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Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838.

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zum ersten Mal in einem großen Hause in Wien beobachtet, und
muß freilich gestehen, daß die Sache, wie sie da betrieben wurde,
mir nicht ganz appetitlich vorkam. Denn obgleich das Wasser
in schönen großen Krystalltassen mit extrafeinen Servietten
jedem einzelnen Gast gereicht wurde, klang doch das allgemeine
Gegurgel fast etwas schauerlich, wie das Murmeln unterirdi-
scher Quellen, und da die Gäste wie bei'm Essen in Reih und
Glied und sich zugekehrt blieben, so hätte ein Gesichterschneider
zu den belehrendsten und überblickendsten Studien Gelegenheit
gehabt. Doch ist die Sache zweckmäßig und kann füglich auch
auf anmuthigere Weise absolvirt werden.

Man hat zu demselben Zwecke das Kauen eines Brodrind-
chens nach jeder Mahlzeit gerathen. Der Eßkünstler wird aber
durch den trivialen Brodgeschmack nicht gerne zartere Reminis-
cenzen verderben wollen.

Eben so bekannt, deßhalb aber nicht minder wichtig, ist
der Gebrauch geeigneter Zahnstocher, das heißt nicht metallner,
sondern solcher von Holz oder Federspulen, welche aber, wie
gleichwohl von Vielen geschieht, nicht sowohl wie Grabstichel,
sondern mehr wie leichte Radiernadeln zu handhaben sind.

Glaubt man Zahnpulver nöthig zu haben, so wird das
berühmte Hufelandische gute Dienste leisten. Doch wären
wohl die überkünstelten Zusätze von Nelken- und Bergamottöl
wegzulassen. -- Wie es Leute giebt, welche bei vorkommen-
der moralischer schwarzer Wäsche gleich Walkmühlen, Laugen-
bäder und Chlorkalkbleichen für unerläßlich halten, so glauben
Andere bei unrein gewordenen Zähnen -- wie auch selbst Aerzte:
Forestus, Riverius, Crato, Montanus u. A. wirklich
empfahlen -- alsbald mit Bimssteinpulver, Tabaksasche und
Schwefelsäure darüber her fahren zu müssen. Dieß ist das
beste Mittel, die Zähne ganz unbrauchbar zu machen.

Zahnbürsten sollten kaum täglich gebraucht werden, feine
Leinwand und Schwamm, nach Bedarf ein frisches Blatt Salbei

zum erſten Mal in einem großen Hauſe in Wien beobachtet, und
muß freilich geſtehen, daß die Sache, wie ſie da betrieben wurde,
mir nicht ganz appetitlich vorkam. Denn obgleich das Waſſer
in ſchoͤnen großen Kryſtalltaſſen mit extrafeinen Servietten
jedem einzelnen Gaſt gereicht wurde, klang doch das allgemeine
Gegurgel faſt etwas ſchauerlich, wie das Murmeln unterirdi-
ſcher Quellen, und da die Gaͤſte wie bei’m Eſſen in Reih und
Glied und ſich zugekehrt blieben, ſo haͤtte ein Geſichterſchneider
zu den belehrendſten und uͤberblickendſten Studien Gelegenheit
gehabt. Doch iſt die Sache zweckmaͤßig und kann fuͤglich auch
auf anmuthigere Weiſe abſolvirt werden.

Man hat zu demſelben Zwecke das Kauen eines Brodrind-
chens nach jeder Mahlzeit gerathen. Der Eßkuͤnſtler wird aber
durch den trivialen Brodgeſchmack nicht gerne zartere Reminis-
cenzen verderben wollen.

Eben ſo bekannt, deßhalb aber nicht minder wichtig, iſt
der Gebrauch geeigneter Zahnſtocher, das heißt nicht metallner,
ſondern ſolcher von Holz oder Federſpulen, welche aber, wie
gleichwohl von Vielen geſchieht, nicht ſowohl wie Grabſtichel,
ſondern mehr wie leichte Radiernadeln zu handhaben ſind.

Glaubt man Zahnpulver noͤthig zu haben, ſo wird das
beruͤhmte Hufelandiſche gute Dienſte leiſten. Doch waͤren
wohl die uͤberkuͤnſtelten Zuſaͤtze von Nelken- und Bergamottoͤl
wegzulaſſen. — Wie es Leute giebt, welche bei vorkommen-
der moraliſcher ſchwarzer Waͤſche gleich Walkmuͤhlen, Laugen-
baͤder und Chlorkalkbleichen fuͤr unerlaͤßlich halten, ſo glauben
Andere bei unrein gewordenen Zaͤhnen — wie auch ſelbſt Aerzte:
Foreſtus, Riverius, Crato, Montanus u. A. wirklich
empfahlen — alsbald mit Bimsſteinpulver, Tabaksaſche und
Schwefelſaͤure daruͤber her fahren zu muͤſſen. Dieß iſt das
beſte Mittel, die Zaͤhne ganz unbrauchbar zu machen.

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[122/0136] zum erſten Mal in einem großen Hauſe in Wien beobachtet, und muß freilich geſtehen, daß die Sache, wie ſie da betrieben wurde, mir nicht ganz appetitlich vorkam. Denn obgleich das Waſſer in ſchoͤnen großen Kryſtalltaſſen mit extrafeinen Servietten jedem einzelnen Gaſt gereicht wurde, klang doch das allgemeine Gegurgel faſt etwas ſchauerlich, wie das Murmeln unterirdi- ſcher Quellen, und da die Gaͤſte wie bei’m Eſſen in Reih und Glied und ſich zugekehrt blieben, ſo haͤtte ein Geſichterſchneider zu den belehrendſten und uͤberblickendſten Studien Gelegenheit gehabt. Doch iſt die Sache zweckmaͤßig und kann fuͤglich auch auf anmuthigere Weiſe abſolvirt werden. Man hat zu demſelben Zwecke das Kauen eines Brodrind- chens nach jeder Mahlzeit gerathen. Der Eßkuͤnſtler wird aber durch den trivialen Brodgeſchmack nicht gerne zartere Reminis- cenzen verderben wollen. Eben ſo bekannt, deßhalb aber nicht minder wichtig, iſt der Gebrauch geeigneter Zahnſtocher, das heißt nicht metallner, ſondern ſolcher von Holz oder Federſpulen, welche aber, wie gleichwohl von Vielen geſchieht, nicht ſowohl wie Grabſtichel, ſondern mehr wie leichte Radiernadeln zu handhaben ſind. Glaubt man Zahnpulver noͤthig zu haben, ſo wird das beruͤhmte Hufelandiſche gute Dienſte leiſten. Doch waͤren wohl die uͤberkuͤnſtelten Zuſaͤtze von Nelken- und Bergamottoͤl wegzulaſſen. — Wie es Leute giebt, welche bei vorkommen- der moraliſcher ſchwarzer Waͤſche gleich Walkmuͤhlen, Laugen- baͤder und Chlorkalkbleichen fuͤr unerlaͤßlich halten, ſo glauben Andere bei unrein gewordenen Zaͤhnen — wie auch ſelbſt Aerzte: Foreſtus, Riverius, Crato, Montanus u. A. wirklich empfahlen — alsbald mit Bimsſteinpulver, Tabaksaſche und Schwefelſaͤure daruͤber her fahren zu muͤſſen. Dieß iſt das beſte Mittel, die Zaͤhne ganz unbrauchbar zu machen. Zahnbuͤrſten ſollten kaum taͤglich gebraucht werden, feine Leinwand und Schwamm, nach Bedarf ein friſches Blatt Salbei

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Zitationshilfe: Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/136>, abgerufen am 21.11.2024.