stirn leuchtete nicht vom Wiederſchein ſeiner unantaſtbaren Würde. „Meine lieben Freunde!“ ſprach er, zwiſchen den Eingedrun¬ genen ſich bewegend. Seine feinen ariſtokratiſchen Hände, ſtets in einer Poſition gehalten, die ſie vor jeder Berührung ſchützen ſollten, berührten doch frei¬ willig die Arme der Bürger, er drückte dem Nagel¬ ſchmied die Hand, er legte ſie dem patriotiſchen Stadt¬ wachtmeiſter auf die Schulter: „Mein liebſter guter Freund, nur keine Uebereilung.“
„Aber, Excellenz, ſie ſtürmen Ihnen das Haus!“ riefen drei, vier Stimmen.
Der Hausflur war voll, die halbe Treppe, ſie drängten von draußen, Andre ſtanden im Hofe und gafften mit häßlichen Blicken die Reiſewagen an, die in Haſt bepackt wurden. Die Excellenz beugte ſich über's Geländer, ſie rang die Hände, es war der mildeſte, freundlichſte Ton: „Um Gottes Willen, meine Freunde, keine Uebereilung! Was wollen Sie?“
Da brach es los, wie, ich weiß es nicht; es war aber das Unglück, daß Keiner wußte, was er wollen ſollte. Es war die Wuth, die in hundert Lauten ſich Luft machte. „Wir ſind verrathen!“ — „Der König und die Königin ſind verkauft und ver¬
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0357"n="347"/>
jungen Walter nach Karlsbad ſchicken wollte, zwiſchen<lb/>
dieſen, ſelbſt für die Antichambre ungeeigneten Ge¬<lb/>ſtalten umhergehen ſehen, ohne daß ſein Auge Blicke<lb/>
der Entrüſtung warf. Nein, er trug weder Uniform<lb/>
noch Hofkleid, auch keinen Stern an der Bruſt, er<lb/>
ging nicht aufrecht und die Stirn leuchtete nicht vom<lb/>
Wiederſchein ſeiner unantaſtbaren Würde. „Meine<lb/>
lieben Freunde!“ſprach er, zwiſchen den Eingedrun¬<lb/>
genen ſich bewegend. Seine feinen ariſtokratiſchen<lb/>
Hände, ſtets in einer Poſition gehalten, die ſie vor<lb/>
jeder Berührung ſchützen ſollten, berührten doch frei¬<lb/>
willig die Arme der Bürger, er drückte dem Nagel¬<lb/>ſchmied die Hand, er legte ſie dem patriotiſchen Stadt¬<lb/>
wachtmeiſter auf die Schulter: „Mein liebſter guter<lb/>
Freund, nur keine Uebereilung.“</p><lb/><p>„Aber, Excellenz, ſie ſtürmen Ihnen das Haus!“<lb/>
riefen drei, vier Stimmen.</p><lb/><p>Der Hausflur war voll, die halbe Treppe, ſie<lb/>
drängten von draußen, Andre ſtanden im Hofe und<lb/>
gafften mit häßlichen Blicken die Reiſewagen an, die<lb/>
in Haſt bepackt wurden. Die Excellenz beugte ſich<lb/>
über's Geländer, ſie rang die Hände, es war der<lb/>
mildeſte, freundlichſte Ton: „Um Gottes Willen, meine<lb/>
Freunde, keine Uebereilung! Was wollen Sie?“</p><lb/><p>Da brach es los, wie, ich weiß es nicht; es<lb/>
war aber das Unglück, daß Keiner wußte, was er<lb/>
wollen ſollte. Es war die Wuth, die in hundert<lb/>
Lauten ſich Luft machte. „Wir ſind verrathen!“—<lb/>„Der König und die Königin ſind verkauft und ver¬<lb/></p></div></body></text></TEI>
[347/0357]
jungen Walter nach Karlsbad ſchicken wollte, zwiſchen
dieſen, ſelbſt für die Antichambre ungeeigneten Ge¬
ſtalten umhergehen ſehen, ohne daß ſein Auge Blicke
der Entrüſtung warf. Nein, er trug weder Uniform
noch Hofkleid, auch keinen Stern an der Bruſt, er
ging nicht aufrecht und die Stirn leuchtete nicht vom
Wiederſchein ſeiner unantaſtbaren Würde. „Meine
lieben Freunde!“ ſprach er, zwiſchen den Eingedrun¬
genen ſich bewegend. Seine feinen ariſtokratiſchen
Hände, ſtets in einer Poſition gehalten, die ſie vor
jeder Berührung ſchützen ſollten, berührten doch frei¬
willig die Arme der Bürger, er drückte dem Nagel¬
ſchmied die Hand, er legte ſie dem patriotiſchen Stadt¬
wachtmeiſter auf die Schulter: „Mein liebſter guter
Freund, nur keine Uebereilung.“
„Aber, Excellenz, ſie ſtürmen Ihnen das Haus!“
riefen drei, vier Stimmen.
Der Hausflur war voll, die halbe Treppe, ſie
drängten von draußen, Andre ſtanden im Hofe und
gafften mit häßlichen Blicken die Reiſewagen an, die
in Haſt bepackt wurden. Die Excellenz beugte ſich
über's Geländer, ſie rang die Hände, es war der
mildeſte, freundlichſte Ton: „Um Gottes Willen, meine
Freunde, keine Uebereilung! Was wollen Sie?“
Da brach es los, wie, ich weiß es nicht; es
war aber das Unglück, daß Keiner wußte, was er
wollen ſollte. Es war die Wuth, die in hundert
Lauten ſich Luft machte. „Wir ſind verrathen!“ —
„Der König und die Königin ſind verkauft und ver¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852, S. 347. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/357>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.