Andolt, Ernst [d. i. Bernhard Abeken]: Eine Nacht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–287. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.leicht das Schicksal Krosigk's haben und eines schönen Morgens aufgehoben werden! Besser bewahrt, als beklagt; indeß müssen wir so lange als möglich hier aushalten; denn hier können wir der guten Sache am meisten nützen. Ich hoffe noch immer auf eine Berliner Kriegserklärung, und dann muß sich die ganze Gegend wie Ein Mann erheben. Der Geist unsrer Bauern ist vortrefflich. Aber Sie trinken nicht, Herr Candidat! Meine Freunde, fuhr er fort, das Glas erhebend, es lebe unser König Friedrich Wilhelm. Wir standen auf und stießen an. Der Wein verbannte schnell die Sorgen; die Unterhaltung nahm eine heitere Wendung; der Referendar erzählte seine Jenenser Studienjahre und sprach mit Begeisterung von den Vorlesungen Fichte's. Der Baron protestirte dagegen und erklärte, nie ein so langweiliges, abgeschmacktes und verderbliches Buch gelesen zu haben, als Fichte's Moral. Ein so hölzernes Klapperwerk von moralischen Sätzen, sagte er, ein so lebloser, schwerfälliger Mechanismus ist mir nie vorgekommen; dieser Fichte will uns für unser Gefühl von Recht und Unrecht, für den warmen Herzschlag unsers Gewissens eine Art moralisches Exercierreglement in die Brust setzen, welches uns jederzeit anzeigen soll, was wir zu thun oder zu lassen haben. Das bloße Gefühl leitet uns oft irre, versetzte der Referendar; man muß nicht nach Gefühlen, sondern nach Grundsätzen handeln. Die Grundsätze müssen aber auf philosophischer Grundlage basirt sein, diese wiederum -- und so hielt er uns eine lange Vorlesung mit einer so ernsten, pedantischen Miene, mit so vielen an den Fingern abgezählten Divisionen und Subdivisionen, daß wir Anderen zuletzt in ein unwiderstehliches Lachen ausbrachen. Der Referendar stutzte, sah uns eine Weile starr an, stand auf und ging schweigend hinaus. leicht das Schicksal Krosigk's haben und eines schönen Morgens aufgehoben werden! Besser bewahrt, als beklagt; indeß müssen wir so lange als möglich hier aushalten; denn hier können wir der guten Sache am meisten nützen. Ich hoffe noch immer auf eine Berliner Kriegserklärung, und dann muß sich die ganze Gegend wie Ein Mann erheben. Der Geist unsrer Bauern ist vortrefflich. Aber Sie trinken nicht, Herr Candidat! Meine Freunde, fuhr er fort, das Glas erhebend, es lebe unser König Friedrich Wilhelm. Wir standen auf und stießen an. Der Wein verbannte schnell die Sorgen; die Unterhaltung nahm eine heitere Wendung; der Referendar erzählte seine Jenenser Studienjahre und sprach mit Begeisterung von den Vorlesungen Fichte's. Der Baron protestirte dagegen und erklärte, nie ein so langweiliges, abgeschmacktes und verderbliches Buch gelesen zu haben, als Fichte's Moral. Ein so hölzernes Klapperwerk von moralischen Sätzen, sagte er, ein so lebloser, schwerfälliger Mechanismus ist mir nie vorgekommen; dieser Fichte will uns für unser Gefühl von Recht und Unrecht, für den warmen Herzschlag unsers Gewissens eine Art moralisches Exercierreglement in die Brust setzen, welches uns jederzeit anzeigen soll, was wir zu thun oder zu lassen haben. Das bloße Gefühl leitet uns oft irre, versetzte der Referendar; man muß nicht nach Gefühlen, sondern nach Grundsätzen handeln. Die Grundsätze müssen aber auf philosophischer Grundlage basirt sein, diese wiederum — und so hielt er uns eine lange Vorlesung mit einer so ernsten, pedantischen Miene, mit so vielen an den Fingern abgezählten Divisionen und Subdivisionen, daß wir Anderen zuletzt in ein unwiderstehliches Lachen ausbrachen. Der Referendar stutzte, sah uns eine Weile starr an, stand auf und ging schweigend hinaus. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0029"/> leicht das Schicksal Krosigk's haben und eines schönen Morgens aufgehoben werden! </p><lb/> <p>Besser bewahrt, als beklagt; indeß müssen wir so lange als möglich hier aushalten; denn hier können wir der guten Sache am meisten nützen. Ich hoffe noch immer auf eine Berliner Kriegserklärung, und dann muß sich die ganze Gegend wie Ein Mann erheben. Der Geist unsrer Bauern ist vortrefflich. </p><lb/> <p>Aber Sie trinken nicht, Herr Candidat! Meine Freunde, fuhr er fort, das Glas erhebend, es lebe unser König Friedrich Wilhelm. </p><lb/> <p>Wir standen auf und stießen an. </p><lb/> <p>Der Wein verbannte schnell die Sorgen; die Unterhaltung nahm eine heitere Wendung; der Referendar erzählte seine Jenenser Studienjahre und sprach mit Begeisterung von den Vorlesungen Fichte's. Der Baron protestirte dagegen und erklärte, nie ein so langweiliges, abgeschmacktes und verderbliches Buch gelesen zu haben, als Fichte's Moral. Ein so hölzernes Klapperwerk von moralischen Sätzen, sagte er, ein so lebloser, schwerfälliger Mechanismus ist mir nie vorgekommen; dieser Fichte will uns für unser Gefühl von Recht und Unrecht, für den warmen Herzschlag unsers Gewissens eine Art moralisches Exercierreglement in die Brust setzen, welches uns jederzeit anzeigen soll, was wir zu thun oder zu lassen haben. </p><lb/> <p>Das bloße Gefühl leitet uns oft irre, versetzte der Referendar; man muß nicht nach Gefühlen, sondern nach Grundsätzen handeln. Die Grundsätze müssen aber auf philosophischer Grundlage basirt sein, diese wiederum — und so hielt er uns eine lange Vorlesung mit einer so ernsten, pedantischen Miene, mit so vielen an den Fingern abgezählten Divisionen und Subdivisionen, daß wir Anderen zuletzt in ein unwiderstehliches Lachen ausbrachen. Der Referendar stutzte, sah uns eine Weile starr an, stand auf und ging schweigend hinaus. </p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0029]
leicht das Schicksal Krosigk's haben und eines schönen Morgens aufgehoben werden!
Besser bewahrt, als beklagt; indeß müssen wir so lange als möglich hier aushalten; denn hier können wir der guten Sache am meisten nützen. Ich hoffe noch immer auf eine Berliner Kriegserklärung, und dann muß sich die ganze Gegend wie Ein Mann erheben. Der Geist unsrer Bauern ist vortrefflich.
Aber Sie trinken nicht, Herr Candidat! Meine Freunde, fuhr er fort, das Glas erhebend, es lebe unser König Friedrich Wilhelm.
Wir standen auf und stießen an.
Der Wein verbannte schnell die Sorgen; die Unterhaltung nahm eine heitere Wendung; der Referendar erzählte seine Jenenser Studienjahre und sprach mit Begeisterung von den Vorlesungen Fichte's. Der Baron protestirte dagegen und erklärte, nie ein so langweiliges, abgeschmacktes und verderbliches Buch gelesen zu haben, als Fichte's Moral. Ein so hölzernes Klapperwerk von moralischen Sätzen, sagte er, ein so lebloser, schwerfälliger Mechanismus ist mir nie vorgekommen; dieser Fichte will uns für unser Gefühl von Recht und Unrecht, für den warmen Herzschlag unsers Gewissens eine Art moralisches Exercierreglement in die Brust setzen, welches uns jederzeit anzeigen soll, was wir zu thun oder zu lassen haben.
Das bloße Gefühl leitet uns oft irre, versetzte der Referendar; man muß nicht nach Gefühlen, sondern nach Grundsätzen handeln. Die Grundsätze müssen aber auf philosophischer Grundlage basirt sein, diese wiederum — und so hielt er uns eine lange Vorlesung mit einer so ernsten, pedantischen Miene, mit so vielen an den Fingern abgezählten Divisionen und Subdivisionen, daß wir Anderen zuletzt in ein unwiderstehliches Lachen ausbrachen. Der Referendar stutzte, sah uns eine Weile starr an, stand auf und ging schweigend hinaus.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/andolt_nacht_1910 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/andolt_nacht_1910/29 |
Zitationshilfe: | Andolt, Ernst [d. i. Bernhard Abeken]: Eine Nacht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–287. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/andolt_nacht_1910/29>, abgerufen am 16.02.2025. |