Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898.

Bild:
<< vorherige Seite

"Aber doch nicht allein? Soll ich Sie nicht nach
Hause begleiten? Sie sind jetzt doch in ganz beruhigter
und fröhlicher Stimmung, nicht wahr, Fenia, -- ich
kann mich darauf verlassen?"

Sie nickte.

"Ja. Mag's nun kommen, wie es Lust hat. Ich
kann nicht lange so gequält leben. Ich muß sorglos
leben, oder gar nicht. Darum sind Heimlichkeiten mir
so unsäglich wider die Natur. -- -- Froh bin ich, daß
ich jetzt wenigstens zu Ihnen offen sprechen kann. -- --
Aber bitte, begleiten Sie mich nicht. Der Portier unten
wird mich in den Schlitten setzen. Ich möchte lieber
allein sein."

"Wie Sie wünschen. Aber zum mindesten gehen
Sie nicht so fort, Fenia, -- möchten Sie sich nicht er¬
innern -- nach allem, was wir nun gemeinsam haben, --
daß wir schon einmal Brüderschaft getrunken haben?
Möchtest du nicht, wenn du nun zu mir sprichst, mich
ein bißchen weniger steif anreden?"

"Ja gewiß. Du -- und Bruder -- von heute
an!" entgegnete sie herzlich und ernst. "Ich werd es
nicht vergessen. Ich nehm es als einen festen Bund."

"Danke, -- und die Bundesbesiegelung?" fragte er
und hielt ihre Hand noch fest, als sie auf die Thür
zuging. Da hob sie den Kopf und gab ihm einen Kuß
auf den Mund, -- einen herzlichen, unbefangenen Kuß.

Aber ihre Lippen brannten noch von den leiden¬
schaftlichen Worten, die sie vorher gesprochen.


„Aber doch nicht allein? Soll ich Sie nicht nach
Hauſe begleiten? Sie ſind jetzt doch in ganz beruhigter
und fröhlicher Stimmung, nicht wahr, Fenia, — ich
kann mich darauf verlaſſen?“

Sie nickte.

„Ja. Mag's nun kommen, wie es Luſt hat. Ich
kann nicht lange ſo gequält leben. Ich muß ſorglos
leben, oder gar nicht. Darum ſind Heimlichkeiten mir
ſo unſäglich wider die Natur. — — Froh bin ich, daß
ich jetzt wenigſtens zu Ihnen offen ſprechen kann. — —
Aber bitte, begleiten Sie mich nicht. Der Portier unten
wird mich in den Schlitten ſetzen. Ich möchte lieber
allein ſein.“

„Wie Sie wünſchen. Aber zum mindeſten gehen
Sie nicht ſo fort, Fenia, — möchten Sie ſich nicht er¬
innern — nach allem, was wir nun gemeinſam haben, —
daß wir ſchon einmal Brüderſchaft getrunken haben?
Möchteſt du nicht, wenn du nun zu mir ſprichſt, mich
ein bißchen weniger ſteif anreden?“

„Ja gewiß. Du — und Bruder — von heute
an!“ entgegnete ſie herzlich und ernſt. „Ich werd es
nicht vergeſſen. Ich nehm es als einen feſten Bund.“

„Danke, — und die Bundesbeſiegelung?“ fragte er
und hielt ihre Hand noch feſt, als ſie auf die Thür
zuging. Da hob ſie den Kopf und gab ihm einen Kuß
auf den Mund, — einen herzlichen, unbefangenen Kuß.

Aber ihre Lippen brannten noch von den leiden¬
ſchaftlichen Worten, die ſie vorher geſprochen.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0072" n="68"/>
        <fw type="pageNum" place="top">&#x2014; 68 &#x2014;<lb/></fw>
        <p>&#x201E;Aber doch nicht allein? Soll ich Sie nicht nach<lb/>
Hau&#x017F;e begleiten? Sie &#x017F;ind jetzt doch in ganz beruhigter<lb/>
und fröhlicher Stimmung, nicht wahr, Fenia, &#x2014; ich<lb/>
kann mich darauf verla&#x017F;&#x017F;en?&#x201C;</p><lb/>
        <p>Sie nickte.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ja. Mag's nun kommen, wie es Lu&#x017F;t hat. Ich<lb/>
kann nicht lange &#x017F;o gequält leben. Ich muß &#x017F;orglos<lb/>
leben, oder gar nicht. Darum &#x017F;ind Heimlichkeiten mir<lb/>
&#x017F;o un&#x017F;äglich wider die Natur. &#x2014; &#x2014; Froh bin ich, daß<lb/>
ich jetzt wenig&#x017F;tens zu Ihnen offen &#x017F;prechen kann. &#x2014; &#x2014;<lb/>
Aber bitte, begleiten Sie mich nicht. Der Portier unten<lb/>
wird mich in den Schlitten &#x017F;etzen. Ich möchte lieber<lb/>
allein &#x017F;ein.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wie Sie wün&#x017F;chen. Aber zum minde&#x017F;ten gehen<lb/>
Sie nicht &#x017F;o fort, Fenia, &#x2014; möchten Sie &#x017F;ich nicht er¬<lb/>
innern &#x2014; nach allem, was wir nun gemein&#x017F;am haben, &#x2014;<lb/>
daß wir &#x017F;chon einmal Brüder&#x017F;chaft getrunken haben?<lb/>
Möchte&#x017F;t du nicht, wenn du nun zu mir &#x017F;prich&#x017F;t, mich<lb/>
ein bißchen weniger &#x017F;teif anreden?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ja gewiß. Du &#x2014; und Bruder &#x2014; von heute<lb/>
an!&#x201C; entgegnete &#x017F;ie herzlich und ern&#x017F;t. &#x201E;Ich werd es<lb/>
nicht verge&#x017F;&#x017F;en. Ich nehm es als einen fe&#x017F;ten Bund.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Danke, &#x2014; und die Bundesbe&#x017F;iegelung?&#x201C; fragte er<lb/>
und hielt ihre Hand noch fe&#x017F;t, als &#x017F;ie auf die Thür<lb/>
zuging. Da hob &#x017F;ie den Kopf und gab ihm einen Kuß<lb/>
auf den Mund, &#x2014; einen herzlichen, unbefangenen Kuß.</p><lb/>
        <p>Aber ihre Lippen brannten noch von den leiden¬<lb/>
&#x017F;chaftlichen Worten, die &#x017F;ie vorher ge&#x017F;prochen.</p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[68/0072] — 68 — „Aber doch nicht allein? Soll ich Sie nicht nach Hauſe begleiten? Sie ſind jetzt doch in ganz beruhigter und fröhlicher Stimmung, nicht wahr, Fenia, — ich kann mich darauf verlaſſen?“ Sie nickte. „Ja. Mag's nun kommen, wie es Luſt hat. Ich kann nicht lange ſo gequält leben. Ich muß ſorglos leben, oder gar nicht. Darum ſind Heimlichkeiten mir ſo unſäglich wider die Natur. — — Froh bin ich, daß ich jetzt wenigſtens zu Ihnen offen ſprechen kann. — — Aber bitte, begleiten Sie mich nicht. Der Portier unten wird mich in den Schlitten ſetzen. Ich möchte lieber allein ſein.“ „Wie Sie wünſchen. Aber zum mindeſten gehen Sie nicht ſo fort, Fenia, — möchten Sie ſich nicht er¬ innern — nach allem, was wir nun gemeinſam haben, — daß wir ſchon einmal Brüderſchaft getrunken haben? Möchteſt du nicht, wenn du nun zu mir ſprichſt, mich ein bißchen weniger ſteif anreden?“ „Ja gewiß. Du — und Bruder — von heute an!“ entgegnete ſie herzlich und ernſt. „Ich werd es nicht vergeſſen. Ich nehm es als einen feſten Bund.“ „Danke, — und die Bundesbeſiegelung?“ fragte er und hielt ihre Hand noch feſt, als ſie auf die Thür zuging. Da hob ſie den Kopf und gab ihm einen Kuß auf den Mund, — einen herzlichen, unbefangenen Kuß. Aber ihre Lippen brannten noch von den leiden¬ ſchaftlichen Worten, die ſie vorher geſprochen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_fenitschka_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_fenitschka_1898/72
Zitationshilfe: Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_fenitschka_1898/72>, abgerufen am 04.12.2024.