Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898.

Bild:
<< vorherige Seite

Man konnte ihren beweglichen Mienen aufs deutlichste
ansehen, daß sie über irgend einen Gedanken mit sich
selbst ins reine zu kommen versuchte.

"Ach, Ueberlegenheit! Was soll mir die!" sagte sie
darauf wegwerfend, "wir haben nun einmal das Ver¬
langen, für das, was uns am teuersten ist, auch am
offensten einzutreten; und wir schätzen sogar ganz unwill¬
kürlich den Wert einer Sache ein wenig danach ab, ob
wir sie zu einer Gesinnungssache machen würden, -- ob
wir für ihr Recht kämpfen können."

"Mein Gott! die Frauen sind jetzt aber auch so ent¬
setzlich kampflustig geworden!" bemerkte er lachend, --
"so entsetzlich positiv und aggressiv, daß es kaum zum
Aushalten ist! Sehen Sie, das kommt nun von all der
Frauenbefreiung und Studiererei und all diesen Kam¬
pfesidealen, -- -- -- Die Frauen sind die reinen Em¬
porkömmlinge! Verzeihen Sie, -- -- es liegt ja etwas
ganz Jugendliches und Kräftiges drin, aber es hat nicht
den vornehmen Geschmack. Alles zur Diskussion zu stellen,
selbst das Undiskutierbarste, alles in die Oeffentlichkeit
zu werfen, selbst das Intimste, -- -- finden Sie das
etwa schön? Ich nicht! Es vergröbert alle Dinge un¬
geheuer, fälscht sie ins Rationalistische hinein, wischt alle
zarten Farbennüancen fort, setzt allem gräßliche grelle
Schlaglichter auf --"

Obwohl Fenia gegen ihn stritt, so sah sie ihn doch
ganz unverkennbar so an, als ob sie sich ganz gern
widerlegt sähe.

Während er so schön sprach, dachte er an etwas ganz
andres: "Wer mochte dieser Mann sein? Ob er sie

Man konnte ihren beweglichen Mienen aufs deutlichſte
anſehen, daß ſie über irgend einen Gedanken mit ſich
ſelbſt ins reine zu kommen verſuchte.

„Ach, Ueberlegenheit! Was ſoll mir die!“ ſagte ſie
darauf wegwerfend, „wir haben nun einmal das Ver¬
langen, für das, was uns am teuerſten iſt, auch am
offenſten einzutreten; und wir ſchätzen ſogar ganz unwill¬
kürlich den Wert einer Sache ein wenig danach ab, ob
wir ſie zu einer Geſinnungsſache machen würden, — ob
wir für ihr Recht kämpfen können.“

„Mein Gott! die Frauen ſind jetzt aber auch ſo ent¬
ſetzlich kampfluſtig geworden!“ bemerkte er lachend, —
„ſo entſetzlich poſitiv und aggreſſiv, daß es kaum zum
Aushalten iſt! Sehen Sie, das kommt nun von all der
Frauenbefreiung und Studiererei und all dieſen Kam¬
pfesidealen, — — — Die Frauen ſind die reinen Em¬
porkömmlinge! Verzeihen Sie, — — es liegt ja etwas
ganz Jugendliches und Kräftiges drin, aber es hat nicht
den vornehmen Geſchmack. Alles zur Diskuſſion zu ſtellen,
ſelbſt das Undiskutierbarſte, alles in die Oeffentlichkeit
zu werfen, ſelbſt das Intimſte, — — finden Sie das
etwa ſchön? Ich nicht! Es vergröbert alle Dinge un¬
geheuer, fälſcht ſie ins Rationaliſtiſche hinein, wiſcht alle
zarten Farbennüancen fort, ſetzt allem gräßliche grelle
Schlaglichter auf —“

Obwohl Fenia gegen ihn ſtritt, ſo ſah ſie ihn doch
ganz unverkennbar ſo an, als ob ſie ſich ganz gern
widerlegt ſähe.

Während er ſo ſchön ſprach, dachte er an etwas ganz
andres: „Wer mochte dieſer Mann ſein? Ob er ſie

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0060" n="56"/>
        <fw type="pageNum" place="top">&#x2014; 56 &#x2014;<lb/></fw>
        <p>Man konnte ihren beweglichen Mienen aufs deutlich&#x017F;te<lb/>
an&#x017F;ehen, daß &#x017F;ie über irgend einen Gedanken mit &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t ins reine zu kommen ver&#x017F;uchte.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ach, Ueberlegenheit! Was &#x017F;oll mir die!&#x201C; &#x017F;agte &#x017F;ie<lb/>
darauf wegwerfend, &#x201E;wir haben nun einmal das Ver¬<lb/>
langen, für das, was uns am teuer&#x017F;ten i&#x017F;t, auch am<lb/>
offen&#x017F;ten einzutreten; und wir &#x017F;chätzen &#x017F;ogar ganz unwill¬<lb/>
kürlich den Wert einer Sache ein wenig danach ab, ob<lb/>
wir &#x017F;ie zu einer Ge&#x017F;innungs&#x017F;ache machen würden, &#x2014; ob<lb/>
wir für ihr Recht <hi rendition="#g">kämpfen</hi> können.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Mein Gott! die Frauen &#x017F;ind jetzt aber auch &#x017F;o ent¬<lb/>
&#x017F;etzlich kampflu&#x017F;tig geworden!&#x201C; bemerkte er lachend, &#x2014;<lb/>
&#x201E;&#x017F;o ent&#x017F;etzlich po&#x017F;itiv und aggre&#x017F;&#x017F;iv, daß es kaum zum<lb/>
Aushalten i&#x017F;t! Sehen Sie, das kommt nun von all der<lb/>
Frauenbefreiung und Studiererei und all die&#x017F;en Kam¬<lb/>
pfesidealen, &#x2014; &#x2014; &#x2014; Die Frauen &#x017F;ind die reinen Em¬<lb/>
porkömmlinge! Verzeihen Sie, &#x2014; &#x2014; es liegt ja etwas<lb/>
ganz Jugendliches und Kräftiges drin, aber es hat nicht<lb/>
den vornehmen Ge&#x017F;chmack. Alles zur Disku&#x017F;&#x017F;ion zu &#x017F;tellen,<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t das Undiskutierbar&#x017F;te, alles in die Oeffentlichkeit<lb/>
zu werfen, &#x017F;elb&#x017F;t das Intim&#x017F;te, &#x2014; &#x2014; finden Sie das<lb/>
etwa &#x017F;chön? Ich nicht! Es vergröbert alle Dinge un¬<lb/>
geheuer, fäl&#x017F;cht &#x017F;ie ins Rationali&#x017F;ti&#x017F;che hinein, wi&#x017F;cht alle<lb/>
zarten Farbennüancen fort, &#x017F;etzt allem gräßliche grelle<lb/>
Schlaglichter auf &#x2014;&#x201C;</p><lb/>
        <p>Obwohl Fenia gegen ihn &#x017F;tritt, &#x017F;o &#x017F;ah &#x017F;ie ihn doch<lb/>
ganz unverkennbar &#x017F;o an, als ob &#x017F;ie &#x017F;ich ganz gern<lb/>
widerlegt &#x017F;ähe.</p><lb/>
        <p>Während er &#x017F;o &#x017F;chön &#x017F;prach, dachte er an etwas ganz<lb/>
andres: &#x201E;Wer mochte die&#x017F;er Mann &#x017F;ein? Ob er &#x017F;ie<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[56/0060] — 56 — Man konnte ihren beweglichen Mienen aufs deutlichſte anſehen, daß ſie über irgend einen Gedanken mit ſich ſelbſt ins reine zu kommen verſuchte. „Ach, Ueberlegenheit! Was ſoll mir die!“ ſagte ſie darauf wegwerfend, „wir haben nun einmal das Ver¬ langen, für das, was uns am teuerſten iſt, auch am offenſten einzutreten; und wir ſchätzen ſogar ganz unwill¬ kürlich den Wert einer Sache ein wenig danach ab, ob wir ſie zu einer Geſinnungsſache machen würden, — ob wir für ihr Recht kämpfen können.“ „Mein Gott! die Frauen ſind jetzt aber auch ſo ent¬ ſetzlich kampfluſtig geworden!“ bemerkte er lachend, — „ſo entſetzlich poſitiv und aggreſſiv, daß es kaum zum Aushalten iſt! Sehen Sie, das kommt nun von all der Frauenbefreiung und Studiererei und all dieſen Kam¬ pfesidealen, — — — Die Frauen ſind die reinen Em¬ porkömmlinge! Verzeihen Sie, — — es liegt ja etwas ganz Jugendliches und Kräftiges drin, aber es hat nicht den vornehmen Geſchmack. Alles zur Diskuſſion zu ſtellen, ſelbſt das Undiskutierbarſte, alles in die Oeffentlichkeit zu werfen, ſelbſt das Intimſte, — — finden Sie das etwa ſchön? Ich nicht! Es vergröbert alle Dinge un¬ geheuer, fälſcht ſie ins Rationaliſtiſche hinein, wiſcht alle zarten Farbennüancen fort, ſetzt allem gräßliche grelle Schlaglichter auf —“ Obwohl Fenia gegen ihn ſtritt, ſo ſah ſie ihn doch ganz unverkennbar ſo an, als ob ſie ſich ganz gern widerlegt ſähe. Während er ſo ſchön ſprach, dachte er an etwas ganz andres: „Wer mochte dieſer Mann ſein? Ob er ſie

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_fenitschka_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_fenitschka_1898/60
Zitationshilfe: Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_fenitschka_1898/60>, abgerufen am 11.05.2024.