Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898.

Bild:
<< vorherige Seite

Sie legte sich wieder zurück, und schloß die Augen.

"Sondern irgendwo da. -- -- Irgendwo unter den
Grisetten."

"Ich verstehe nicht recht, Fenia. Das ist ja ein
ganz dummer Traum."

"Nicht so dumm, wie du meinst -- --. Aber
woher sollten Träume eigentlich auch klug sein? Ich
glaube, unsre klugen Gedanken wirken nur wenig mit
am Traumgewebe. -- -- Nein, alle die klugen Gedanken,
die wir uns so allmählich erwerben, alle die aufgeklärten
und vernünftigen Ansichten, die träumen wir wohl nur
wenig. -- -- Im Traum taxieren wir uns anders,
-- uns und die Dinge, -- verworren und wirr vielleicht,
aber doch so ganz naiv."

"Aber was redest du nur eigentlich, Fenia? -- --
Du taxiertest dich im Traum --? Nun, und?"

"Nun, und da fand ich offenbar, daß ich mitten
unter die Grisetten gehörte."

Er sprang unwillkürlich auf.

Ein kurzer Laut des Unwillens entschlüpfte ihm.

Er wollte gegen sie aufbrausen, gegen diese Selbst¬
erniedrigung, die ihn empörte und für sie beleidigte, aber
er besann sich.

"Du bist krank," sagte er, "du bist es wirklich, wie
könntest du sonst so ganz den Kopf verloren haben. --
Fenia, ich erkenne dich gar nicht wieder. Wußtest du
denn nicht, was du thatest? --"

"Nein, genau gewußt hab ich es erst im Augen¬
blick, als ich mich binden sollte. Bis dahin verwechselte
ich es wohl -- mit einer vollen, ganzen Liebe."

Sie legte ſich wieder zurück, und ſchloß die Augen.

„Sondern irgendwo da. — — Irgendwo unter den
Griſetten.“

„Ich verſtehe nicht recht, Fenia. Das iſt ja ein
ganz dummer Traum.“

„Nicht ſo dumm, wie du meinſt — —. Aber
woher ſollten Träume eigentlich auch klug ſein? Ich
glaube, unſre klugen Gedanken wirken nur wenig mit
am Traumgewebe. — — Nein, alle die klugen Gedanken,
die wir uns ſo allmählich erwerben, alle die aufgeklärten
und vernünftigen Anſichten, die träumen wir wohl nur
wenig. — — Im Traum taxieren wir uns anders,
— uns und die Dinge, — verworren und wirr vielleicht,
aber doch ſo ganz naiv.“

„Aber was redeſt du nur eigentlich, Fenia? — —
Du taxierteſt dich im Traum —? Nun, und?“

„Nun, und da fand ich offenbar, daß ich mitten
unter die Griſetten gehörte.“

Er ſprang unwillkürlich auf.

Ein kurzer Laut des Unwillens entſchlüpfte ihm.

Er wollte gegen ſie aufbrauſen, gegen dieſe Selbſt¬
erniedrigung, die ihn empörte und für ſie beleidigte, aber
er beſann ſich.

„Du biſt krank,“ ſagte er, „du biſt es wirklich, wie
könnteſt du ſonſt ſo ganz den Kopf verloren haben. —
Fenia, ich erkenne dich gar nicht wieder. Wußteſt du
denn nicht, was du thateſt? —“

„Nein, genau gewußt hab ich es erſt im Augen¬
blick, als ich mich binden ſollte. Bis dahin verwechſelte
ich es wohl — mit einer vollen, ganzen Liebe.“

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0094" n="90"/>
        <fw type="pageNum" place="top">&#x2014; 90 &#x2014;<lb/></fw>
        <p>Sie legte &#x017F;ich wieder zurück, und &#x017F;chloß die Augen.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Sondern irgendwo da. &#x2014; &#x2014; Irgendwo unter den<lb/>
Gri&#x017F;etten.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich ver&#x017F;tehe nicht recht, Fenia. Das i&#x017F;t ja ein<lb/>
ganz dummer Traum.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Nicht &#x017F;o dumm, wie du mein&#x017F;t &#x2014; &#x2014;. Aber<lb/>
woher &#x017F;ollten Träume eigentlich auch klug &#x017F;ein? Ich<lb/>
glaube, un&#x017F;re klugen Gedanken wirken nur wenig mit<lb/>
am Traumgewebe. &#x2014; &#x2014; Nein, alle die klugen Gedanken,<lb/>
die wir uns &#x017F;o allmählich erwerben, alle die aufgeklärten<lb/>
und vernünftigen An&#x017F;ichten, die träumen wir wohl nur<lb/>
wenig. &#x2014; &#x2014; Im Traum <hi rendition="#g">taxieren</hi> wir uns anders,<lb/>
&#x2014; uns und die Dinge, &#x2014; verworren und wirr vielleicht,<lb/>
aber doch &#x017F;o ganz naiv.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Aber was rede&#x017F;t du nur eigentlich, Fenia? &#x2014; &#x2014;<lb/>
Du taxierte&#x017F;t dich im Traum &#x2014;? Nun, und?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Nun, und da fand ich offenbar, daß ich mitten<lb/>
unter die Gri&#x017F;etten gehörte.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Er &#x017F;prang unwillkürlich auf.</p><lb/>
        <p>Ein kurzer Laut des Unwillens ent&#x017F;chlüpfte ihm.</p><lb/>
        <p>Er wollte gegen &#x017F;ie aufbrau&#x017F;en, gegen die&#x017F;e Selb&#x017F;<lb/>
erniedrigung, die ihn empörte und für &#x017F;ie beleidigte, aber<lb/>
er be&#x017F;ann &#x017F;ich.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Du bi&#x017F;t krank,&#x201C; &#x017F;agte er, &#x201E;du bi&#x017F;t es wirklich, wie<lb/>
könnte&#x017F;t du &#x017F;on&#x017F;t &#x017F;o ganz den Kopf verloren haben. &#x2014;<lb/>
Fenia, ich erkenne dich gar nicht wieder. Wußte&#x017F;t du<lb/>
denn nicht, was du thate&#x017F;t? &#x2014;&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Nein, genau gewußt hab ich es er&#x017F;t im Augen¬<lb/>
blick, als ich mich binden &#x017F;ollte. Bis dahin verwech&#x017F;elte<lb/>
ich es wohl &#x2014; mit einer vollen, ganzen Liebe.&#x201C;</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[90/0094] — 90 — Sie legte ſich wieder zurück, und ſchloß die Augen. „Sondern irgendwo da. — — Irgendwo unter den Griſetten.“ „Ich verſtehe nicht recht, Fenia. Das iſt ja ein ganz dummer Traum.“ „Nicht ſo dumm, wie du meinſt — —. Aber woher ſollten Träume eigentlich auch klug ſein? Ich glaube, unſre klugen Gedanken wirken nur wenig mit am Traumgewebe. — — Nein, alle die klugen Gedanken, die wir uns ſo allmählich erwerben, alle die aufgeklärten und vernünftigen Anſichten, die träumen wir wohl nur wenig. — — Im Traum taxieren wir uns anders, — uns und die Dinge, — verworren und wirr vielleicht, aber doch ſo ganz naiv.“ „Aber was redeſt du nur eigentlich, Fenia? — — Du taxierteſt dich im Traum —? Nun, und?“ „Nun, und da fand ich offenbar, daß ich mitten unter die Griſetten gehörte.“ Er ſprang unwillkürlich auf. Ein kurzer Laut des Unwillens entſchlüpfte ihm. Er wollte gegen ſie aufbrauſen, gegen dieſe Selbſt¬ erniedrigung, die ihn empörte und für ſie beleidigte, aber er beſann ſich. „Du biſt krank,“ ſagte er, „du biſt es wirklich, wie könnteſt du ſonſt ſo ganz den Kopf verloren haben. — Fenia, ich erkenne dich gar nicht wieder. Wußteſt du denn nicht, was du thateſt? —“ „Nein, genau gewußt hab ich es erſt im Augen¬ blick, als ich mich binden ſollte. Bis dahin verwechſelte ich es wohl — mit einer vollen, ganzen Liebe.“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_fenitschka_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_fenitschka_1898/94
Zitationshilfe: Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_fenitschka_1898/94>, abgerufen am 12.05.2024.