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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852.

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Widerspruch. Walter aber lenkte es von einer Seite
ab, von der er wußte, daß sie für den Freiherrn im¬
mer empfindlich war. Er lenkte es auf die Frage
hin: ob denn die großen Reorganisationspläne des
Staatsmannes grade in dem kritischen Augenblicke an
der Zeit seien?

"Jetzt oder nie! fiel der Freiherr ein. Preußens
Geschichte laß ich als eine seltene Rarität unbe¬
rührt. Wir empfingen das Werk mit dem Stempel,
den seine Schöpfer darauf gedrückt. Diese Schöpfer
sind todt. Und wenn sie als Geister aus ihren Grüf¬
ten um uns schwebten, sie könnten uns doch nicht zu¬
flüstern, was wir thun müssen, denn ihre Kenntniß
ist aus ihrer Zeit. Wir müssen aus der schöpfen,
die ist. Ein stolzes Orlogschiff schaukelt im stürmi¬
schen Meere. Seine Capitain und Steuerleute sind
gestorben, ihre Papiere verloren, selbst die Traditio¬
nen, wohin es steuern müsse, sind es. Was soll man
thun? Die Hände in den Schooß legen, es den
Winden überlassen, wohin sie treiben? -- Ja, dann
verdienten sie, Mann und Maus, elendiglich auf dem
Wrack umzukommen. -- Nein, das Volk wird zu¬
sammentreten, berathen, die Tüchtigsten aus sich, die
Erfahrensten, die Kühnsten auswählen, sie in die
Masten schicken, ihnen das Steuer in die Hand geben,
und, mit Gott, sie werden thun, was an ihnen ist,
sich und das Fahrzeug zu retten. -- Ein solches Schiff
ist Preußen, ein solcher Augenblick ist dieser. -- Jetzt
gilt es das Volk aufrufen, jetzt oder nie. Erwacht,

Widerſpruch. Walter aber lenkte es von einer Seite
ab, von der er wußte, daß ſie für den Freiherrn im¬
mer empfindlich war. Er lenkte es auf die Frage
hin: ob denn die großen Reorganiſationspläne des
Staatsmannes grade in dem kritiſchen Augenblicke an
der Zeit ſeien?

„Jetzt oder nie! fiel der Freiherr ein. Preußens
Geſchichte laß ich als eine ſeltene Rarität unbe¬
rührt. Wir empfingen das Werk mit dem Stempel,
den ſeine Schöpfer darauf gedrückt. Dieſe Schöpfer
ſind todt. Und wenn ſie als Geiſter aus ihren Grüf¬
ten um uns ſchwebten, ſie könnten uns doch nicht zu¬
flüſtern, was wir thun müſſen, denn ihre Kenntniß
iſt aus ihrer Zeit. Wir müſſen aus der ſchöpfen,
die iſt. Ein ſtolzes Orlogſchiff ſchaukelt im ſtürmi¬
ſchen Meere. Seine Capitain und Steuerleute ſind
geſtorben, ihre Papiere verloren, ſelbſt die Traditio¬
nen, wohin es ſteuern müſſe, ſind es. Was ſoll man
thun? Die Hände in den Schooß legen, es den
Winden überlaſſen, wohin ſie treiben? — Ja, dann
verdienten ſie, Mann und Maus, elendiglich auf dem
Wrack umzukommen. — Nein, das Volk wird zu¬
ſammentreten, berathen, die Tüchtigſten aus ſich, die
Erfahrenſten, die Kühnſten auswählen, ſie in die
Maſten ſchicken, ihnen das Steuer in die Hand geben,
und, mit Gott, ſie werden thun, was an ihnen iſt,
ſich und das Fahrzeug zu retten. — Ein ſolches Schiff
iſt Preußen, ein ſolcher Augenblick iſt dieſer. — Jetzt
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[79/0089] Widerſpruch. Walter aber lenkte es von einer Seite ab, von der er wußte, daß ſie für den Freiherrn im¬ mer empfindlich war. Er lenkte es auf die Frage hin: ob denn die großen Reorganiſationspläne des Staatsmannes grade in dem kritiſchen Augenblicke an der Zeit ſeien? „Jetzt oder nie! fiel der Freiherr ein. Preußens Geſchichte laß ich als eine ſeltene Rarität unbe¬ rührt. Wir empfingen das Werk mit dem Stempel, den ſeine Schöpfer darauf gedrückt. Dieſe Schöpfer ſind todt. Und wenn ſie als Geiſter aus ihren Grüf¬ ten um uns ſchwebten, ſie könnten uns doch nicht zu¬ flüſtern, was wir thun müſſen, denn ihre Kenntniß iſt aus ihrer Zeit. Wir müſſen aus der ſchöpfen, die iſt. Ein ſtolzes Orlogſchiff ſchaukelt im ſtürmi¬ ſchen Meere. Seine Capitain und Steuerleute ſind geſtorben, ihre Papiere verloren, ſelbſt die Traditio¬ nen, wohin es ſteuern müſſe, ſind es. Was ſoll man thun? Die Hände in den Schooß legen, es den Winden überlaſſen, wohin ſie treiben? — Ja, dann verdienten ſie, Mann und Maus, elendiglich auf dem Wrack umzukommen. — Nein, das Volk wird zu¬ ſammentreten, berathen, die Tüchtigſten aus ſich, die Erfahrenſten, die Kühnſten auswählen, ſie in die Maſten ſchicken, ihnen das Steuer in die Hand geben, und, mit Gott, ſie werden thun, was an ihnen iſt, ſich und das Fahrzeug zu retten. — Ein ſolches Schiff iſt Preußen, ein ſolcher Augenblick iſt dieſer. — Jetzt gilt es das Volk aufrufen, jetzt oder nie. Erwacht,

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/89>, abgerufen am 23.11.2024.