Andolt, Ernst [d. i. Bernhard Abeken]: Eine Nacht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–287. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.einander vorbeizufahren, als der Herr mit dem Schnurrbart ein donnerndes Halt! rief. Dann sich aus dem Wagen lehnend und mich scharf fixirend, rief er mit freudiger Stimme: Aber sind Sie es denn auch? Sehe ich recht? Candidat Friedmann? Mein Gott ja, rief ich überrascht, der bin ich. Da sprang der fremde Mann trotz seines Stelzfußes, den ich jetzt bemerkte, mit einem Satz aus dem Wagen; ich folgte höflich seinem Beispiel; aber meine Frage erstickte an der breiten Brust des Fremden, welcher mich in seine gewaltigen Arme schloß und heftig an sein Herz drückte. Kennen Sie mich denn nicht mehr? rief er, mich endlich aus seiner Umarmung entlassend, Sie, mein Retter, mein Martyrer! O ich weiß ja Alles! Jetzt erkannt' ich den Baron; mein Auge wurde feucht, mein Herz stand still, ich fühlte meine Füße unter mir wankend. Eine Ahnung sagte mir, daß nun Alles gut werde. Ich hätte mich auf die Knie werfen und beten mögen. Auch dem Baron traten die Thränen in die Augen. Er faßte meine Hände und zog mich nach seinem Wagen: Steigen Sie ein -- so bald trennen wir uns nicht mehr! Mechanisch folgte ich seiner Aufforderung. Dieses plötzliche Glück in dem Augenblick, wo ich an Allem verzweifelte, hatte mich übermannt. Aber soll ich denn den Herrn nicht weiter fahren? fragte der Kutscher des Amtmanns verlegen. Fahre wohin du willst, mein Sohn, sagte der Freiherr, aber dein Herr bleibt in meinem Wagen. Georg, rief er seinem Kutscher zu, nimm den Koffer des Herrn aus den Bock! Der Kutscher des Barons gehorchte; der des Amtmanns wandte um und fuhr dem Gute zu; der Wagen des Barons folgte in derselben Richtung. Ja, Sie haben viel für mich gelitten, sagte der einander vorbeizufahren, als der Herr mit dem Schnurrbart ein donnerndes Halt! rief. Dann sich aus dem Wagen lehnend und mich scharf fixirend, rief er mit freudiger Stimme: Aber sind Sie es denn auch? Sehe ich recht? Candidat Friedmann? Mein Gott ja, rief ich überrascht, der bin ich. Da sprang der fremde Mann trotz seines Stelzfußes, den ich jetzt bemerkte, mit einem Satz aus dem Wagen; ich folgte höflich seinem Beispiel; aber meine Frage erstickte an der breiten Brust des Fremden, welcher mich in seine gewaltigen Arme schloß und heftig an sein Herz drückte. Kennen Sie mich denn nicht mehr? rief er, mich endlich aus seiner Umarmung entlassend, Sie, mein Retter, mein Martyrer! O ich weiß ja Alles! Jetzt erkannt' ich den Baron; mein Auge wurde feucht, mein Herz stand still, ich fühlte meine Füße unter mir wankend. Eine Ahnung sagte mir, daß nun Alles gut werde. Ich hätte mich auf die Knie werfen und beten mögen. Auch dem Baron traten die Thränen in die Augen. Er faßte meine Hände und zog mich nach seinem Wagen: Steigen Sie ein — so bald trennen wir uns nicht mehr! Mechanisch folgte ich seiner Aufforderung. Dieses plötzliche Glück in dem Augenblick, wo ich an Allem verzweifelte, hatte mich übermannt. Aber soll ich denn den Herrn nicht weiter fahren? fragte der Kutscher des Amtmanns verlegen. Fahre wohin du willst, mein Sohn, sagte der Freiherr, aber dein Herr bleibt in meinem Wagen. Georg, rief er seinem Kutscher zu, nimm den Koffer des Herrn aus den Bock! Der Kutscher des Barons gehorchte; der des Amtmanns wandte um und fuhr dem Gute zu; der Wagen des Barons folgte in derselben Richtung. Ja, Sie haben viel für mich gelitten, sagte der <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0065"/> einander vorbeizufahren, als der Herr mit dem Schnurrbart ein donnerndes Halt! rief. Dann sich aus dem Wagen lehnend und mich scharf fixirend, rief er mit freudiger Stimme: Aber sind Sie es denn auch? 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einander vorbeizufahren, als der Herr mit dem Schnurrbart ein donnerndes Halt! rief. Dann sich aus dem Wagen lehnend und mich scharf fixirend, rief er mit freudiger Stimme: Aber sind Sie es denn auch? Sehe ich recht? Candidat Friedmann?
Mein Gott ja, rief ich überrascht, der bin ich.
Da sprang der fremde Mann trotz seines Stelzfußes, den ich jetzt bemerkte, mit einem Satz aus dem Wagen; ich folgte höflich seinem Beispiel; aber meine Frage erstickte an der breiten Brust des Fremden, welcher mich in seine gewaltigen Arme schloß und heftig an sein Herz drückte.
Kennen Sie mich denn nicht mehr? rief er, mich endlich aus seiner Umarmung entlassend, Sie, mein Retter, mein Martyrer! O ich weiß ja Alles!
Jetzt erkannt' ich den Baron; mein Auge wurde feucht, mein Herz stand still, ich fühlte meine Füße unter mir wankend. Eine Ahnung sagte mir, daß nun Alles gut werde.
Ich hätte mich auf die Knie werfen und beten mögen.
Auch dem Baron traten die Thränen in die Augen. Er faßte meine Hände und zog mich nach seinem Wagen: Steigen Sie ein — so bald trennen wir uns nicht mehr!
Mechanisch folgte ich seiner Aufforderung.
Dieses plötzliche Glück in dem Augenblick, wo ich an Allem verzweifelte, hatte mich übermannt.
Aber soll ich denn den Herrn nicht weiter fahren? fragte der Kutscher des Amtmanns verlegen.
Fahre wohin du willst, mein Sohn, sagte der Freiherr, aber dein Herr bleibt in meinem Wagen. Georg, rief er seinem Kutscher zu, nimm den Koffer des Herrn aus den Bock!
Der Kutscher des Barons gehorchte; der des Amtmanns wandte um und fuhr dem Gute zu; der Wagen des Barons folgte in derselben Richtung.
Ja, Sie haben viel für mich gelitten, sagte der
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Zitationshilfe: | Andolt, Ernst [d. i. Bernhard Abeken]: Eine Nacht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–287. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/andolt_nacht_1910/65>, abgerufen am 16.07.2024. |