Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898.In mir wurde alles Wärme und Zärtlichkeit, als Auch gemalt und für mich behalten hätte ich gern Um es nicht merken zu lassen, sagte ich: "Ich kann mir sehr gut denken, daß in dieser kleinen "Nein, ich bin ihm wohl nichts," sagte sie sehr ernst¬ In mir wurde alles Wärme und Zärtlichkeit, als Auch gemalt und für mich behalten hätte ich gern Um es nicht merken zu laſſen, ſagte ich: „Ich kann mir ſehr gut denken, daß in dieſer kleinen „Nein, ich bin ihm wohl nichts,“ ſagte ſie ſehr ernſt¬ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0150" n="146"/> <fw type="pageNum" place="top">— 146 —<lb/></fw> <p>In mir wurde alles Wärme und Zärtlichkeit, als<lb/> ich ſo dem feinen, ſympathiſchen Stimmchen zuhörte. Das<lb/> beſeelte Geſicht da vor mir, mit ſeinem Ausdruck von<lb/> Mut, Glück und Leiden, wirkte ſo ſtark auf meine durch<lb/> alle Eindrücke leicht erregten Sinne, daß ich die kleine<lb/> Verwachſene am liebſten an mich gezogen und geküßt hätte.</p><lb/> <p>Auch gemalt und für mich behalten hätte ich gern<lb/> dies intereſſante kleine Geſicht. Darüber achtete ich nur<lb/> noch zerſtreut auf ihre Worte.</p><lb/> <p>Um es nicht merken zu laſſen, ſagte ich:</p><lb/> <p>„Ich kann mir ſehr gut denken, daß in dieſer kleinen<lb/> Provinzialſtadt mit ihrem Mangel an geiſtigen Intereſſen<lb/> Benno Ihnen durch ſein Eingehn auf alles ein wahrer<lb/> Halt und Troſt iſt. Aber wahrſcheinlich ſind Sie es ihm<lb/> nicht minder.“</p><lb/> <p>„Nein, ich bin ihm wohl nichts,“ ſagte ſie ſehr ernſt¬<lb/> haft, „oder richtiger: ich wäre ihm wohl nichts, wenn<lb/> ich nicht ein Krüppel wäre, der ihn braucht und ihm leid<lb/> thut. Aber das iſt ja grade das Herrliche und Merk¬<lb/> würdige: daß es ſo glücklich macht, ſich ihm gegenüber<lb/> klein und gering vorzukommen und nur ſein Mitleid zu<lb/> verdienen. Daß er ſich zu mir herabbeugen muß, und<lb/> daß ich alles nur durch ihn habe, — das hab ich eben<lb/> vor all den glücklichen, geſunden, anſehnlichern Menſchen<lb/> voraus, nicht wahr? Dafür gönn ich ihnen gern ihre<lb/> Schönheit und Kraft, und bin zufrieden mit meinem Ge¬<lb/> brechen und meiner Schwäche. — Aber ich weiß gar<lb/> nicht, warum ich Ihnen das alles erzähle,“ fügte ſie<lb/> lächelnd hinzu, „Sie ſehen ſo gut aus: vielleicht lachen<lb/> Sie nicht darüber.“<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [146/0150]
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In mir wurde alles Wärme und Zärtlichkeit, als
ich ſo dem feinen, ſympathiſchen Stimmchen zuhörte. Das
beſeelte Geſicht da vor mir, mit ſeinem Ausdruck von
Mut, Glück und Leiden, wirkte ſo ſtark auf meine durch
alle Eindrücke leicht erregten Sinne, daß ich die kleine
Verwachſene am liebſten an mich gezogen und geküßt hätte.
Auch gemalt und für mich behalten hätte ich gern
dies intereſſante kleine Geſicht. Darüber achtete ich nur
noch zerſtreut auf ihre Worte.
Um es nicht merken zu laſſen, ſagte ich:
„Ich kann mir ſehr gut denken, daß in dieſer kleinen
Provinzialſtadt mit ihrem Mangel an geiſtigen Intereſſen
Benno Ihnen durch ſein Eingehn auf alles ein wahrer
Halt und Troſt iſt. Aber wahrſcheinlich ſind Sie es ihm
nicht minder.“
„Nein, ich bin ihm wohl nichts,“ ſagte ſie ſehr ernſt¬
haft, „oder richtiger: ich wäre ihm wohl nichts, wenn
ich nicht ein Krüppel wäre, der ihn braucht und ihm leid
thut. Aber das iſt ja grade das Herrliche und Merk¬
würdige: daß es ſo glücklich macht, ſich ihm gegenüber
klein und gering vorzukommen und nur ſein Mitleid zu
verdienen. Daß er ſich zu mir herabbeugen muß, und
daß ich alles nur durch ihn habe, — das hab ich eben
vor all den glücklichen, geſunden, anſehnlichern Menſchen
voraus, nicht wahr? Dafür gönn ich ihnen gern ihre
Schönheit und Kraft, und bin zufrieden mit meinem Ge¬
brechen und meiner Schwäche. — Aber ich weiß gar
nicht, warum ich Ihnen das alles erzähle,“ fügte ſie
lächelnd hinzu, „Sie ſehen ſo gut aus: vielleicht lachen
Sie nicht darüber.“
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