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Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898.

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er wußte es, aber es beglückte ihn anders als bisher,
und stimmte ihn dankbarer, weicher.

Er sagte sich, daß er für Irmgard von vornherein
glücklicherweise mehr bedeute, als für Fenia ein Mann
augenblicklich bedeuten konnte. Er bedeutete für sie
zugleich das einzige sie belebende Geisteselement inmitten
ihrer konventionellen Familienkreise, -- er hatte mit
ihrer Liebe, ihren Sinnen zugleich auch ihre geistigen
Bedürfnisse geweckt und angeregt, ihre geistige Sehnsucht
auf ihn und seine Entwickelung bezogen.

Das machte seiner Meinung nach einen gewaltigen
Unterschied! Wenn ein Mann mitunter eine Frau weniger
tief und absolut liebt, als sie ihn, so mochte es nicht zum
wenigsten damit zusammenhängen, daß sie für sein ge¬
samtes Geistesdasein meistens eine geringere Bedeutsam¬
keit besessen hat, als er für sie. Er erholt sich mehr
bei ihr, als daß er ihrer außerhalb der Liebe bedarf. --
-- -- So erholte Fenia sich vielleicht von ihren eignen
geistigen Kämpfen und Anstrengungen bei dem Mann ihrer
Liebe. Nach Jahren konzentriertester Studien, asketischen
Lebens eine unbewußt vollzogene, ganz naiv hingenom¬
mene Reaktion --. Erst der Heiratsantrag rührte ihre
friedlich ruhenden Gedanken darüber plötzlich auf, ließ
sie erwachen, -- sich klar werden.

Dem andern mußte die Vorstellung, daß sie ihn
nicht genügend liebe, um ihr ganzes Leben an ihn zu
binden, natürlich völlig fern liegen. Man nimmt ja
wohl von minderwertigen Frauen an, daß ihre Neigung
eventuell der Tiefe und Treue entbehren werde, -- hoch¬
stehenden Frauen gegenüber erscheint es als ein Sakri¬

er wußte es, aber es beglückte ihn anders als bisher,
und ſtimmte ihn dankbarer, weicher.

Er ſagte ſich, daß er für Irmgard von vornherein
glücklicherweiſe mehr bedeute, als für Fenia ein Mann
augenblicklich bedeuten konnte. Er bedeutete für ſie
zugleich das einzige ſie belebende Geiſteselement inmitten
ihrer konventionellen Familienkreiſe, — er hatte mit
ihrer Liebe, ihren Sinnen zugleich auch ihre geiſtigen
Bedürfniſſe geweckt und angeregt, ihre geiſtige Sehnſucht
auf ihn und ſeine Entwickelung bezogen.

Das machte ſeiner Meinung nach einen gewaltigen
Unterſchied! Wenn ein Mann mitunter eine Frau weniger
tief und abſolut liebt, als ſie ihn, ſo mochte es nicht zum
wenigſten damit zuſammenhängen, daß ſie für ſein ge¬
ſamtes Geiſtesdaſein meiſtens eine geringere Bedeutſam¬
keit beſeſſen hat, als er für ſie. Er erholt ſich mehr
bei ihr, als daß er ihrer außerhalb der Liebe bedarf. —
— — So erholte Fenia ſich vielleicht von ihren eignen
geiſtigen Kämpfen und Anſtrengungen bei dem Mann ihrer
Liebe. Nach Jahren konzentrierteſter Studien, aſketiſchen
Lebens eine unbewußt vollzogene, ganz naiv hingenom¬
mene Reaktion —. Erſt der Heiratsantrag rührte ihre
friedlich ruhenden Gedanken darüber plötzlich auf, ließ
ſie erwachen, — ſich klar werden.

Dem andern mußte die Vorſtellung, daß ſie ihn
nicht genügend liebe, um ihr ganzes Leben an ihn zu
binden, natürlich völlig fern liegen. Man nimmt ja
wohl von minderwertigen Frauen an, daß ihre Neigung
eventuell der Tiefe und Treue entbehren werde, — hoch¬
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[86/0090] — 86 — er wußte es, aber es beglückte ihn anders als bisher, und ſtimmte ihn dankbarer, weicher. Er ſagte ſich, daß er für Irmgard von vornherein glücklicherweiſe mehr bedeute, als für Fenia ein Mann augenblicklich bedeuten konnte. Er bedeutete für ſie zugleich das einzige ſie belebende Geiſteselement inmitten ihrer konventionellen Familienkreiſe, — er hatte mit ihrer Liebe, ihren Sinnen zugleich auch ihre geiſtigen Bedürfniſſe geweckt und angeregt, ihre geiſtige Sehnſucht auf ihn und ſeine Entwickelung bezogen. Das machte ſeiner Meinung nach einen gewaltigen Unterſchied! Wenn ein Mann mitunter eine Frau weniger tief und abſolut liebt, als ſie ihn, ſo mochte es nicht zum wenigſten damit zuſammenhängen, daß ſie für ſein ge¬ ſamtes Geiſtesdaſein meiſtens eine geringere Bedeutſam¬ keit beſeſſen hat, als er für ſie. Er erholt ſich mehr bei ihr, als daß er ihrer außerhalb der Liebe bedarf. — — — So erholte Fenia ſich vielleicht von ihren eignen geiſtigen Kämpfen und Anſtrengungen bei dem Mann ihrer Liebe. Nach Jahren konzentrierteſter Studien, aſketiſchen Lebens eine unbewußt vollzogene, ganz naiv hingenom¬ mene Reaktion —. Erſt der Heiratsantrag rührte ihre friedlich ruhenden Gedanken darüber plötzlich auf, ließ ſie erwachen, — ſich klar werden. Dem andern mußte die Vorſtellung, daß ſie ihn nicht genügend liebe, um ihr ganzes Leben an ihn zu binden, natürlich völlig fern liegen. Man nimmt ja wohl von minderwertigen Frauen an, daß ihre Neigung eventuell der Tiefe und Treue entbehren werde, — hoch¬ ſtehenden Frauen gegenüber erſcheint es als ein Sakri¬

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Zitationshilfe: Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_fenitschka_1898/90>, abgerufen am 11.05.2024.