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Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898.

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"Du mußt eine vernünftige Beschäftigung haben,"
antwortete Benno darauf, "du wirst doch keine krank¬
hafte und sentimentale Pflanze werden, Adine? Das
kommt nur vom Müßiggang."

Er hatte mehr recht, als er wußte: Jahre nachher
ist ein Sträflingskopf mein erster künstlerischer Erfolg
gewesen. Die Möglichkeit, mich künstlerisch in strenger
Arbeit zu entwickeln, und mich auf diesem mir einzig
natürlichen Wege von allen neuen Eindrücken zu ent¬
lasten, würde mich bald wieder froh gemacht haben.

Aber die Beschäftigung, die Benno für mich im
Sinne hatte, führte mich in die Küche und an die Näh¬
maschine. Meiner Mutter leuchtete das vollkommen ein,
es war ja auch die nächstliegende Vorbereitung für mein
zukünftiges Leben.

Am Kochherd und bei der Nähmaschine befreundete
ich mich mit der ältesten Tochter des Irrenhausrendanten,
der über uns wohnte, mit Gabriele, einem lang auf¬
geschossenen, rothaarigen, sommersprossigen Backfisch. Sie
hatte unendlich viel im Hausstand und für die kleine
Schwester zu thun; obgleich sie aber zwei Jahre jünger
war als ich, erledigte sie alles immer außerordentlich
rasch und gut. Deswegen bewunderte ich Gabriele, wäh¬
rend sie mich, trotz einer gewissen Liebe, etwas verachtete.

Eines Abends, als wir bei einer Näherei in meiner
Stube saßen, sprach sie es ganz offenherzig aus.

"Es ist albern, daß du dich so mühst, da du ja viel
lieber malen und zeichnen möchtest," sagte sie, "ich will
dir nur sagen, daß mir diese Arbeiten ganz ebenso ver¬
haßt sind wie dir."

„Du mußt eine vernünftige Beſchäftigung haben,“
antwortete Benno darauf, „du wirſt doch keine krank¬
hafte und ſentimentale Pflanze werden, Adine? Das
kommt nur vom Müßiggang.“

Er hatte mehr recht, als er wußte: Jahre nachher
iſt ein Sträflingskopf mein erſter künſtleriſcher Erfolg
geweſen. Die Möglichkeit, mich künſtleriſch in ſtrenger
Arbeit zu entwickeln, und mich auf dieſem mir einzig
natürlichen Wege von allen neuen Eindrücken zu ent¬
laſten, würde mich bald wieder froh gemacht haben.

Aber die Beſchäftigung, die Benno für mich im
Sinne hatte, führte mich in die Küche und an die Näh¬
maſchine. Meiner Mutter leuchtete das vollkommen ein,
es war ja auch die nächſtliegende Vorbereitung für mein
zukünftiges Leben.

Am Kochherd und bei der Nähmaſchine befreundete
ich mich mit der älteſten Tochter des Irrenhausrendanten,
der über uns wohnte, mit Gabriele, einem lang auf¬
geſchoſſenen, rothaarigen, ſommerſproſſigen Backfiſch. Sie
hatte unendlich viel im Hausſtand und für die kleine
Schweſter zu thun; obgleich ſie aber zwei Jahre jünger
war als ich, erledigte ſie alles immer außerordentlich
raſch und gut. Deswegen bewunderte ich Gabriele, wäh¬
rend ſie mich, trotz einer gewiſſen Liebe, etwas verachtete.

Eines Abends, als wir bei einer Näherei in meiner
Stube ſaßen, ſprach ſie es ganz offenherzig aus.

„Es iſt albern, daß du dich ſo mühſt, da du ja viel
lieber malen und zeichnen möchteſt,“ ſagte ſie, „ich will
dir nur ſagen, daß mir dieſe Arbeiten ganz ebenſo ver¬
haßt ſind wie dir.“

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[111/0115] — 111 — „Du mußt eine vernünftige Beſchäftigung haben,“ antwortete Benno darauf, „du wirſt doch keine krank¬ hafte und ſentimentale Pflanze werden, Adine? Das kommt nur vom Müßiggang.“ Er hatte mehr recht, als er wußte: Jahre nachher iſt ein Sträflingskopf mein erſter künſtleriſcher Erfolg geweſen. Die Möglichkeit, mich künſtleriſch in ſtrenger Arbeit zu entwickeln, und mich auf dieſem mir einzig natürlichen Wege von allen neuen Eindrücken zu ent¬ laſten, würde mich bald wieder froh gemacht haben. Aber die Beſchäftigung, die Benno für mich im Sinne hatte, führte mich in die Küche und an die Näh¬ maſchine. Meiner Mutter leuchtete das vollkommen ein, es war ja auch die nächſtliegende Vorbereitung für mein zukünftiges Leben. Am Kochherd und bei der Nähmaſchine befreundete ich mich mit der älteſten Tochter des Irrenhausrendanten, der über uns wohnte, mit Gabriele, einem lang auf¬ geſchoſſenen, rothaarigen, ſommerſproſſigen Backfiſch. Sie hatte unendlich viel im Hausſtand und für die kleine Schweſter zu thun; obgleich ſie aber zwei Jahre jünger war als ich, erledigte ſie alles immer außerordentlich raſch und gut. Deswegen bewunderte ich Gabriele, wäh¬ rend ſie mich, trotz einer gewiſſen Liebe, etwas verachtete. Eines Abends, als wir bei einer Näherei in meiner Stube ſaßen, ſprach ſie es ganz offenherzig aus. „Es iſt albern, daß du dich ſo mühſt, da du ja viel lieber malen und zeichnen möchteſt,“ ſagte ſie, „ich will dir nur ſagen, daß mir dieſe Arbeiten ganz ebenſo ver¬ haßt ſind wie dir.“

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Zitationshilfe: Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_fenitschka_1898/115>, abgerufen am 21.11.2024.