Andolt, Ernst [d. i. Bernhard Abeken]: Eine Nacht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–287. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Ah! das sind Sie! sagte er; der Wagen hält hier schon seit einer Stunde. Johann! rief er einem eintretenden Livreebedienten zu, hier ist der Herr endlich, den Ihr fahren sollt. Der gnädige Herr erwartet Sie, sagte der Bediente sich verbeugend; belieben Sie einzusteigen. Sogleich, sagte ich seufzend und näherte mich traurig der jungen Dame, um ihr Lebewohl zu sagen. Ach! warum war auch der rothnasige Postmeister, der Turner und der Bediente im Zimmer! Was für ein Abschied! -- Was ich dem Fräulein gesagt, was sie darauf geantwortet, wie wir Beide dabei ausgesehen haben -- das hab' ich nie erfahren. Ich habe eine dunkle Erinnerung, daß ich hinaus ging, daß ich in einen weichgepolsterten Wagen zu sitzen kam, und daß dieser Wagen auf einem sehr holperigen Weg mit mir davonfuhr. Der Weg führte allmählich aus dem offenen Felde m einen Eichenwald. Die riesigen Stämme mit ihren weitausstrebenden entlaubten Aesten hoben sich majestätisch aus dem glänzenden Schnee empor. Darüber flimmerten die Myriaden Sterne auf ihrem schwarzen Schattengrunde. Es legte sich weich und still um mein Herz; die schweigende Majestät der Natur gab mir eine tiefe, göttliche Ruhe. Ja, redete ich innerlich, ich will euch fest ansehen, ihr knorrigen Eichen, und euch, ihr blitzende Sterne hoch oben, als sähe ich euch zum letzten Mal. Und wenn auch der frevelhafte Wahnsinn der Menschen rings umher so manches Glück zertrümmert, wenn auch die idealen Hoffnungen der Jugend immer mehr verdorren in dem winterlichen Sturm dieser Zeit, wenn auch alle anderen Freuden versiegen: du bleibst dir gleich und uns allgegenwärtig, ewige Natur, ein unerschöpflicher Dorn von Wonne jedem Gemüth, das zu geniesen weiß. Deine Reize kann uns keine Tyrannei verkümmern; kein Despotenarm reicht Ah! das sind Sie! sagte er; der Wagen hält hier schon seit einer Stunde. Johann! rief er einem eintretenden Livreebedienten zu, hier ist der Herr endlich, den Ihr fahren sollt. Der gnädige Herr erwartet Sie, sagte der Bediente sich verbeugend; belieben Sie einzusteigen. Sogleich, sagte ich seufzend und näherte mich traurig der jungen Dame, um ihr Lebewohl zu sagen. Ach! warum war auch der rothnasige Postmeister, der Turner und der Bediente im Zimmer! Was für ein Abschied! — Was ich dem Fräulein gesagt, was sie darauf geantwortet, wie wir Beide dabei ausgesehen haben — das hab' ich nie erfahren. Ich habe eine dunkle Erinnerung, daß ich hinaus ging, daß ich in einen weichgepolsterten Wagen zu sitzen kam, und daß dieser Wagen auf einem sehr holperigen Weg mit mir davonfuhr. Der Weg führte allmählich aus dem offenen Felde m einen Eichenwald. Die riesigen Stämme mit ihren weitausstrebenden entlaubten Aesten hoben sich majestätisch aus dem glänzenden Schnee empor. Darüber flimmerten die Myriaden Sterne auf ihrem schwarzen Schattengrunde. Es legte sich weich und still um mein Herz; die schweigende Majestät der Natur gab mir eine tiefe, göttliche Ruhe. Ja, redete ich innerlich, ich will euch fest ansehen, ihr knorrigen Eichen, und euch, ihr blitzende Sterne hoch oben, als sähe ich euch zum letzten Mal. Und wenn auch der frevelhafte Wahnsinn der Menschen rings umher so manches Glück zertrümmert, wenn auch die idealen Hoffnungen der Jugend immer mehr verdorren in dem winterlichen Sturm dieser Zeit, wenn auch alle anderen Freuden versiegen: du bleibst dir gleich und uns allgegenwärtig, ewige Natur, ein unerschöpflicher Dorn von Wonne jedem Gemüth, das zu geniesen weiß. Deine Reize kann uns keine Tyrannei verkümmern; kein Despotenarm reicht <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0021"/> <p>Ah! das sind Sie! sagte er; der Wagen hält hier schon seit einer Stunde. Johann! rief er einem eintretenden Livreebedienten zu, hier ist der Herr endlich, den Ihr fahren sollt.</p><lb/> <p>Der gnädige Herr erwartet Sie, sagte der Bediente sich verbeugend; belieben Sie einzusteigen.</p><lb/> <p>Sogleich, sagte ich seufzend und näherte mich traurig der jungen Dame, um ihr Lebewohl zu sagen. Ach! warum war auch der rothnasige Postmeister, der Turner und der Bediente im Zimmer! 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Und wenn auch der frevelhafte Wahnsinn der Menschen rings umher so manches Glück zertrümmert, wenn auch die idealen Hoffnungen der Jugend immer mehr verdorren in dem winterlichen Sturm dieser Zeit, wenn auch alle anderen Freuden versiegen: du bleibst dir gleich und uns allgegenwärtig, ewige Natur, ein unerschöpflicher Dorn von Wonne jedem Gemüth, das zu geniesen weiß. Deine Reize kann uns keine Tyrannei verkümmern; kein Despotenarm reicht<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0021]
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Der gnädige Herr erwartet Sie, sagte der Bediente sich verbeugend; belieben Sie einzusteigen.
Sogleich, sagte ich seufzend und näherte mich traurig der jungen Dame, um ihr Lebewohl zu sagen. Ach! warum war auch der rothnasige Postmeister, der Turner und der Bediente im Zimmer! Was für ein Abschied! —
Was ich dem Fräulein gesagt, was sie darauf geantwortet, wie wir Beide dabei ausgesehen haben — das hab' ich nie erfahren.
Ich habe eine dunkle Erinnerung, daß ich hinaus ging, daß ich in einen weichgepolsterten Wagen zu sitzen kam, und daß dieser Wagen auf einem sehr holperigen Weg mit mir davonfuhr.
Der Weg führte allmählich aus dem offenen Felde m einen Eichenwald. Die riesigen Stämme mit ihren weitausstrebenden entlaubten Aesten hoben sich majestätisch aus dem glänzenden Schnee empor. Darüber flimmerten die Myriaden Sterne auf ihrem schwarzen Schattengrunde. Es legte sich weich und still um mein Herz; die schweigende Majestät der Natur gab mir eine tiefe, göttliche Ruhe. Ja, redete ich innerlich, ich will euch fest ansehen, ihr knorrigen Eichen, und euch, ihr blitzende Sterne hoch oben, als sähe ich euch zum letzten Mal. Und wenn auch der frevelhafte Wahnsinn der Menschen rings umher so manches Glück zertrümmert, wenn auch die idealen Hoffnungen der Jugend immer mehr verdorren in dem winterlichen Sturm dieser Zeit, wenn auch alle anderen Freuden versiegen: du bleibst dir gleich und uns allgegenwärtig, ewige Natur, ein unerschöpflicher Dorn von Wonne jedem Gemüth, das zu geniesen weiß. Deine Reize kann uns keine Tyrannei verkümmern; kein Despotenarm reicht
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Zitationshilfe: | Andolt, Ernst [d. i. Bernhard Abeken]: Eine Nacht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–287. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/andolt_nacht_1910/21>, abgerufen am 16.02.2025. |